Während einer Ruhepause mit Muzorawa bat Grant: »Zeb, lassen Sie nicht zu, dass Krebs uns mit dieser Strömung in den Roten Fleck ziehen lässt.«
»Sie wird abbiegen, bevor wir in Gefahr kommen können«, sagte Muzorawa wie schon einmal. Aber der Blick seiner rot geränderten Augen wich dem Kontakt mit Grants aus.
Der ließ sich müde auf den Rand seiner Koje nieder. »Die Strömung wird stärker«, sagte er. »Ich weiß nicht, wie weit wir noch gehen können, bevor sie zu stark wird, dass die Triebwerke uns noch daraus befreien können.«
Muzorawa dachte eine gute Weile darüber nach, dann hob er den Blick zu Grant. »Was sagt Ihnen Ihr Programm der Flüssigkeitsdynamik?«
»Ich würde eine Berechnung machen müssen …«
»Tun Sie das«, sagte Muzorawa. »Dann zeigen Sie sie mir. Es könnte der Punkt sein, der eine Entscheidung erzwingt.«
»Eine Entscheidung?«
»Über sie«, sagte Muzorawa mit einer müden Handbewegung zur Brücke.
Noch immer gingen sie tiefer. Hundert Kilometer, hundertzehn, hundertfünfzehn. Die Tauchsonde knarrte und ächzte und knackte unter dem unvorstellbaren Druck. Sie hörte sich an, als wäre sie in Agonie. Wie wir, dachte Grant.
Nach einer Ruheperiode kam O'Hara mit einem Lächeln auf den Lippen zur Brücke zurück. Es überraschte Grant; seit Tagen hatte er keinen von ihnen lächeln sehen.
»Sie müssen einen schönen Traum gehabt haben«, sagte er, als sie sich anschloss.
»Keinen Traum«, erwiderte sie. »Ich konnte überhaupt nicht schlafen.«
Grant schloss die Augen. Die Kopfschmerzen schienen ein wenig nachzulassen, wenn die Augen geschlossen waren, und er sah den leuchtenden Stern im Herzen des Fusionsreaktors, fühlte seine Wärme, die beruhigenden Harmonien der Elektrizität, die durch das Leitungsnetz der Sonde strömte.
O'Hara stieß ihn an. »Schauen Sie her. Die habe ich aus dem Sammelbehälter der Probenentnahme genommen.«
In ihrer Handfläche lag ein Dutzend oder mehr winzige Steinchen. Nein, keine Steinchen, dachte Grant. Sie waren so klein, dass sie beinahe wie Sandkörner aussahen, und sie waren von einem glasigen Hellgrau.
»Ihre Diamanten«, sagte O'Hara in fröhlich singendem Tonfall.
»Das sind die Diamanten?«
»Tatsächlich, echte Diamanten. Nicht von Edelsteinqualität, fürchte ich, und sehr klein. Aber wie viele Frauen können von sich sagen, sie hätten Rohdiamanten in der Hand gehalten?«
»He, lassen Sie sehen«, sagte Karlstad von seiner Konsole.
Krebs' ärgerliche Stimme warf ein: »Sie sollten im Dienst sein, Dr. O'Hara.«
»Ich zeigte Mr. Archer nur die Diamanten, die der Probennehmer eingesammelt hat«, erwiderte Lane zu ihrer Rechtfertigung.
»Sie hätten Ihre Ruheperiode mit Schlafen verbringen oder sich wenigstens entspannen sollen«, grollte Krebs. »Sie wissen, dass …«
»Da unten bewegt sich etwas«, rief Muzorawa.
»Was?« Krebs schoss wie ein kurz geratener Torpedo zu ihm hinüber.
»Sehr weit entfernt«, sagte Muzorawa. »Sonarsignal. Aber eindeutig ein sich bewegendes Objekt.«
»Entfernung? Geschwindigkeit?«, wollte Krebs wissen. »Wir brauchen Zahlen!«
»Es sind mehrere Objekte!« Muzorawas Stimme bebte jetzt.
Grant zapfte das sensorische System an und sah drei, nein vier schemenhafte Umrisse, die sich langsam in der gleichen Richtung wie die Sonde bewegten. Ein weiteres Objekt kam in Sicht, dann noch zwei.
»Sie sind achtundsiebzig Kilometer entfernt, schräg abwärts voraus«, meldete Muzorwa.
»Wie tief sind sie?«
»Vierzehn Kilometer tiefer als wir.«
»O'Hara, zwei Grad Neigungswinkel.«
»Wir können nicht noch tiefer gehen!«, rief Karlstad entsetzt. »Wir sind schon weit jenseits der Sicherheitsgrenze!«
»Halten Sie den Mund!«, rief Krebs. »Wir gehen tiefer!«
10. LEVIATHAN
Leviathan kreuzte langsam durch den Nahrungsstrom und aß unaufhörlich, um wieder zu Kräften zu kommen. Die Flagellen knospten bereits, um die verloren gegangenen Mitglieder zu ersetzen, und das erforderte noch mehr Energie. Leviathan aß gierig, schwamm aber gleichmäßig um den großen Sturm, unterwegs zu den heimatlichen Bereichen seiner Sippe.
Auch von den Hautmitgliedern knospten mehrere, aber es würde lang dauern, bevor ihre Sprösslinge verdickt und verhärtet werden konnten, um den Panzer zu ersetzen, den Leviathan oben am Rand des kalten Abgrundes verloren hatte.
Leviathan hatte es eilig, seine Sippe zu finden und war begierig, ihnen die Geschichte seiner Kämpfe mit den Reißern und dem unheimlichen Tentakelungeheuer oben in der kalten Ferne zu berichten. Dabei war ihm klar, dass die Alten ihm ihr Missfallen ausdrücken würden. Sie hatten Leviathan oft davor gewarnt, sich von der Sippe zu entfernen. Die Jungen wollten oft auf eigene Faust hinausziehen, hatten sie Leviathan immer wieder ausgemalt, und ihre Vorstellungsbilder hatten tiefrot geblinkt, um zu zeigen, wie ernst sie es meinten. Aber die Jungen missachteten oft die Weisheit der Alten. Viele waren nie in den Schoß der Sippe zurückgekehrt.
Leviathan würde zurückkehren, sagte er sich, und das im Triumph. Er hatte Regionen der allumfassenden See aufgesucht, die noch keiner von seiner Art jemals gesehen hatte. Er war zum kalten Abgrund aufgestiegen und hatte überlebt. Die Alten bewahrten das Wissen, so dachten sie jedenfalls. Aber wie konnte neues Wissen gewonnen werden, wenn niemand in die unerforschten Teile der Welt vordrang?
Leviathan stellte sich vor, wie er mit den Bildnern schwamm und die Szenen seiner epischen Reise aufzeichnete, sodass sie die Wiedergabe seines Berichts der Bildergeschichte der Sippe hinzufügen konnten. Ganz gleich, wie viele Male ihre Mitglieder sich voneinander trennten und wieder vereinten, dieses Abenteuer würde in den Gedächtnissen aller bleiben, die sehen konnten. Es würde niemals in Vergessenheit geraten.
Zuerst aber musste Leviathan zurück zur Sippe. Er folgte dem Nahrungsstrom in der Richtung, die ihn heimwärts trug. Es würde gut sein, wieder bei der Sippe anzukommen, selbst wenn die Alten Bilder der Unzufriedenheit über sein Abenteuer blinkten. Sie werden eifersüchtig sein, dachte Leviathan. Während sie in den gleichen alten Weidegründen blieben, erforschte ich neue Regionen. Ich werde den Wissensschatz vergrößern, und das ist eine positive Leistung.
Leviathan wusste, dass er in der Zukunft einmal selbst ein Alter sein würde. Der Gedanke erschreckte ihn. Aber er gelobte, niemals mit der Erforschung aufzuhören, auch nicht als Alter. Und er würde niemals einem Jungen von Erforschungen abraten, dessen war Leviathan gewiss.
Dann fühlte ein Büschel seiner sensorischen Glieder ein fernes Vibrieren und Zittern in der Dunkelheit des Ozeans.
Reißer!, warnten sie. Sie folgen uns und holen rasch auf.
11. KONTAKT
»Hydraulikzylinder Nummer vier versagt!«, rief Karlstad.
»Ich sehe es«, erwiderte Krebs mit gepresster Stimme. »Der Kolben klemmt. Strukturelle Integrität ist nicht bedroht.«
»Er kann nicht noch mehr Druck aushalten«, sagte Karlstad.
»Wir sind tief genug«, meinte Krebs. »Beinahe.«
Grant hatte Zebs sensorische Aufzeichnungen angezapft und konnte eine Herde gigantischer Wesen draußen im Ozean sehen, Objekte von der Größe ganzer Inseln oder Berge, so gewaltig, dass Größe alle Bedeutung zu verlieren begann.
»Entfernung?«, fragte Krebs.
»Zweiundfünfzigkommavier Kilometer«, antwortete Muzorawa.
Es hatte wenig Sinn, die Distanz zu verringern, dachte Grant. Sie waren so riesig, dass weitere Annäherung bedeuten würde, dass die Sensoren nur eines der Objekte erfassen konnten. Oder womöglich nur einen Teil von einem.