KAPSELN BEREIT?, fragte Grant.
JA!!
Grant schaltete an seiner Konsole die Verbindung zur Sendeanlage ein. Nichts. Die Verbindung war unterbrochen.
IHRE KOMMUNIKATIONSVERBINDUNG INTAKT?, fragte er Karlstad.
Egon schaltete ein, und seine Kontrollleuchte zeigte Bereitschaft an.
»Hier ist die Forschungssonde Zheng He«, sagte Grant, obwohl er seine eigene Stimme nur als ein kaum artikuliertes dumpfes Dröhnen im Schädel hörte. Er hoffte, das Kommunikationssystem würde seine Stimme besser aufnehmen. »Wir verlassen den Jupiterozean, hoffen die Umlaufbahn zu erreichen und zur Forschungsstation Gold zurückzukehren.«
Er redete weiter und weiter, ohne eine klare Silbe seiner eigenen Erklärung zu hören, während die beschädigte Tauchsonde vibrierend, klappernd und kreischend auf ihrer Abgasfahne aus sternheißem Plasma zu den dahinjagenden Wolken und Strahlströmen der Jupiteratmosphäre hochstieg. Karlstad stand an seiner Konsole, verbunden mit den restlichen intakten Bordsystemen, unfähig, etwas von Grants langer Rede zu hören.
Endlich war er fertig. Zheng He stieg jetzt durch klare Atmosphäre. In weiter Ferne konnte Grant eine Gruppe ballonartiger Medusen langsam durch die Luft treiben sehen.
Er tippte: KAPSELSENDER AUF BREITEST MÖGLICHEN FREQUENZBEREICH EINSTELLEN — VOLLES SPEKTRUM.
Karlstad sah ihn erstaunt an. NICHT NÖTIG.
WICHTIG. TUN SIE ES, BEHARRTE GRANT.
Karlstad zuckte die Achseln und folgte der Aufforderung.
KAPSELN BEREIT, tippte er nach einer Weile.
BEIDE KAPSELN ABSCHIESSEN.
ERLEDIGT.
Die Triebwerke waren inzwischen dem Versagen nahe. Grant fühlte es als Schmerz, der über beide Schultern und den Rücken abwärts brannte. Die Unterseite der Wolkendecke rückte näher und näher. Die graphische Darstellung auf seinem einzigen funktionstüchtigen Bildschirm zeigte, dass sie beinahe Orbitalgeschwindigkeit erreicht hatten und weitgehend der vorgezeichneten grünen Kurve folgten, aber wenn die Triebwerke versagten, so lange sie unter den Wolken oder auch in ihnen waren, würden atmosphärischer Druck und Schwerkraft sie zu einem endgültigen feurigen Absturz in den Ozean zwingen.
Blitze zuckten durch die Wolken über ihnen. Durch die Bordmikrofone konnte Grant das Poltern von Donner hören. Das Gehörzentrum in seinem Gehirn musste noch funktionieren; offenbar waren es nur die Ohren, die geschädigt waren.
Sie erreichten die Zone der Stürme, und sofort begann der Wind die Sonde anzufallen. Grant beobachtete den winzigen roten Punkt auf seiner langsamen Wanderung entlang der grünen Kurve. Beinahe dort. Viel fehlt nicht mehr.
Schon waren sie in den Wolken. Orkanböen schüttelten und stießen die Sonde herum. Der von den Triebwerken auf sein Nervensystem übertragene Schmerz trieb ihm Tränen in die Augen.
Alles wurde dunkel. Für einen Moment dachte Grant, die Lichter seien wieder ausgegangen, dann aber erkannte er, dass er vor Schmerzen nicht klar denken konnte. Draußen war alles schwarz, sie waren in den dichten Wolken. Nur durchhalten, befahl er sich. Nur noch ein paar Minuten. Nicht nachlassen.
Er konnte es nicht hören, wusste aber, dass er schrie; sein Schädel vibrierte davon. Die Triebwerke drohten zusammenzubrechen, ganze Stücke der verbeulten Schubrohre wurden weggerissen und flogen davon. Die supraleitenden Spulen explodierten und entließen ihre angestaute Energie in einer Druckwelle, die eine breite Schneise in die äußere Hülle der Sonde riss. Für Grant war es, als würde ihm bei lebendigem Leib die Haut abgezogen und das Fleisch darunter von den Krallen eines bösartigen Raubtiers aufgerissen.
Er presste die Augen zu. Der Schmerz verschwand, doch seine Erinnerung hallte brutal bis in die feinsten Nervenenden wider. Jeder Muskel in Grants Körper war wund, steif, zerschunden.
Er war nahe daran, das Bewusstsein zu verlieren. Mit geschlossenen Augen sah er winzige helle Lichtpunkte von Sternen über die Dunkelheit verstreut.
Etwas, jemand schüttelte ihn. Als er die Augen öffnete, sah er, dass es Karlstad war, der hysterisch lachte, obwohl Grant nichts hören konnte.
Karlstad gestikulierte und zeigte zu einem der kleinen Bildschirme der unbesetzten Konsole rechts neben Grant. Dort war die gleiche Ansicht zu sehen, die Grant mit geschlossenen Augen gesehen hatte: die Ansicht, die von den Bordsensoren aufgefangen wurde.
Die Sterne.
Die stille schwarze Unendlichkeit des Raums. Auf einer Seite die Krümmung eines gefleckten orangeroten Mondes. Io, bemerkte Grant. Und dann glitt die massive Flanke des mächtigen Jupiters in Sicht, vielfarbige Wolkenstreifen jagten weit unter ihnen dahin.
»Wir haben es geschafft!«, sagte Karlstad mit Lippenbewegungen.
Grant schloss die Augen und sah die gleiche Aussicht, die der Bildschirm zeigte, nur klarer, in schärferen Einzelheiten. Wir haben es geschafft, erkannte er. Wir sind in einer Umlaufbahn.
FÜNFTER TEIL
Sie, die den wahren Gott mit der Lüge tauschten und den Geschöpfen Ehre und Anbetung erwiesen anstatt dem Schöpfer …
1. VERGELTUNG
Als Grant aus tiefem, traumlosem Schlaf erwachte, hörte er das Summen medizinischer Monitore.
Sein erster Gedanke war: Ich kann hören!
Er öffnete die Augen und sah sich in der Krankenstation. Sein Bett war durch dünne Plastikvorhänge von den anderen abgetrennt. Vom Kopf bis zu den Füßen tat ihm alles weh, aber der Schmerz, der so lange hinter seinen Augen gepocht hatte, war jetzt verschwunden. Er hatte einen klaren Kopf, fühlte sich nicht einmal schwindlig.
In einem Schwall kehrten die Erinnerungen zurück und schlugen über ihm zusammen. Wie sie in der zerschlagenen, gerade noch funktionsfähigen Zheng He aus dem Ozean und durch die Wolkenhülle gestiegen waren, wie sie die Umlaufbahn erreicht hatten. Die hektischen Botschaften von der Station alle abgelesen vom einzigen noch funktionierenden Konsolenbildschirm, weil er noch immer nichts hatte hören können. Zu erschöpft und mitgenommen, um mehr zu tun als halb betäubt an seiner Konsole auszuharren, hatte Grant den Autopiloten des Rendezvoussystems aktiviert, um sie zurück zur Station zu befördern. Das System hatte gut genug funktioniert, dass die Flugleiter an Bord der Station gemeinsam mit dem Autopiloten die Tauchsonde erfolgreich hatten andocken können.
Man hatte die ganze Besatzung in aller Eile zur Krankenstation geschafft. Grant erinnerte sich undeutlich, dass Dr. Wo in seinem Rollstuhl neben ihm hergefahren war, während zwei Krankenpfleger ihn im Laufschritt durch den Stationskorridor gerollt hatten. Der Direktor hatte unaufhörlich die Lippen bewegt, wahrscheinlich mit tausend Fragen, aber Grant hatte kein Wort hören können.
Er hatte keine Ahnung, wie lange er schon in der Krankenstation lag. Wie mochte es Lane, Zeb und Krebs ergehen? Hatten sie überlebt?
Vorsichtig richtete er sich zu sitzender Haltung auf. Das Krankenbett passte sich automatisch an und hob den oberen Teil, um ihm den Rücken zu stützen. Das Summen der medizinischen Monitore schien sich ein wenig zu verändern.
»Ich kann hören«, sagte er laut. Seine Worte waren von einem seltsamen leichten Nachhall begleitet, als hätte er im Innern einer Metallröhre gesprochen. »Ich bin am Leben«, sagte er, »und ich kann hören.«
»Ich auch.«
Es war Karlstads Stimme von der anderen Seite des Vorhangs zu seiner Linken.
»Egon!«, rief Grant. »Wir haben es geschafft!«
»Ja. Sie haben uns gerettet, Grant.«
»Ich?«
»Kein anderer, Junge. Sie haben uns ganz allein dort aus der Scheiße gezogen.«
»Aber ich habe nur …«