»Ich liebe dich, Grant«, sagte seine Frau. »Und ich vermisse dich schrecklich. Ich hoffe, du kannst bald heimkommen.«
Grant rückte das Mikrofon, das zu den Kopfhörern gehörte, so zurecht, dass seine Lippen es beinahe berührten, dann flüsterte er Marjorie eine lange, weitschweifige aber tief empfundene Botschaft zu, sagte ihr, wie sehr er sich nach ihr sehnte, dass er das erste Schiff zur Erde nehmen würde, sobald die Behörden ihm die Erlaubnis zum Verlassen der Station erteilen würden.
Doch als er versuchte, die Botschaft zu senden, erschien auf dem Bildschirm die Schrift: KEINE VERBINDUNG MÖGLICH. KEINE AUSGEHENDEN BOTSCHAFTEN GESTATTET.
Von der Außenwelt abgeschnitten. Vielleicht würden die Nachrichtenmedien imstande sein, zu ihm vorzudringen, sobald sie in der Station eintrafen, aber Karlstad mochte Recht behalten, wenn er meinte, dass Beech und seine Leute sie bis dahin fortgeschafft haben würden. Und es würde nicht so einfach sein wie Karlstad es sich vorstellte.
Grant entdeckte, dass es noch mehr Botschaften gab, Hunderte von Botschaften wildfremder Menschen, die Hass und Wut über seine »gottlose Blasphemie« ausstrahlten. Keine dieser Botschaften stammte von Leuten, die er kannte; alle waren von Fremden, und die meisten waren anonym, wollten nicht einmal ihren Namen daruntersetzen. Mehr als eine enthielt Morddrohungen. »Es ist die Pflicht der Jünger Gottes, dich totzuschlagen!«, sagte ein besonders frostiger, asketisch aussehender junger Mann.
Widerliche Frömmler. Karlsbad hatte Recht.
Es gab auch eine lange Liste eingehender Botschaften von den Nachrichtenmedien — aber der Inhalt der Botschaften war gelöscht, zensiert bis auf den Namen und die Zugehörigkeit des Absenders.
Erschrocken über die Hassbotschaften, zornig über die Zensur, verfasste Grant eine lange und optimistische Botschaft an seine Eltern und blieb dabei ganz im persönlichen Bereich, versicherte ihnen, dass es ihm gut gehe und vermied sorgfältig jede Andeutung wissenschaftlicher Information. Als er dem Taschencomputer Anweisung gab, den Text zu senden, antwortete der kleine Bildschirm trotzdem wie zuvor: KEINE VERBINDUNG MÖGLICH.
Wenn ich je zur Erde zurückkehre, wird es wahrscheinlich Sibirien sein, dachte er. Wenn mich nicht irgendein fanatischer Zelot vorher umbringt.
Karlstad schien jedoch unbesorgt und war zuversichtlich, dass die Nachrichtenmedien die Mauern der Neuen Ethik überwinden würden. Grant war da nicht so sicher. Er versuchte Dr. Wo anzurufen, aber selbst diese Verbindung wurde ihm verweigert.
Ich bin hier ein Gefangener, dachte er. Karlstad und ich werden gefangen gehalten. Aber was ist mit Zeb?
Sobald er wieder auf die Beine kommt, kann er allen erzählen, was wir erlebten und taten. Es sei denn, er kommt vorher ums Leben.
Die Stunden schleppten sich dahin. Grant fühlte sich ausgeruht und kräftig genug, um aufzustehen und zu seinem eigenen Quartier zu gehen, aber die diensttuende Krankenschwester erklärte ihm, er müsse in der Krankenstation bleiben. Wenigstens konnte er dort auf und ab gehen und dabei feststellen, dass er und Karlstad die einzigen Patienten in der Abteilung waren. Durch das Fenster in der Tür zum Korridor konnte er draußen zwei stämmige Sicherheitswächter sehen.
Sie waren tatsächlich Gefangene.
In dieser Nacht wollte sich der Schlaf nicht einstellen. Grant lag hellwach in seinem Bett und überlegte, was mit ihm geschehen würde. Die Neue Ethik entschied über sein Geschick. Ellis Beech bestimmte seinen Lebenslauf. Was maßten sich diese religiösen Eiferer an? ›Es ist die Pflicht der Jünger Gottes, dich totzuschlagen!‹ Er musste fort, ausbrechen aus dieser Falle. Aber wie?
Es ging auf sechs Uhr früh, als jemand in die noch dunkle Krankenstation kam. Mehr als eine Person, bemerkte Grant, als er ihren Schritten lauschte.
Meuchelmörder? Sein Herz krampfte sich in der Brust zusammen. Er war vollständig wehrlos. Es gab keine Möglichkeit, sich in der dunklen Krankenstation zu verstecken; er konnte nicht fortlaufen, es gab nur den einen Eingang.
Es waren zwei Männer, die leise an den leeren Betten vorbeigingen, geleitet vom bleistiftdünnen Strahl einer kleinen Taschenlampe.
»Welchen?«, hörte er einen Mann flüstern.
Kurzes Zögern. Grant schlüpfte aus dem Bett, die Fäuste geballt. Seine Knie zitterten. Trotz seiner Furcht fühlte er sich etwas lächerlich, wie er so dastand, bereit, in einem dünnen, knielangen Krankenhausnachthemd mit offenem Rücken um sein Leben zu kämpfen.
»Archer … hier ist sein Bett.«
Es waren zwei Sicherheitswächter in Uniform. Der dünne Lichtstrahl ging über Grants leeres Bett, dann schwang er herum und fiel auf ihn.
»Sie sind wach. Gut. Kommen Sie mit uns.«
»Wohin?«, fragte Grant.
»Dr. Wo will Sie sprechen.«
»Jetzt? Um diese Zeit?«
»Jetzt. Um diese Zeit. Kommen Sie, er hat es nicht gern, wenn man ihn warten lässt.«
2. ABSCHIED
Grant zog einen Bademantel über sein Krankenhausnachthemd und folgte den beiden Wächtern in den Korridor hinaus, wo noch die trübe Nachtbeleuchtung eingeschaltet war. In der Station war es still. Der »Morgen« begann um sieben, wenn die Lichter in den öffentlichen Räumen auf Tagesbeleuchtung umgeschaltet wurden. Der Korridor war leer, niemand sonst in Sicht.
»Hier entlang«, sagte einer der beiden. Beide waren größer als Grant, muskulös, ernst.
»Dr. Wos Büro ist in der anderen Richtung«, sagte Grant.
»Er ist nicht in seinem Büro. Kommen Sie.«
Mit zunehmender Beklommenheit ging Grant zwischen ihnen weiter. Er wusste nicht, was er sonst hätte tun können.
Seine Beine fühlten sich gummiartig an, nicht ganz unter seiner Kontrolle. Die Biochips, sagte er sich. Ich kann nicht einmal gut gehen; wenn ich zu laufen versuchte, würde ich wahrscheinlich auf die Nase fallen. Außerdem, wohin könnte ich laufen? Wenn diese zwei Zeloten oder Meuchelmörder wären, überlegte er, hätten sie mich in meinem Bett umgebracht. Und Karlstad dazu.
Trotzdem fühlte er sich von seinem Versuch, logisch zu denken, nicht ermutigt. Mörder handelten nicht immer rational, so viel war ihm klar.
In seiner Verzweiflung suchte er nach einem Ausweg aus dieser Lage, einer Taktik zur Lebensrettung. Nichts.
Widerstandslos ging er mit ihnen, ängstlich aber im Ungewissen darüber, was vor ihm lag, unsicher, was er tun konnte, was er tun sollte, um sein Leben zu retten.
So musste den Juden während des Holocaust zumute gewesen sein, dachte er. Wer kann mir helfen? Wohin kann ich laufen?
Endlich erreichten sie die schwere metallene Luke, die zum Aquarium führte. Als einer der Wächter sie öffnete, fragte Grant den anderen: »Wollen Sie mich ersäufen?«
Das granitharte Gesicht des Wächters verzog sich zu einem ironischen Grinsen. »Ich dachte, Sie können unter Wasser atmen.«
Sie winkten ihn durch die Luke, führten ihn dann die lange Reihe der dicken Fenster entlang, wo die Lichter aus den Fischtanks unruhig über den schmalen Gang spielten. Der Metallboden war kalt unter Grants bloßen Füßen. Die Fische schienen ihn mit großen Augen zu beobachten, ihre Mäuler gingen stumm auf und zu. Die Delphine glitten in ihrem großen Tank vorbei, lächelnd wie immer.
Sheena! Grant glaubte zu verstehen. Sie brachten ihn zu Sheena. Sie würde ihn in Stücke reißen, und es würde wie ein Unfall aussehen.
Seine Gedanken rasten. Vielleicht kann ich Sheena bewegen, dass sie mir hilft, dachte er. Wenn ich ihr nur zeigen könnte, dass ich ihr Freund bin … Wenn sie nur dieses eine Mal vergessen könnte, als ich sie versehentlich verletzte.
Jemand versperrte den Durchgang in der Nähe des Gorillaquartiers. Grant sah, dass es Dr. Wo in seinem elektrischen Rollstuhl war. Die Wächter machten zwanzig Meter vor dem Stationsdirektor respektvoll Halt, und Grant ging das letzte Stück allein, auf wankenden Beinen.