Wo bediente die Tastatur in der Armlehne seines Rollstuhls, und die Deckenbeleuchtung nahm ihre strahlende Tageshelligkeit an.
»Ich kann die Sonne aufgehen machen«, sagte er mit schiefem Lächeln. »Eines der Privilegien, die man als Stationsdirektor hat.«
Und Sheena erwacht mit der Sonne, dachte Grant. Er wandte sich erwartungsvoll dem Eingang zu ihrer Nische zu. Ob sie noch zornig auf mich ist?, dachte er.
In ungewöhnlich sanftem Ton sagte Wo: »Sie hat nach Ihnen gefragt.«
»Wirklich?«
»Als ich ihr erzählte, Sie seien verletzt, wurde sie ziemlich unruhig.«
Grant wusste nicht, was er sagen sollte.
Er hörte sie auf ihrem Lager rascheln, als sie aufstand, dann kam sie schnaufend und schnüffelnd wie jemand, der gerade von einem gesunden Nachtschlaf erwacht ist, zum Eingang getappt. Als er aufstand, wehte ihn der starke Tiergeruch an, und gleich darauf erschien Sheena im Eingang, haarig und kompakt.
»Grant«, sagte sie mit ihrer heiseren, kratzigen Stimme.
»Hallo, Sheena.«
Sie richtete den Blick ihrer großen braunen Augen kurz auf Dr. Wo, blickte aber sofort zurück zu Grant.
»Grant weh.«
»Es ist wieder gut, Sheena. Alles in Ordnung.«
»Nicht weh?«
»Nicht mehr«, sagte Grant. »Es ist schön, dich zu sehen, Sheena.«
»Sheena nicht weh.«
Sie erinnerte sich noch an das neurale Netz, merkte Grant. Aber vielleicht hatte sie es ihm vergeben.
Der Gorilla blickte wieder zu Dr. Wo, kam dann auf den Knöcheln einen Schritt näher. Grant streckte ihr die Hand hin, die Innenseite nach oben. Sheena streckte ihren Arm aus und berührte leicht seine Handfläche.
»Grant Freund«, sagte sie.
»Sheena ist mein Freund«, erwiderte er. »Ja. Freund.«
»Sheena und ich gehen zu einem neuen Ort«, warf Dr. Wo ein, »wo Sheena viele neue Freunde haben wird.«
Sheena schien darüber nachzudenken, dann sagte sie: »Neue Freund? Grant mit?«
»Ich fürchte nein, Sheena. Ich muss noch eine Weile hier bleiben. Vielleicht werde ich später kommen und dich besuchen.«
»Du kommen. Besuchen neue Freund. Besuchen Sheena.«
»Das werde ich tun«, versprach Grant und hoffte, dass er eines Tages in der Lage sein würde, Wort zu halten.
3. DIE SCHÖNHEIT DEINES HAUSES
Überrascht, wie schwer ihm der Abschied von Sheena geworden war, kehrte Grant zur Krankenstation zurück, wo er und Karlstad geduldig eine letzte Untersuchung über sich ergehen ließen. Nach ihrer offiziellen Entlassung zogen sie sich eilig an und gingen zu ihren Quartieren, beide mit unbeholfenen Schritten, weil ihnen die implantierten Elektroden als Fremdkörper, die kaum unter ihrer Kontrolle waren, noch immer Schwierigkeiten bereiteten.
Grant ging an seiner Tür vorbei.
Karlstad, der neben ihm hertappte, fragte: »Haben Sie vergessen, wo Sie wohnen?«
»Ich habe was zu tun«, sagte Grant. »Eine ganze Menge, wenn ich es recht bedenke.«
»Das Einzige, was ich möchte, ist eine anständige Mahlzeit und dass die Mediziner diese verdammten Biochips abschalten, damit ich mich wieder wie ein ganzer Mensch fühlen kann.«
Grant nickte abwesend und ging weiter, als Karlstad vor seiner Tür stehen blieb.
»Und dann werde ich Laynie besuchen«, rief Karlstad ihm nach. »Aber im Ernst.«
Grant schenkte ihm keine Beachtung. Tamiko. Die ganze Zeit hatte Tamiko für Beech gearbeitet. Wirklich für ihn gearbeitet, nicht bloß so getan, wie er. Sie war eine Zelotin. Sie war gefährlich.
Er ging zu Hideshis Quartier und klopfte an die Tür. Sie klapperte leicht. Komisch, dachte Grant, ich habe nie bemerkt, wie dünn und schwach diese Türen sind.
»Wer ist da?«, rief Hideshis Stimme.
»Grant Archer.«
Sie schob die Tür zurück und ließ Grant mit einer stummen Geste in ihr Zimmer ein. Beim Eintreten sah er eine offene Reisetasche auf dem Bett liegen. Kleider waren darum verstreut. Die Schubladen ihrer Kommode hingen offen und leer.
»Sie reisen ab?«, fragte er.
»Mit Beech, ja.«
»Sie sind eine seiner Agentinnen, nicht wahr?«
»Das ist offensichtlich«, sagte Hideshi. Sie ging zum Bett und setzte sich zwischen die Kleider darauf.
»Und Sie sind eine Zelotin.«
Hideshi antwortete nicht.
»Sie würden mich töten, wenn Beech es von Ihnen verlangte, nicht wahr?«
Sie machte eine säuerliche Miene. »Er wird es nicht tun. Es wäre jetzt sinnlos. Sie haben Ihren Schaden angerichtet. Es wäre kontraproduktiv, einen Märtyrer aus Ihnen zu machen.«
»Wie könnten Sie es fertig bringen, einen Menschen zu töten?«, fragte Grant, ungläubig wider besseres Wissen.
»Um den Weg für Sein Königreich zu bereiten«, sagte sie, als zitiere sie auswendig. »Um Sein Werk zu vollenden. Ich bin bereit, mein eigenes Leben zu geben, sollte es notwendig sein.«
»Aber das ist nicht, was Gott will.«
»Wie können Sie das wissen?«, höhnte sie. »Sie sind auf der Seite der anderen. Sie werden alle in der Hölle brennen.«
Grant trat zu ihrem Schreibtisch und ließ sich auf den Bürostuhl nieder. »Tami, hier geht es nicht um Religion.«
»Ach nein?«
»Nein«, sagte Grant. Er fühlte sich müde, ausgelaugt.
»Es geht um Politik. Sehen Sie nicht? Die Neue Ethik gebraucht Religion als Deckmantel für ihre politischen Ziele. Es ging niemals um Religion. Es war immer Politik.«
»Da liegen Sie völlig schief, Grant. Wir tun Gottes Werk. Ihr Säkularisten steht auf der Seite des Teufels.«
»An ihren Früchten …«
»Kommen Sie mir nicht mit Bibelzitaten!«, fauchte Hideshi. »Versuchen Sie nicht, mich zu Ihrem Atheismus zu bekehren!«
»Aber ich bin gläubig!«
»Sagen Sie.«
Geradeso gut könnte man zu einer Statue sprechen, dachte Grant. Dann fiel ihm der eigentliche Grund seines Besuches ein.
»Sie töteten Irene Pascal, nicht wahr?«
Hideshi sah überrascht aus, beinahe schockiert. »Ich? Warum sollte ich?«
»Um die Tiefenmission zunichte zu machen.«
Sie lachte ihn aus. »Sie Schlauberger, immer auf der falschen Fährte! Ich habe niemanden umgebracht.«
»Wer war es dann?«
»Kayla.«
»Kayla! Sie ist eine von Ihnen?«
Mit einem selbstzufriedenen Lächeln sagte Hideshi: »Gehen Sie hin und fragen Sie sie selbst.«
Grant machte sich auf die Suche und durchstreifte die Station. Kayla, sagte er sich. Sie ist eine der Zeloten. Die ganze Station muss von ihnen befallen sein. Ich muss sie finden, bevor sie weiteren Schaden anrichtet. Bevor sie noch jemand umbringt oder versucht, die ganze Station zu sprengen. Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr festigte sich seine Überzeugung, dass Tamiko ihm die Wahrheit gesagt hatte. Kayla Ukara, mit ihrem immerwährenden zornigen Stirnrunzeln, war in jener letzten Nacht allein mit Irene gewesen. Kayla musste ihr die Amphetamine eingegeben haben, die sie später umgebracht hatten.
Zuerst hatte er Devlin verdächtigt. Devlin hatte Zugang zu allen Arten von Drogen, und Grant wusste, dass er Irene etwas verkauft hatte. Aber sie war zu intelligent, um eine gefährliche Überdosis zu nehmen. Sie hätte es niemals von sich aus getan. Nein, die Überdosis musste ihr von einer Person beigebracht worden sein, die sie kannte und der sie vertraute. Einer, die sie liebte.
Kayla Ukara. Eine Zelotin. Eine religiöse Fanatikerin. Eine Mörderin.
Er suchte die Station nach ihr ab, angefangen mit ihrem gewohnten Arbeitsplatz im Labor, dann nahm er sich die Werkstätten vor, bis er endlich die Tür der Befehlszentrale aufstieß.
In der Zentrale war es still, die Lampen waren bis auf die trübe Notbeleuchtung ausgeschaltet, desgleichen der große Wandbildschirm und die Konsolen. Außer der einen, an der Ukara saß und vornübergebeugt in einen kleinen Bildschirm starrte, die Ellbogen auf der Tastatur, das Kinn in die Hände gestützt, den Blick unverwandt auf den einzigen leuchtenden Bildschirm gerichtet.