Grant tappte leise die Rampe hinunter, die für Dr. Wos Rollstuhl gebaut worden war. Er blieb stehen, als er über Ukaras Schulter sehen konnte, dass der Bildschirm, den sie beobachtete, ein Video von Irene Pascal zeigte.
»Sie haben sie umgebracht«, sagte Grant.
Sie fuhr herum. Ihre Züge zeigten deutlich das Erschrecken.
»Sie haben Irene ermordet.«
Einen Augenblick lang dachte Grant, sie werde ihn anspringen. Ihre Muskeln spannten sich, die Finger krümmten sich zu Krallen. Dann entspannte sie sich, Zorn und Erschrecken wichen aus ihren Zügen und sie sackte zurück in den Bürostuhl.
»Ich tötete Irene«, gab sie zu. »Es war nicht Mord, aber ich tötete sie, ja.«
»Sie versuchten die Tiefenmission zu torpedieren.«
Ukara schüttelte den Kopf. »Ich wollte nur Irene retten. Ich wollte nicht, dass sie an der Mission teilnahm. Sie selbst fürchtete sich davor, hatte schreckliche Angst, war aber zu loyal, um den Dienst zu verweigern.«
»Sie wollten sie retten?«, erwiderte Grant. »Indem Sie ihr eine tödliche Dosis Amphetamine einflößten, um sie umzubringen?«
»Es war keine tödliche Dosis«, antwortete Ukara. Sie sah jetzt unglücklich aus. »Ich wusste nicht, dass es sie töten würde. Ich wollte bloß, dass sie krank genug sein würde, um von der Mission befreit zu werden.«
Grant zog einen der anderen Stühle heran und setzte sich ihr gegenüber. »Ich wünschte, ich könnte das glauben.«
»Ich wusste nicht, dass es in dieser Suppe, in der sie lebten, so stark auf Irene wirken würde. Ich wollte sie nicht umbringen. Ich liebte sie.«
Grant musterte ihr Gesicht. Ukara sah jetzt nicht wie ein Panther aus. Sie sah elend und unglücklich aus, den Tränen nahe.
»Aber Sie sind eine Zelotin, nicht wahr?«, bohrte er.
Ukaras Augen öffneten sich weit. »Eine Zelotin? Eine von diesen Fanatikern?« Sie stieß ein bitteres, zorniges Lachen aus. »Ach ja, gewiss. Eine schwarze Lesbierin. Sie haben ganze Bataillone von uns in ihren Reihen!«
Sie sprang auf. »Ich tötete die Person, die ich liebte! Ist das nicht Bestrafung genug, ohne dass ein Idiot wie Sie dumme Fragen stellt? Dr. Wo versteht, was geschehen ist. Wer hat Sie ernannt, hier den Staatsanwalt zu mimen?«
Wieder dachte Grant, sie würde ihn anspringen, doch stattdessen schritt sie zornig aus der Befehlszentrale und ließ ihn allein sitzen, und verblüfft in Irene Pascals Gesicht auf dem Bildschirm der einzigen eingeschalteten Konsole starren.
Lange saß er so da, dachte nach, erinnerte sich, ließ die Stunden und Tage und Wochen Revue passieren. So vieles war geschehen. Alles hatte sich so sehr verändert. Die ganze Welt hatte sich verändert.
Er wandte sich zur Konsole und aktivierte ihr Kommunikationssystem.
»Sicherheitsdienst«, sagte er mit fester Stimme.
Der Bildschirm zeigte den jungen Mann, der Beech in die Krankenstation begleitet hatte. Er trug einen dunklen Anzug, war glatt rasiert, das Haar sauber gekämmt.
»Ich möchte meine Frau anrufen«, sagte er.
Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Sie sind von der Außenwelt abgeschnitten. Das bedeutet keine ausgehenden Botschaften oder Anrufe. Seien Sie dankbar, dass wir Sie aus der Krankenstation gelassen haben.«
Grant nickte knapp und unterbrach die Verbindung.
»Red Devlin«, sagte er dem Computer.
Der Bildschirm blieb für ein paar Augenblicke leer, aber endlich grinste ihn Devlins jugendliches, schnurrbärtiges Gesicht daraus an.
»Hallo, Grant. Was kann ich für Sie tun?«
Devlin schien im Küchenbereich zu sein. Hinter ihm sah Grant die hohen Edelstahltüren eines Gefrierschranks und die Ecke von etwas, das ein großer Elektroherd zu sein schien.
»Ich muss ein Ferngespräch machen«, sagte Grant, »aber die maßgeblichen Stellen wollen mich ohne Verbindung zur Außenwelt halten.«
Devlin zog die roten Brauen hoch. »Mit anderen Worten, Sie möchten, dass ich die Typen von der Neuen Ethik umgehe?«
»Ja. Können Sie das machen?«
»Und ob ich es machen werde, für Sie allemal, Kumpel. Sie sind ein Held, und diese frömmlerischen Scheißkerle gehen mir schon lange auf den Geist.«
Grant zögerte. »Ah, es wird eine persönliche Botschaft sein. An meine Frau.«
Devlin nickte. »Verstehe. Komprimieren Sie die Botschaft und schießen Sie sie mir durch das reguläre Telefonsystem herüber. Ich werde die Nachricht mit meiner üblichen Einkaufsliste einem Kumpel von mir auf der Erde senden. Er wird sie dann für Sie an die richtige Adresse weiterleiten.«
»Dank, Red«, sagte Grant. »Dafür schulde ich Ihnen was.«
Lachend erwiderte Devlin: »He, Sie werden hier demnächst ein großer Zampano sein. Da muss ich mich doch gut mit Ihnen stellen, nicht wahr?«
Grant machte seine Botschaft an Marjorie kurz. Er sagte ihr, dass er gesund und wohlauf sei, doch gebe es Probleme mit der amtlichen Bürokratie, die ihn daran hinderten, sie direkt anzurufen.
»Ich bin sicher, dass wir das alles ziemlich rasch in Ordnung bringen können«, sagte Grant bei dem Gedanken an die Schiffsladungen von Journalisten, die unterwegs zur Station waren.
»Aber …« Er zögerte, befeuchtete sich die Lippen und traf die Entscheidung. »Aber ich werde hier noch lange in der Station bleiben, Marjorie. Ich möchte dich bei mir haben. Ich brauche dich bei mir. Wirst du hierher kommen? Ich weiß, dass es die Aufgabe deiner Arbeit bedeutet, aber deine zwei Jahre Dienstpflicht sind ohnedies beinahe um. Bitte komm her. Ich liebe dich, Marjorie. Ich vermisse dich schrecklich. Komm und arbeite mit mir, lebe mit mir. Hier muss ich sein und hier muss ich dich bei mir haben.«
Er wagte es nicht, seine Botschaft noch einmal durchzulesen, komprimierte die Daten und schoss sie durch die Leitung zu Devlin.
Red wird sie zu Marjorie durchbringen, sagte er sich. Es mag einen oder zwei Tage dauern, aber sie wird meine Botschaft bekommen.
Er stand von der Konsole auf und ging langsam die Rampe hinauf und hinaus in den Korridor. Dann werden wir sehen, dachte er. Wird sie heraufkommen, um hier mit mir zu leben?
Er war zuversichtlich. Trotz der vergangenen Zeit und der Entfernung zwischen ihnen liebte er noch immer seine Frau. Aber liebte auch sie ihn noch? Genug, um alles zurückzulassen und die weite Reise zu machen?
Ja, dachte er. Ich glaube, sie wird es tun. Aber selbst wenn sie nicht kommt, muss ich hierbleiben. Ich muss.
Ziellos wanderte er den Hauptkorridor der Station entlang. Leute grüßten ihn mit Lächeln und Hallo, und einige klopften ihm sogar auf die Schulter. Grant lächelte und sagte Hallo und winkte ihnen zu.
Und sah sich endlich im Aussichtsraum der Station. Niemand war dort. Er trat ein und schloss leise die Tür hinter sich. Der Raum war dunkel, nur winzige Lampen am Boden zeigten, wo eine Couch und ein paar Polstersessel standen. Die langen Fenster waren mit Läden verschlossen. Beinahe wie ein Blinder tastete sich Grant zu dem sehr matt glimmenden Schalter, der die Läden aktivierte.
Sie öffneten sich leicht und ohne ein anderes Geräusch als das gedämpfte Summen eines Elektromotors.
Jupiters Licht flutete in den Raum. Grant stockte der Atem, als er die verschiedenfarbigen Wolkenstreifen über das Gesicht des gigantischen Planeten ziehen sah. Es gibt Lebewesen unter diesen Wolken, sagte er sich. Und im Ozean gibt es intelligente Lebewesen.
Dessen war er ganz sicher. Er verstand auch, dass er bereit war, den Rest seines Lebens mit dem Versuch zu verbringen, es zu beweisen.