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Zweitens seelisch: Eine große Begegnung verlangt nicht nur einen genauen Rahmen, sie erhebt auch Anspruch, in einer ihr angemessenen Verfassung berichtet zu werden. Deshalb gewaltig gesoffen und gehurt. Getrunken habe ich zuerst einige Liter Apfelwein, stilwidrig, ich weiß (Preisfrage), doch trank ich ihn nur, um mich in Fahrt zu bringen, als das Mädchen dabei war, ging ich zum Kognak über. Keine Angst, mein Magen war immer unverwüstlich. Das Mädchen war übrigens nicht Giselle (die mit der bemerkenswerten Figur), sondern Monika (oder Marie oder Marianne, jedenfalls begann ihr Name mit M), es ging groß her, später wußte sie eine Menge Volkslieder aus deutschen Filmen, ich schlief ein, noch später war sie mit meinem Bargeld verschwunden. Ich war inzwischen zu Birnenschnaps übergegangen und fand sie in einem alkoholfreien Cafe in der Nähe des Bellevue. Ich stöberte sie mit Giselle und mit deren Beschützer wieder auf (der schon erwähnte Lucky), welcher sich auch als ihr Beschützer erwies. Ich stellte sie zur Rede, und er stellte humanerweise das Finanzielle richtig, Marlene (oder Monika oder Magdalena) mußte herausgeben. Überhaupt ging es menschlich zu. Sogar nobel, die Kellnerin übersah, daß ich meine Flasche Williamine mitgebracht hatte, wir tranken alle vier. Dann kam Hélène, ganz unverhofft, ganz unerwartet, wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt. Aus einer schlechteren Welt. Seit ich sie mit Stüssi-Leupin gesehen hatte — wann war das, vor zwei Monaten, drei, vor einem halben Jahr? — , hatte ich nicht an sie gedacht, zwar noch, als einst, in irgendeiner Nacht, gegen den Morgen zu, die nackte Giselle über mir wie ein geschaukelter Buddha thronte, aber dann nicht mehr, bestimmt nicht mehr — nur noch flüchtig, als ich über die regennasse Straße beim Bellevue ging, aber das zählt nicht, war nur eine Auswirkung des Wetterumsturzes aufs Gemüt —, und nun stand sie da, mußte mich direkt im Café gesucht haben. Ich mußte lachen, alles lachte. Hélène blieb ruhig, freundlich, überlegen, klar, alles was man will an tadelloser Haltung, das war ja das Verzweifelte, daß sie sich immer beherrschte, ruhig, freundlich, überlegen, klar blieb, ich hätte sie töten, ermorden, erdrosseln, vergewaltigen können, zu einer Hure machen, das wäre mir das liebste gewesen.

«Ich habe mit Ihnen zu reden, Herr Spät«, sagte sie und sah mich bittend an.

«Was ist denn das für ein Mädchen?«fragte Giselle.

«Ein feines Mädchen«, erklärte ich,»ein Mädchen aus gutem Hause, das Töchterlein eines Mörders.»

«Mit wem schläft sie denn?«wollte Marianne (oder Magdalene oder Madeleine) wissen.

«Sie liegt mit einem Super-Rechtsanwalt im Bett«, erläuterte ich,»mit dem Star aller juristischen Stare, mit einem ausgebildeten Galgenvogel, mit dem großen Allerweltsadvokaten Stüssi-Leupin, jeder Fick ist da ein juristischer Akt.»

«Herr Spät«, sagte Hélène.

«Nehmen Sie Platz«, antwortete ich.»Wünschen Sie auf dem Schoß dieses famosen Herrn Lucky zu sitzen, der diese zwei Mädchen beschützt und dessen Rechtsanwalt zu sein ich die Ehre habe, oder wünschen Sie einen Sessel?»

«Einen Sessel«, antwortete Hélène leise.

Lucky schob ihr einen Sessel zu, höflich, piekfein, eben ganz der weltmännische Lucky mit dem schwarzen Schnurrbärtchen, dem Palmolive-Gesicht und dem braunen Apostelblick, verbeugte sich sogar, stank meilenweit nach Parfüm und Camel. Sie setzte sich zögernd.»Eigentlich wollte ich mit Ihnen allein reden«, sagte sie.

«Unnötig«, lachte ich.»Wir haben hier keine Geheimnisse. Mit Fräulein Giselle schlafe ich seit Wochen, mit der wackeren Monika oder Marianne, weiß der Teufel, wie sie heißt, diese Nacht. Sie sehen, es geht öffentlich genug zu. Also schießen Sie los.»

Hélène hatte Tränen in den Augen.

«Sie haben mich einmal etwas gefragt.»

«Weiß.»

«Als ich mit Herrn Stüssi-Leupin Kaffee…»

«Es ist mir vollkommen klar, was Sie meinen«, unterbrach ich sie,»nur brauchen Sie nicht vor diesen Schuft noch ein Herr zu setzen.»

«Ich hatte damals den Sinn Ihrer Frage nicht verstanden«, sagte sie leise.

Es war auf einmal still geworden. Giselle war von meinem Schoß geglitten, schminkte sich. Ich wurde wütend, goß Williamine hinunter, bemerkte plötzlich, daß meine Haare verklebt waren, mein Gesicht schweißig, daß meine Augen brannten, daß ich mich nicht rasiert hatte, daß ich stank, die plötzliche Verlegenheit der Mädchen ärgerte mich gewaltig, es war, als ob sie sich vor Hélène schämten, als ob Heilsarmeestimmung sich ausbreitete, ich hätte alles zusammenschlagen können, die Welt war verkehrt. Hélène hätte kriechen sollen vor diesen Mädchen, sollte auch kriechen. Ich trank immer mehr Williamine, ohne etwas zu sagen, stierte einfach in das stille Gesicht vor mir mit den großen dunklen Augen.