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«Fahren Sie hier wieder vorbei«, sagte er.

Ende Oktober. Die Bäume rot und gelb. Auf den Straßen Laub. Vor dem Breitingerhof wartete schon die Steiermann, als ich vorgefahren kam, trug nichts als ein schwarzes Herrenpyjama am Leib, dem der linke Ärmel fehlte. Groß. Rothaarig. Zynisch. Schön. Fror. Ihr linkes Auge war blau zugeschwollen. Der Mund aufgeschlagen. Der nackte Arm zerkratzt. Sie winkte mir zu, spuckte in weitem Bogen Blut. Im Hotelportal wütete Benno, auch er zerschlagen und verkratzt, von zwei Gepäckträgern festgehalten, die Hotelfenster voller Menschen. Um die Steiermann Zuschauer, neugierig, grinsend, ein Polizist regelte den Verkehr. In einem weißen Sportwagen saß düster ein junger blonder Mann, offenbar Cuxhafen, ein Jung-Siegfried, sichtlich startbereit. Aus dem Hotel kam Direktor Pedroli, klein und agil, und legte der Steiermann einen Pelzmantel um die Schultern, sicher einen kostbaren, ich kenne mich in Pelzmänteln nicht aus.»Sie frieren, Monika, Sie frieren.»

«Ich hasse Pelzmäntel, du Scheißkerl«, sagte sie und warf ihm den Pelzmantel über den Kopf.

Ich hielt neben ihr.»Lienhard schickt mich«, sagte ich.»Spät, Rechtsanwalt Spät.»

Sie stieg mühsam in den Porsche.

«Total verprügelt«, stellte ich fest.

Sie nickte. Dann schaute sie mich an. Ich wollte eigentlich starten, aber ihr Blick machte mich unsicher.

«Haben wir uns nicht schon irgendwo gesehen?«fragte sie und hatte Mühe mit Sprechen.

«Nein«, log ich und startete.

«Cuxhafen folgt uns«, sagte sie.

«Wenn schon.»

«Er ist Rennfahrer.»

«Formel 1.»

«Den hängen wir nicht ab.»

«Und wie! Wohin?»

«Zu Lienhard«, sagte sie,»in seine Wohnung.»

«Weiß Cuxhafen, wo Lienhard wohnt?«fragte ich.

«Er weiß nicht einmal, daß es Lienhard gibt.»

Bei der Stopp-Markierung an der Hegibachstraße hielt ich pflichtgemäß. Auf dem Trottoir stand Fanter in seiner Polizeiuniform, trat zum Porsche, verlangte meine Papiere. Ich gab sie ihm, er überprüfte sie, nickte höflich. Dann wandte er sich Cuxhafen zu, der hinter mir hatte anhalten müssen, um nun dessen Papiere sorgfältig zu prüfen. Dann ging er um dessen Wagen herum, langsam, umständlich, immer wieder die Papiere überprüfend. Cuxhafen fluchte, wie ich im Rückspiegel bemerkte. Ich sah noch, wie er aussteigen mußte, wie Fanter ein Notizbuch hervorkramte, dann fuhr ich durch die Klusstraße gegen den See, durch den Höhenweg in die Biberlinstraße und zum Adlisberg, machte zur Sicherheit noch einige Umwege, raste dann durch die Katzenschwanzstraße zu Lienhards Bungalow.

Ich parkte vor der Gartentüre. Das Chalet nebenan mußte Jämmerlin gehören. Ich hatte gelesen, er würde heute sechzig, daher die vielen Wagen an der sonst wohl einsamen Straße. Er gab ein Gartenfest. Eben fuhr Stüssi-Leupin vor. Die Steiermann hinkte mir in ihrem schwarzen Pyjama die steile Treppe hinauf fluchend nach. Stüssi-Leupin hatte seinen Wagen verlassen und schaute zu uns herüber, offensichtlich belustigt. Jämmerlins Gesicht tauchte mißbilligend über der Hecke auf.

«Hier«, sagte die Steiermann und gab mir einen Schlüssel. Ich öffnete die Haustür, ließ die Steiermann eintreten. Durch die Haustür gelangte man unvermittelt in eine Wohnhalle. Ein moderner Raum mit alten Möbeln. Durch die offene Tür sah man in ein Schlafzimmer mit einem komfortablen Bett. Sie setzte sich auf einen Diwan, schaute auf einen Picasso über einer alten Truhe.»Der hat mich gemalt.»

«Ich weiß«, sagte ich.

Sie betrachtete mich amüsiert.»Und jetzt weiß ich, woher ich Sie kenne«, sagte sie.»Von Mock. Ich spielte Ihnen eine Statue vor.»

«Möglich«, antwortete ich.

«Sie sind damals mächtig erschrocken«, erinnerte sie sich, und dann fragte sie:»Habe ich Ihnen damals denn gar nicht gefallen, daß Sie mich vergessen haben?»

«Doch, doch«, gab ich zu,»Sie haben mir schon gefallen.»

«Also haben Sie mich doch nicht vergessen«, meinte sie.

«Nicht ganz«, gab ich zu.

Sie lachte.»Na dann, weil Sie sich erinnern. «Sie stand auf und zog sich das Pyjama aus, stand splitternackt da, frech und erregend, gleichgültig, daß überdeutlich zu sehen war, wie unmäßig sie von Benno vermöbelt worden war. Sie trat an das große Fenster, von dem aus man zu Jämmerlin hinüber sah. Dort hatten sich die Gäste versammelt, starrten herüber, Jämmerlin mit einem Fernglas, neben ihm Stüssi-Leupin, der winkte. Monika nahm die Pose der Statue an, die Mock von ihr gemacht hatte, Stüssi-Leupin klatschte in die Hände, Jämmerlin drohte mit der Faust.

«Vielen Dank, daß Sie mich befreit haben«, sagte die Steiermann immer noch in der Pose, in der sie ihre Betrachter betrachteten, mir den Rücken zukehrend.

«Zufall«, antwortete ich.»Im Auftrag Lienhards.»

«Ich werde immer verprügelt«, sagte sie nachdenklich.»Zuerst von Benno und später von Cuxhafen. Und die anderen haben mich auch immer verprügelt. «Sie wandte sich wieder mir zu.

«Das versöhnt einen wieder mit Ihnen«, sagte ich.»Jetzt schwillt auch Ihr rechtes Auge zu.»

«Na und?»

«Soll ich ein nasses Tuch aufstöbern?«fragte ich.

«Quatsch«, sagte sie,»aber im Schrank finden Sie Cognac und Gläser.»

Ich öffnete einen alten Engadiner Schrank und fand, was sie verlangte, schenkte ein.

«Sie waren wohl oft hier?«fragte ich.

«Manchmal. Ich bin wohl wirklich eine Nutte«, stellte sie etwas bitter und etwas verblüfft, doch großzügig fest.

Ich lachte.»Die werden besser behandelt.»

Sie leerte das Glas Cognac und sagte dann:»Jetzt nehm ich ein heißes Bad.»

Sie hinkte ins Schlafzimmer. Verschwand. Ich hörte Wasser einlaufen, Fluchen. Dann kam sie zurück, verlangte noch einen Cognac.

Ich schenkte ein.»Wird es Ihnen nicht schaden, Monika?»

«Unsinn«, antwortete sie,»ich bin ein Roß. «Dann hinkte sie wieder zurück.

Als ich das Badezimmer betrat, lag sie in der Wanne und seifte sich ein.»Brennt verteufelt«, sagte sie.

Ich setzte mich auf den Wannenrand. Ihr Gesicht verfinsterte sich.

«Wissen Sie, was ich jetzt mache?«fragte sie, und als ich nicht antwortete,»Schluß, ich mache Schluß.»

Ich reagierte nicht.

«Ich bin nicht Monika Steiermann«, erklärte sie gleichgültig. Ich starrte sie verwundert an.

«Ich bin nicht Monika Steiermann«, wiederholte sie, und dann ruhig:»Ich führe nur das Leben der Monika Steiermann. Mein Vater war Professor Winter.»

Schweigen. Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte.

«Ihre Mutter?«fragte ich und wußte gleichzeitig, daß es eine blödsinnige Frage war. Was ging mich ihre Mutter an.

Es war ihr gleichgültig.»Lehrerin«, antwortete sie,»im Emmental. Winter hat sie sitzenlassen. Er hat immer Lehrerinnen sitzenlassen.»

Sie konstatierte es ohne Groll.

«Ich heiße Daphne. Daphne Müller«, dann lachte sie:»So darf man eigentlich gar nicht heißen.»

«Wenn Sie nicht Monika Steiermann sind, wer ist dann Monika Steiermann?«fragte ich verwirrt.»Gibt es die überhaupt?»

«Fragen Sie Lüdewitz«, antwortete sie.

Dann wurde sie stutzig.»Ein Verhör?«fragte sie.

«Sie haben einen Rechtsanwalt verlangt. Ich bin Rechtsanwalt.»

«Ich sag's Ihnen schon, wenn ich Sie brauche«, antwortete sie plötzlich nachdenklich, fast feindselig geworden.

Lienhard erschien. Ich hatte ihn nicht kommen hören. Er war einfach auf einmal da. Er stopfte sich eine seiner Dunhill.»Zufrieden, Spät?«fragte er.

«Ich weiß nicht«, antwortete ich.

«Zufrieden, Daphne?«fragte er.

«Mittelmäßig«, antwortete sie.

«Ich hab dir einige Kleider mitgebracht«, sagte er.

«Hab ja Bennos Pyjama«, meinte sie.

Draußen das Heranheulen eines Krankenwagens.