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«Unsinn«, sagte es mit seiner dunklen Stimme, die voller Selbstverachtung war.»Benno ist ein verkommener, kitschiger Geck, in den ich mich verliebt habe. Ich verliebe mich immer in kitschige Männer, weil Daphne sich immer in kitschige Männer verliebt.»

Das Wesen, das ich in den Armen hielt, fühlte sich wie ein winziges Gerippe an.

«Ich habe Daphne meinen Namen gegeben, damit sie das Leben führt, das ich hätte führen wollen, und sie hat es geführt«, stellte es fest.»Ich hätte auch mit jedem geschlafen. Haben Sie auch mit ihr geschlafen?«fragte das Wesen auf einmal trocken.

«Nein, Frau Steiermann.»

«Schluß mit Beten!«kommandierte es.

Die Usbeken erhoben sich. Jener, der das Wesen hereingetragen hatte, nahm es wieder auf die Arme. Ich hatte mich unwillkürlich ebenfalls erhoben, immer noch das Glas Whisky mit Eis in der Hand. Ich hatte meinen Auftrag ausgeführt und wollte mich verabschieden.

«Setzen Sie sich wieder, Rechtsanwalt«, befahl es. Ich gehorchte. Von den Armen des Usbeken sah es auf mich nieder. Seine Augen hatten nun etwas Drohendes. Verbannt in einen kleinen, zerkrüppelten Leib, konnte es sich nur durch seine Augen und durch die Stimme ausdrücken.

«Ein Messer«, sagte es.

Einer der Usbeken klappte ein Messer auf, reichte es ihm.

«Zu Bennos Fotos«, sagte das Wesen.

Der Usbeke trug es zu den Fotos an den Wänden, und es zerschnitt ruhig, als operiere es, Dr. Benno wie er lächelte, zerschnitt Dr. Benno wie er aß, wie er saß, zerschnitt Dr. Benno wie er nachdachte, wie er schlief, wie er strahlte, wie er trank, zerschnitt Dr. Benno im Frack, zerschnitt Dr. Benno im Smoking, im Maßanzug, im Reitkostüm, zerschnitt Dr. Benno beim Pistolenschießen, als Seeräuber auf einem Maskenball, in der Badehose, ohne Badehose, zerschnitt Dr. Benno im Fechttenue am Olympia-Turnier, zerschnitt Dr. Benno im Tennisanzug, Dr. Benno im Schlafanzug, Dr. Benno auf der Jagd, wir machten Platz, ich war von den Usbeken umstellt, jener, der das kleine Wesen trug, umkreiste uns in der höllischen Hitze dieses Kabinetts, dessen Boden sich mit den Fetzen der zerschnittenen Fotos zu bedecken begann. Als alle Fotos zerschnitten waren, nahmen wir unsere Plätze ein, als ob nichts geschehen wäre. Das Wesen wurde mir wieder auf den Schoß gesetzt. Ich saß da wie ein Vater mit einer Mißgeburt.

«Das hat mir gutgetan«, sagte es ruhig.»Jetzt lasse ich Daphne fallen. Ich sorge dafür, daß sie wird, was sie einmal gewesen ist.»

Es blickte zu mir auf. Das faltige Gesicht wirkte so uralt, als sei das Wesen geboren worden, bevor es Menschen gab.

«Lassen Sie den alten Kohler grüßen«, sagte es.»Er hat mich oft besucht. Wenn ich zornig geworden bin, weil er seinen Willen durchsetzen wollte, bin ich in der Bibliothek herumgeklettert und habe ihn mit Büchern beworfen. Aber er hat immer seinen Willen durchgesetzt. Noch jetzt leitet er meine Geschäfte. Vom Zuchthaus aus. Daß wir statt in die Optik und in die Elektronik in die Produktion von Panzerwaffen und Flugabwehrkanonen, Mörsern und Haubitzen einsteigen, ist Kohlers Verdienst. Denken Sie, Lüdewitz ist dazu fähig, oder gar ich? Sehen Sie mich an.»

Das Wesen schwieg.

«Ich habe nichts im Kopf als Vögeln«, sagte es dann, und der Hohn und die Verachtung, die dieses mißgestaltete Geschöpf gegenüber sich selber hatte, wurde wieder spürbar.

«Wegtragen«, befahl es.

Der Usbeke nahm es wieder auf die Arme.

«Adieu, Rechtsanwalt Spät«, sagte es, und in seiner Stimme war wieder der ruhige, überlegene Spott. Die Flügeltür wurde geöffnet, der Usbeke trug Monika Steiermann hinaus. Die Flügeltür schloß sich wieder. Ich war mit den zwei allein, die mich hereingebracht hatten. Sie traten vor meinen Ledersessel. Der eine nahm mir das Glas Whisky aus der Hand, ich wollte mich erheben, der andere drückte mich nieder. Dann klatschte mir der Scotch ins Gesicht, das Eis war schon vergangen. Die beiden rissen mich hoch, trugen mich aus dem Kabinett, durch die Halle, aus der Haustüre, den Park hinunter, an den Gartenzwergen vorbei, öffneten das Parkportal und warfen mich vor meinen Porsche. Ein altes Ehepaar, das auf dem Trottoir spazierte, starrte mich und dann die beiden Usbeken verwundert an, die sich im Park verloren.

«Fremdarbeiter«, sagte ich und nahm den Strafzettel zu mir, den ein Polizist unter den Scheibenwischer geklemmt hatte. Vor einer Ausfahrt sollte man nicht parken.

Bericht über einen Bericht über Berichte: Das Kommuniqué erschien drei Tage nach meinem Besuch am Wagnerstutz in unserem weltbekannten Lokalblatt, verfaßt von einem gewissen Nationalrat Äschisburger, dem Anwalt der Hilfswerkstätte Trög AG, des Inhalts, die Person, die seit zehn Jahren, von einem Internat an der Côte d'Azur auf die Gesellschaft losgelassen, unsere Stadt mit ihren Skandalen in Atem halte, sei nicht Monika Steiermann, als die sie sich mit der gütigen Erlaubnis der körperlich schwerbehinderten Erbin der Hilfswerkstätte Trög AG ausgebe, sondern die am 9.9.1930 geborene Daphne Müller, uneheliches Kind der Ernestine Müller, Lehrerin in Schangnau, Kanton Bern, gestorben am 2.12.1942, und des Adolf Winter, außerordentlicher Professor an der hiesigen Universität, ermordet am 25.3.1955. Diese dem Charakter des Nationalrats entsprechende grobe Pressemitteilung erweckte jenen Skandal, den Äschisburger beabsichtigt hatte, die Presse, vorher rücksichtsvoll, wurde rücksichtslos, selbst die Prügelei im >Breitingerhof< wurde ausführlich geschildert, Pedroli gab bekannt, Benno schulde ihm Aufenthalt und Essen für drei Monate, er hätte angenommen, die Steiermann würde schließlich zahlen, und nun sei die Steiermann gar nicht die Steiermann, doch blieben sowohl Daphne als auch Benno unauffindbar, die Meute stürzte sich auf mich, Äschisburger hatte angedeutet, ich hätte die echte Steiermann besucht, Ilse Freude wehrte sich wie eine Löwin, einige Reporter drangen gleichwohl zu mir vor, ich rettete mich in Vages, Unbestimmtes, verwies auf Lienhard, nannte unvorsichtigerweise Cuxhafen, den Pedroli verschwiegen hatte, die Meute stob nach Reims davon, zu spät, Cuxhafens neuer Maserati explodierte bei einer Testfahrt, und mit ihm löste sich der Prinz in seine Bestandteile auf, die Reporter, wieder in unserer Stadt, belagerten >Mon Repos<, Autokarawanen am Wagnerstutz, niemand wurde in den Park gelassen, geschweige in die Villa, ein Wagemutiger, der nachts, versehen mit allen technischen Apparaturen, über die Mauer kletterte, fand sich morgens, ohne daß er wußte, was ihm geschehen war, nackt, bar jeder Kleidung und Kameras, vor dem Parkportal im Matsch, denn mit dem Kommuniqué war auch der Herbst über Nacht zusammengebrochen, ein Sturm hatte die rostbraunen und gelben Farben von den Bäumen gefegt, man watete durch Laub und Äste, dann setzte Regen ein, später Schnee, wieder Regen, ein schmutziger Brei deckte die Stadt zu, in welchem nun der Reporter frierend stand. Doch setzte der Skandal nicht nur die Presse in Bewegung, er entzündete auch die Phantasie. In unserer Stadt wurden die unsinnigsten Gerüchte ausgebrütet, die ich allzulange nicht wahrnahm. Ich war zu sehr mit meiner Lage beschäftigt. Meine Klienten begannen sich abzusetzen, die Reise nach Caracas zerschlug sich, die lukrative Scheidung fiel ins Wasser, beim Steueramt fand ich keinen Glauben. Der hoffnungsvolle Neubeginn sah auf einmal hoffnungslos aus, der Vorschuß Kohlers war aufgebraucht, ich kam mir vor, als wäre ich bei einem Marathonlauf wie ein 100-Meter-Läufer gestartet, nun lag endlos die Strecke zur rentierenden Anwaltspraxis vor mir. Ilse Freude sah sich nach einem neuen Arbeitsplatz um. Ich stellte sie zur Rede.

Sie saß im Vorzimmer hinter dem Schreibtisch, hatte einen kleinen Spiegel auf die Tastatur gestellt und schminkte die Lippen karminrot. Ihr Haar, das gestern strohblond gewesen war, war schwarz mit einem Stich ins Blaue, das grünlich wirkte. Es war fünf Minuten nach sechs.

«Sie spionieren mir nach, Herr Doktor!«reklamierte Ilse Freude und schminkte sich weiter.