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«Lienhard ist nicht Rechtsanwalt«, antwortete Fanter.

«Wo ist sie denn?»

«Halt bei Dr. Benno.»

«Mensch, Fanter, nicht so umständlich, wo ist Benno?»

«Sie fragen mich umständlich«, meinte Fanter.»Benno verprügelt die Steiermann im >Breitingerhof<. Der Prinz von Cuxhafen ist auch dort.»

«Der Rennfahrer?»

«Der.»

Ich rief den >Breitingerhof< an und verlangte Dr. Benno. Direktor Pedroli meldete sich am Apparat. Wer anrufe.

«Spät, Rechtsanwalt.»

«Er verprügelt die Steiermann wieder«, lachte Pedroli.»Gehn Sie ans Fenster, dann hören Sie's.»

«Ich bin am Zeltweg.»

«Macht nichts. Es hallt über die ganze Stadt«, meinte Pedroli.»Die Gäste verlassen fluchtartig mein Fünfsternhotel.»

Ich hatte meinen Porsche in der Sprecherstraße parkiert. Fanter setzte sich neben mich, und wir fuhren los.

«Durch die Hegibachstraße«, sagte Fanter.

«Ein Umweg«, gab ich zu bedenken.

«Egal. Die Steiermann hält was aus.»

In der Nähe der Klusstraße bei einer Stopp-Markierung stieg Fanter aus.

«Fahren Sie hier wieder vorbei«, sagte er.

Ende Oktober. Die Bäume rot und gelb. Auf den Straßen Laub. Vor dem Breitingerhof wartete schon die Steiermann, als ich vorgefahren kam, trug nichts als ein schwarzes Herrenpyjama am Leib, dem der linke Ärmel fehlte. Groß. Rothaarig. Zynisch. Schön. Fror. Ihr linkes Auge war blau zugeschwollen. Der Mund aufgeschlagen. Der nackte Arm zerkratzt. Sie winkte mir zu, spuckte in weitem Bogen Blut. Im Hotelportal wütete Benno, auch er zerschlagen und verkratzt, von zwei Gepäckträgern festgehalten, die Hotelfenster voller Menschen. Um die Steiermann Zuschauer, neugierig, grinsend, ein Polizist regelte den Verkehr. In einem weißen Sportwagen saß düster ein junger blonder Mann, offenbar Cuxhafen, ein Jung-Siegfried, sichtlich startbereit. Aus dem Hotel kam Direktor Pedroli, klein und agil, und legte der Steiermann einen Pelzmantel um die Schultern, sicher einen kostbaren, ich kenne mich in Pelzmänteln nicht aus.»Sie frieren, Monika, Sie frieren.»

«Ich hasse Pelzmäntel, du Scheißkerl«, sagte sie und warf ihm den Pelzmantel über den Kopf.

Ich hielt neben ihr.»Lienhard schickt mich«, sagte ich.»Spät, Rechtsanwalt Spät.»

Sie stieg mühsam in den Porsche.

«Total verprügelt«, stellte ich fest.

Sie nickte. Dann schaute sie mich an. Ich wollte eigentlich starten, aber ihr Blick machte mich unsicher.

«Haben wir uns nicht schon irgendwo gesehen?«fragte sie und hatte Mühe mit Sprechen.

«Nein«, log ich und startete.

«Cuxhafen folgt uns«, sagte sie.

«Wenn schon.»

«Er ist Rennfahrer.»

«Formel 1.»

«Den hängen wir nicht ab.»

«Und wie! Wohin?»

«Zu Lienhard«, sagte sie,»in seine Wohnung.»

«Weiß Cuxhafen, wo Lienhard wohnt?«fragte ich.

«Er weiß nicht einmal, daß es Lienhard gibt.»

Bei der Stopp-Markierung an der Hegibachstraße hielt ich pflichtgemäß. Auf dem Trottoir stand Fanter in seiner Polizeiuniform, trat zum Porsche, verlangte meine Papiere. Ich gab sie ihm, er überprüfte sie, nickte höflich. Dann wandte er sich Cuxhafen zu, der hinter mir hatte anhalten müssen, um nun dessen Papiere sorgfältig zu prüfen. Dann ging er um dessen Wagen herum, langsam, umständlich, immer wieder die Papiere überprüfend. Cuxhafen fluchte, wie ich im Rückspiegel bemerkte. Ich sah noch, wie er aussteigen mußte, wie Fanter ein Notizbuch hervorkramte, dann fuhr ich durch die Klusstraße gegen den See, durch den Höhenweg in die Biberlinstraße und zum Adlisberg, machte zur Sicherheit noch einige Umwege, raste dann durch die Katzenschwanzstraße zu Lienhards Bungalow.

Ich parkte vor der Gartentüre. Das Chalet nebenan mußte Jämmerlin gehören. Ich hatte gelesen, er würde heute sechzig, daher die vielen Wagen an der sonst wohl einsamen Straße. Er gab ein Gartenfest. Eben fuhr Stüssi-Leupin vor. Die Steiermann hinkte mir in ihrem schwarzen Pyjama die steile Treppe hinauf fluchend nach. Stüssi-Leupin hatte seinen Wagen verlassen und schaute zu uns herüber, offensichtlich belustigt. Jämmerlins Gesicht tauchte mißbilligend über der Hecke auf.

«Hier«, sagte die Steiermann und gab mir einen Schlüssel. Ich öffnete die Haustür, ließ die Steiermann eintreten. Durch die Haustür gelangte man unvermittelt in eine Wohnhalle. Ein moderner Raum mit alten Möbeln. Durch die offene Tür sah man in ein Schlafzimmer mit einem komfortablen Bett. Sie setzte sich auf einen Diwan, schaute auf einen Picasso über einer alten Truhe.»Der hat mich gemalt.»

«Ich weiß«, sagte ich.

Sie betrachtete mich amüsiert.»Und jetzt weiß ich, woher ich Sie kenne«, sagte sie.»Von Mock. Ich spielte Ihnen eine Statue vor.»

«Möglich«, antwortete ich.

«Sie sind damals mächtig erschrocken«, erinnerte sie sich, und dann fragte sie:»Habe ich Ihnen damals denn gar nicht gefallen, daß Sie mich vergessen haben?»

«Doch, doch«, gab ich zu,»Sie haben mir schon gefallen.»

«Also haben Sie mich doch nicht vergessen«, meinte sie.

«Nicht ganz«, gab ich zu.

Sie lachte.»Na dann, weil Sie sich erinnern. «Sie stand auf und zog sich das Pyjama aus, stand splitternackt da, frech und erregend, gleichgültig, daß überdeutlich zu sehen war, wie unmäßig sie von Benno vermöbelt worden war. Sie trat an das große Fenster, von dem aus man zu Jämmerlin hinüber sah. Dort hatten sich die Gäste versammelt, starrten herüber, Jämmerlin mit einem Fernglas, neben ihm Stüssi-Leupin, der winkte. Monika nahm die Pose der Statue an, die Mock von ihr gemacht hatte, Stüssi-Leupin klatschte in die Hände, Jämmerlin drohte mit der Faust.

«Vielen Dank, daß Sie mich befreit haben«, sagte die Steiermann immer noch in der Pose, in der sie ihre Betrachter betrachteten, mir den Rücken zukehrend.

«Zufall«, antwortete ich.»Im Auftrag Lienhards.»

«Ich werde immer verprügelt«, sagte sie nachdenklich.»Zuerst von Benno und später von Cuxhafen. Und die anderen haben mich auch immer verprügelt. «Sie wandte sich wieder mir zu.

«Das versöhnt einen wieder mit Ihnen«, sagte ich.»Jetzt schwillt auch Ihr rechtes Auge zu.»

«Na und?»

«Soll ich ein nasses Tuch aufstöbern?«fragte ich.

«Quatsch«, sagte sie,»aber im Schrank finden Sie Cognac und Gläser.»

Ich öffnete einen alten Engadiner Schrank und fand, was sie verlangte, schenkte ein.

«Sie waren wohl oft hier?«fragte ich.

«Manchmal. Ich bin wohl wirklich eine Nutte«, stellte sie etwas bitter und etwas verblüfft, doch großzügig fest.

Ich lachte.»Die werden besser behandelt.»

Sie leerte das Glas Cognac und sagte dann:»Jetzt nehm ich ein heißes Bad.»

Sie hinkte ins Schlafzimmer. Verschwand. Ich hörte Wasser einlaufen, Fluchen. Dann kam sie zurück, verlangte noch einen Cognac.

Ich schenkte ein.»Wird es Ihnen nicht schaden, Monika?»

«Unsinn«, antwortete sie,»ich bin ein Roß. «Dann hinkte sie wieder zurück.

Als ich das Badezimmer betrat, lag sie in der Wanne und seifte sich ein.»Brennt verteufelt«, sagte sie.

Ich setzte mich auf den Wannenrand. Ihr Gesicht verfinsterte sich.

«Wissen Sie, was ich jetzt mache?«fragte sie, und als ich nicht antwortete,»Schluß, ich mache Schluß.»

Ich reagierte nicht.

«Ich bin nicht Monika Steiermann«, erklärte sie gleichgültig. Ich starrte sie verwundert an.

«Ich bin nicht Monika Steiermann«, wiederholte sie, und dann ruhig:»Ich führe nur das Leben der Monika Steiermann. Mein Vater war Professor Winter.»

Schweigen. Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte.

«Ihre Mutter?«fragte ich und wußte gleichzeitig, daß es eine blödsinnige Frage war. Was ging mich ihre Mutter an.

Es war ihr gleichgültig.»Lehrerin«, antwortete sie,»im Emmental. Winter hat sie sitzenlassen. Er hat immer Lehrerinnen sitzenlassen.»

Sie konstatierte es ohne Groll.

«Ich heiße Daphne. Daphne Müller«, dann lachte sie:»So darf man eigentlich gar nicht heißen.»

«Wenn Sie nicht Monika Steiermann sind, wer ist dann Monika Steiermann?«fragte ich verwirrt.»Gibt es die überhaupt?»

«Fragen Sie Lüdewitz«, antwortete sie.

Dann wurde sie stutzig.»Ein Verhör?«fragte sie.

«Sie haben einen Rechtsanwalt verlangt. Ich bin Rechtsanwalt.»

«Ich sag's Ihnen schon, wenn ich Sie brauche«, antwortete sie plötzlich nachdenklich, fast feindselig geworden.

Lienhard erschien. Ich hatte ihn nicht kommen hören. Er war einfach auf einmal da. Er stopfte sich eine seiner Dunhill.»Zufrieden, Spät?«fragte er.

«Ich weiß nicht«, antwortete ich.

«Zufrieden, Daphne?«fragte er.

«Mittelmäßig«, antwortete sie.

«Ich hab dir einige Kleider mitgebracht«, sagte er.

«Hab ja Bennos Pyjama«, meinte sie.

Draußen das Heranheulen eines Krankenwagens.

«Jämmerlin wird wieder einen Herzanfall bekommen haben«, sagte Lienhard trocken.»Ich habe ihm sechzig Rosen überreicht.»

«Und mich hat er nackt gesehen«, lachte sie.

«Das bist du ja öfters«, meinte er.

«Woher wußten Sie eigentlich, wer Daphne ist, Lienhard?«fragte ich.

«Man kommt eben darauf. Gelegentlich«, antwortete er und steckte seine Dunhill in Brand.»Wohin darf ich dich bringen, Fräulein Müller?»

«Nach Ascona.»

«Ich fahr dich hin.»

«Geschäftstüchtig«, meinte sie anerkennend.

«Kommt auf die Spesen«, sagte Lienhard.»Die zahlt er. «Damit wies er auf mich.»Er hat einige unbezahlbare Informationen bekommen.»

«Ich habe auch noch einen Auftrag für ihn«, sagte Daphne.

«Nun?«fragte Lienhard.

Ihr nicht ganz zugeschwollenes rechtes Auge glitzerte, und mit ihrer linken Hand fuhr sie durch ihr zinnoberrotes Haar.

«Er soll der echten Monika Steiermann, dieser lesbischen Ziege, ausrichten, ich wolle sie nicht mehr sehen. Hat sie's von einem Rechtsanwalt, ist's offiziell.»

Lienhard lachte.»Mädchen, das gibt einen Skandal, den du dir nicht vorstellen kannst.»

«Mir egal«, sagte sie.

Lienhards Dunhill wollte im Dampf des Badezimmers nicht recht brennen. Er zündete sie noch einmal an.

«Spät«, meinte er,»mischen Sie sich da nicht rein. Das ist ein Rat.»

«Sie haben mich hineingemischt«, antwortete ich.

«Auch wieder wahr«, sagte Lienhard und lachte, und dann sagte er zu Daphne:»Steig raus.»

«Sie sind ja auf einmal ein Redner geworden«, meinte ich zu Lienhard und ging.

Später, im Zeltweg, rief ich Lüdewitz an. Der tobte. Ich wußte zuviel. Er wurde kleinlaut. Und so kam mein Besuch bei der wirklichen Monika Steiermann zustande.

Zweite Rede an den Staatsanwalt: Je mehr ich schreibe, desto unwahrscheinlicher fällt mein Bericht aus. Ich bastle schriftstellerisch gewaltig, bemühe mich sogar im Dichterischen, berichte von der Wetterlage, versuche geographisch exakt zu sein, schaue im Stadtplan nach, all das nur, weil Sie, Herr Staatsanwalt Joachim Feuser (verzeihen Sie, daß der Tote in der Leichenhalle wieder an Sie persönlich das Wort richtet), das Literarische, ja Poetische schätzen und sich überhaupt als einen musischen Menschen betrachten, wie Sie bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten — sogar vor dem Geschworenengericht — zu erwähnen lieben und daher, ohne meine literarischen Zutaten, mein Manuskript womöglich in die Ecke feuern könnten. Aber mein Bericht bleibt Klischee. Trotz Dichtung. Tut mir leid. Ich komme mir wie der Verfasser eines Kolportageromans vor: ich als Gerechtigkeitsfanatiker, Lienhard als Limmat-Sherlock-Holmes, und Daphne Müller als Messalina der Goldküste, wie unser rechtes Seeufer genannt wird. Die Statue mit den straffen Brüsten und der unanständigen Haltung, die ich bei Mock übersehen hatte, während ich die lebendige Daphne als Statue bewunderte, dieses sinnliche Weibsbild aus bemaltem Gips ist mir (von der echten ganz zu schweigen) nachträglich lebendiger in Erinnerung als das Mädchen, das nun in meinem Bericht vorkommt. Natürlich ist es an sich gleichgültig, ob sie und falls, wie oft sie mit Lienhard schlief — mit wem schlief sie nicht? — , aber die inneren Beweggründe und Vorgänge sind nun einmal für meinen Bericht wesentlich, wie etwas geschieht in dieser verschlungenen Welt und warum. Stimmt das äußere Geschehen, lassen sich die inneren Motive wenn nicht mit Sicherheit erraten, so doch ahnen, stimmen die äußeren Fakten nicht, fand ein Beischlaf statt, den man nicht aufzeichnete, oder vermeldete man einen, der nicht stattfand, schwebt man im Leeren, im Vagen. So auch hier. Wie kam Lienhard hinter das Geheimnis der» falschen «Monika Steiermann? Weil er mit ihr schlief? Dann hätten es viele gewußt. Liebte sie ihn? Dann hätte sie es ihm nicht gesagt. Hatte sie Angst? Möglich. Und was Benno betrifft, wollte Lienhard ihn von Anfang an verdächtigen? War Daphne der Grund? Ich stelle diese Fragen, weil man mir die Schuld an Daphnes Tod zuschiebt. Ich hätte nicht die echte Monika Steiermann aufsuchen sollen. Aber Daphne hat mich darum gebeten. Ich hatte einer Möglichkeit nachzugehen. Diesen Auftrag hatte ich angenommen und auch den Vorschuß von fünfzehntausend Franken, auch wenn ich an die Unmöglichkeit dieser Möglichkeit glaubte und jetzt noch glaube: Denn daß Dr.h.c. Isaak Kohler der Mörder Winters ist, daran ist nicht zu zweifeln. Daß es auch ein anderer hätte sein können, ist nur eine Möglichkeit, die nichts besagt, daß auf der Suche nach dieser Möglichkeit übersehene Fakten ans Licht kommen, liegt am Wesen der Fiktion, Kohler sei nicht der Mörder, die ich für diese Suche machen mußte. Im übrigen habe ich die Wahrheit zu schreiben, bei der Wahrheit zu bleiben, doch eben: Was ist die Wahrheit hinter der Wahrheit? Ich stehe vor Vermutungen, tappe herum. Was stimmt? Was ist übertrieben? Was verfälscht? Was wird verschwiegen? Was soll ich bezweifeln? Was glauben? Ist überhaupt etwas Wahres, Sicheres, Gewisses hinter diesen Vorgängen, hinter diesen Kohlers, Steiermanns, Stüssi-Leupins, Lienhards, Hélènes, Bennos usw., die mir da über den Weg gelaufen sind, etwas Wahres, Sicheres, Gewisses, Wirkliches hinter unserer Stadt, hinter unserem Land? Ist nicht alles rettungslos abgekapselt, hoffnungslos ausgeschlossen von den Gesetzen und Motiven, die die übrige Welt in Schwung und Atem halten, ist nicht alles hinterwäldlerisch, mitteleuropäisch, provinzlerisch eben, unwirklich, was hier lebt, liebt, frißt, schiebt, geschäftelt und tüftelt, sich weiterzeugt und weiterorganisiert? Was stellen wir noch dar? Was repräsentieren wir noch? Steckt noch ein Körnchen Sinn, ein Gran Bedeutung in der Bagage, die ich beschreibe? Aber vielleicht lauert die Antwort auf diese Frage hinter allem und jedem, vielleicht bricht sie unvermutet aus jeder denkbaren menschlichen Situation und Konstellation hervor, überfallartig, wie aus einem Versteck. Die Antwort wird das Urteil über uns sein, der Vollzug dieses Urteils die Wahrheit. Ich will es glauben. Leidenschaftlich und beharrlich. Nicht der exquisiten Gesellschaft zuliebe, in der ich vegetiere, nicht dieser unerträglichen Relikte wegen, die mich umgeben, sondern um der Gerechtigkeit willen, der zuliebe ich handle, handeln muß, will ich mir den letzten Rest Menschlichkeit bewahren (pathetisch, feierlich, erhaben, heiliger Ernst mit Orgelbegleitung, was ich da niederschreibe, aber ich streiche es nicht durch, korrigiere es nicht, wozu auch Korrekturen, wozu auch Stil, nicht literarische Ambitionen leiten mich, sondern mörderische Absichten, im übrigen: nicht betrunken, Herr Staatsanwalt, Irrtum, nicht betrunken, nur nüchtern, eisig nüchtern, tödlich nüchtern). Es bleibt mir darum nichts anderes übrig (Auf Ihr Wohl, Herr Staatsanwalt!), als zu saufen, zu huren, zu berichten, meine Bedenken anzumelden, meine Fragezeichen zu setzen und zu warten, zu warten, bis sich die Wahrheit enthüllt, bis sich die grausame Göttin entschleiert (doch literarisch geworden, zum Kotzen). Das wird nicht in diesen Papieren geschehen, die Wahrheit ist keine Formel, die sich aufzeichnen läßt, sie liegt außerhalb jeder sprachlichen Bemühung, außerhalb jeder Dichterei, nur im Hereinbrechen des Gerichts, in diesem ewigen Selbstvollzug der Gerechtigkeit wird sie wirksam, ist sie zu ahnen. Wahrheit wird sein, wenn ich einmal vor Dr.h.c. Kohler stehen werde, Auge in Auge, wenn ich die Gerechtigkeit verwirklichen und das Urteil vollziehen werde. Dann wird einen Augenblick, einen Herzschlag, eine blitzschnelle Ewigkeit, die peitschende Sekunde eines Schusses lang die Wahrheit aufleuchten, die Wahrheit, die sich mir jetzt beim Nachdenken verflüchtigt, die kaum mehr zu sein scheint als ein bizarres böses Märchen. Als ein solches kommt mir auch mein Besuch bei der» echten «Steiermann vor: mehr Traum als Wirklichkeit, mehr Sage als Tatsache.