Weil die Accipiter gerade gegen einen Westwind ankämpfte, wurde die mörderische Hitze von der afrikanischen Küste auf dem Oberdeck durch eine steife Brise gemildert. Von seiner Position aus konnte Julius deutlich sehen, dass die Accipiter wohl nicht auf Schnelligkeit, dafür aber auf den Kampf ausgerichtet war. Das offene Deck, eine breite Fläche aus Holz, im Laufe der Jahrzehnte von der sengenden Sonne ausgebleicht, war frei von Hindernissen. Nur am hinteren Ende erhob sich ein Aufbau mit den Kabinen von Gaditicus und Prax. Der Rest der Zenturie schlief in engen Quartieren unter Deck. Ihre Ausrüstung war im Waffenlager untergebracht, wo sie jederzeit schnell erreichbar war. Regelmäßige Drills und Übungen sorgten dafür, dass sie in weniger als einer Umdrehung des Sandglases von Schlaf zu Gefechtsbereitschaft wechseln konnten. Sie waren eine sehr disziplinierte Mannschaft, dachte Julius. Könnten sie jemals ein anderes Schiff einholen, wären sie mit Sicherheit unschlagbar.
»Offizier an Deck!«, bellte ihm Suetonius plötzlich ins Ohr, und Julius schreckte auf und nahm Haltung an. Gaditicus hatte einen sehr viel älteren Mann zu seinem Optio gewählt. Julius schätzte, dass Prax nur noch ein oder zwei Jahre vom Ruhestand trennten. Er hatte bereits einen leichten Bauchansatz, den er jeden Morgen sorgfältig gürten musste. Aber er war ein anständiger Offizier, dem die Spannungen zwischen Julius und Suetonius bereits in den ersten Wochen an Bord aufgefallen waren. Es war Prax gewesen, der dafür gesorgt hatte, dass sie zusammen Wache stehen mussten. Den Grund dafür hatte er ihnen nicht genannt.
Er nickte ihnen freundlich zu, als er über das Oberdeck schlenderte und mit seinem allmorgendlichen Rundgang anfing. Prax überprüfte jedes Tau, das zu dem flatternden viereckigen Segel über ihnen hinaufführte, und ließ sich auf die Knie hinunter, um die sichere Vertäuung der Deckkatapulte zu kontrollieren. Erst nachdem die sorgfältige Inspektion beendet war, kam er auf die jungen Offiziere zu und erwiderte beiläufig ihren Gruß. Er ließ den Blick über den Horizont wandern, lächelte vor sich hin und rieb sich zufrieden das frisch rasierte Kinn.
»Vier… nein, fünf Segel«, sagte er gut gelaunt. »Der Handel der Nationen. Aber nicht genug Wind für diejenigen, die sich nur auf ihn verlassen.«
Mit der Zeit war Julius klar geworden, dass sich hinter Prax’ freundlichem Äußeren ein Verstand verbarg, dem nichts auf der Accipiter entging, sei es über oder unter Deck. Wenn man die oft belanglosen Gesprächseröffnungen überstanden hatte, waren seine Ratschläge meistens überaus wertvoll. Suetonius hielt ihn für einen alten Narren, schien jedoch immer mit lebhaftem Interesse zuzuhören. Diese Strategie verfolgte er bei allen höher gestellten Offizieren.
Prax nickte nachdenklich und fuhr fort: »Wir brauchen die Ruder, um nach Thapsus zu gelangen, aber von da ab haben wir eine einfache Fahrt die Küste hoch. Nachdem wir die Soldkisten abgeliefert haben, müssten wir Sizilien in wenigen Wochen erreicht haben. Das heißt, wenn wir in der Zwischenzeit nicht noch ein paar Seeräuber aus unseren Gewässern verjagen müssen. Sizilien ist einfach herrlich.«
Julius nickte. Er fühlte sich bei Prax weitaus weniger angespannt als in der Gesellschaft des Kapitäns, trotz jenes vertrauteren Moments nach dem Einsatz in Mytilene. Prax war bei der Erstürmung der Festung nicht dabei gewesen, doch das schien ihm nichts ausgemacht zu haben. Julius vermutete, dass Prax mit den leichteren Aufgaben an Bord der Accipiter durchaus zufrieden war. Er wartete auf seinen wohl verdienten Ruhestand und darauf, bei einer Legion in der Nähe von Rom abgesetzt zu werden, so dass er seinen ausstehenden Sold abholen konnte. Das war einer der Vorteile davon, mit Gaditicus Piraten zu jagen. Die fünfundsiebzig Denare, die den Legionären jeden Monat zustanden, sammelten sich an, weil es kaum Gelegenheiten gab, das Geld auszugeben. Selbst abzüglich der Kosten für die Ausrüstung und dem Zehnten, der für die Witwen- und Begräbnisrücklage einbehalten wurde, hatten die meisten Männer eine hübsche Summe angespart, wenn ihre Zeit um war. Selbstverständlich nur, wenn sie das Geld bis dahin nicht verspielt hatten.
»Herr, warum fahren wir mit Schiffen, die den Feind nicht einholen können? Wir könnten das Mare Internum in weniger als einem Jahr säubern, wenn wir sie zwingen würden, sich uns im Kampf zu stellen.«
Prax lächelte, er schien sich über die Frage zu freuen.
»Im Kampf zu stellen… Ach, das passiert von Zeit zu Zeit, aber sie sind einfach bessere Seeleute als wir. Meistens rammen und entern sie uns, bevor wir unsere Männer hinüberschicken können. Wenn wir aber unsere Legionäre auf ihr Deck kriegen, haben wir den Kampf natürlich gewonnen.«
Langsam blies Prax die Luft aus seinen geblähten Wangen und versuchte eine Erklärung. »Wir brauchen mehr als leichtere und schnellere Schiffe – aber ich werde es wohl nicht mehr erleben, dass Rom das nötige Geld bereitstellt, die zu bauen –, wir brauchen eine professionelle Mannschaft an den Rudern. Diese drei senkrechten Bänke, die sie so präzise zu nutzen wissen… Kannst du dir vorstellen, was unsere muskelbepackten Sklaven damit anstellen würden? Sie würden sie zu Kleinholz machen, noch bevor wir zum ersten Mal Höchstgeschwindigkeit erreicht hätten. So wie wir ausgerüstet sind, brauchen wir keine Experten, und vom Standpunkt des Senats aus betrachtet, brauchen wir deshalb auch keinen Sold zu zahlen, um welche zu bekommen. Man braucht nur einmal Geld, um die Sklaven zu kaufen, und danach trägt sich das Schiff praktisch selbst. Und immerhin versenken wir ein paar von ihren Schiffen, auch wenn es so aussieht, als gäbe es trotzdem immer mehr Piraten.«
»Es ist nur manchmal… ziemlich frustrierend«, erwiderte Julius. Eigentlich hätte er gerne gesagt, dass es schlichtweg irrwitzig war, wenn die mächtigste Nation der Welt von der Hälfte der Schiffe auf dem Meer geschlagen werden konnte. Aber Prax schien trotz seiner Freundlichkeit ein wenig reserviert, deshalb unterließ er diesen Kommentar. Es gab eine unsichtbare Grenze, die von einem Jüngeren nicht überschritten werden durfte, auch wenn diese Grenze bei Prax nicht ganz so deutlich gezogen war wie bei anderen.
»Wir sind eben Landbewohner, meine Herren, auch wenn einige von uns die See am Ende doch lieben lernen, so wie ich. Der Senat betrachtet unsere Flotte lediglich als Transportmöglichkeit, um unsere Soldaten schneller in anderen Ländern zum Einsatz zu bringen. Wie zum Beispiel in Mytilene. Vielleicht begreifen auch die Senatoren eines schönen Tages, dass es genauso wichtig ist, das Meer zu beherrschen. Aber wie gesagt, ich glaube nicht, dass das noch zu meinen Lebzeiten geschieht. In der Zwischenzeit ist die Accipiter eben etwas schwerfällig und langsam, aber das bin ich auch, und sie ist schon doppelt so alt wie ich.«
Suetonius lachte pflichtbewusst, was Julius zusammenzucken ließ, doch Prax schien es nicht zu bemerken. Prax’ Worte riefen Erinnerungen in Julius wach. Ihm fiel ein, dass Tubruk einmal etwas Ähnliches gesagt hatte. Er hatte ihn die dunkle Erde des Guts in den Händen halten lassen und ihn an all die Generationen vor ihm erinnert, die sie mit ihrem Blut getränkt hatten. Die Erinnerung daran schien aus einem anderen Leben zu stammen. Damals hatte sein Vater noch gelebt, Marius war Konsul mit einer rosigen Zukunft gewesen. Er fragte sich, ob jemand wohl ihre Gräber pflegte. Einen Moment lang drängten die dunklen Sorgen, die seine Gedanken immer unterschwellig beschäftigten, an die Oberfläche. Wie immer, wenn das passierte, redete er sich selbst gut zu. Tubruk würde sich ganz sicher um Cornelia und seine Mutter kümmern. Er vertraute niemandem auch nur halb so sehr wie diesem Mann.