»Ich habe mehr als zweitausend Mann unter dem Adler der Primigenia«, erwiderte Julius. Er verschwieg, dass Cato die Hälfte davon gestellt hatte, um seinen Sohn zu schützen. Renius hatte sie bis zum Umfallen exerzieren lassen, doch im Vergleich zu den schon länger bestehenden Legionen waren sie immer noch zweite Wahl. Er fragte sich, wie viele von ihnen auf den richtigen Augenblick warteten, um ihm ein Messer in den Rücken zu jagen. Mit solchen Männern strotzte er nicht gerade vor Selbstvertrauen, trotz all seiner Versicherungen Renius gegenüber, dass sie eines Tages Primigenia-Legionäre werden würden.
»Ich kann dir gar nicht sagen, wie gut es tut, diesen Namen wieder auf dem Feld zu sehen«, sagte Pompeius, dessen Lächeln erstaunlich jungenhaft wirkte. Dann legte sich wieder der Mantel seines ständigen Zorns über ihn, so wie es seit dem Tod seiner Tochter gewesen war. »Ich will, dass die Primigenia an Lepidus’ Flanke marschiert. Ich traue keinem Mann, der Cato als Gönner hat. Wenn es zum Kampf kommt, halte dich in seiner Nähe. Ich vertraue darauf, dass du tust, was auch immer zu tun sein wird. Damit bist du wohl so etwas wie mein persönlicher Extraordinarius. Du hast dich in Griechenland gut geschlagen. Schlag dich auch für mich gut.«
»Ich stehe dir zu Befehl«, bestätigte Julius mit einem kurzen Neigen des Kopfes. Er sah Crassus in die Augen und schloss ihn in seine soeben aufkeimenden Pläne ein. Er musste unbedingt Brutus einweihen.
Als er das Haus verließ und die Soldaten der Primigenia sich ihm wieder anschlossen, verspürte Julius einen Anflug von Aufregung und Stolz. Man hatte ihn nicht vergessen, und er würde dafür sorgen, dass Pompeius sein Vertrauen nicht bereute.
Der Sklave bohrte seine Hacke in den harten Boden und teilte die bleichen Erdschollen mit einem Grunzen. Schweiß tropfte ihm vom Gesicht und hinterließ dunkle Flecken im Staub, und seine Schultern brannten vor Anstrengung. Zuerst bemerkte er den Mann nicht, der ganz in seiner Nähe stand, so sehr war er mit seinem eigenen Elend beschäftigt. Wieder hob er das Werkzeug, und erst jetzt registrierte er aus dem Augenwinkel eine kleine Bewegung. Er reagierte nicht sofort, sondern überspielte seine Überraschung mit den Bewegungen seiner Arbeit. Die Blasen an seinen Händen waren wieder aufgegangen, und er legte die Hacke nieder, um sie zu versorgen, wobei er sich der Gegenwart des Mannes bewusst war, sich sein Wissen jedoch noch nicht anmerken lassen wollte. Er hatte gelernt, auch den kleinsten Vorteil vor seinen Herren zu verbergen.
»Wer bist du?«, fragte die dunkle Gestalt leise.
Der Sklave drehte sich ruhig zu ihm um. Der Mann trug einen groben braunen Umhang über einer zerlumpten Tunika. Sein Gesicht war teilweise verdeckt, aber die Augen brannten vor Wissbegier und Mitleid.
»Ich bin ein Sklave«, antwortete er und kniff die Augen gegen die Helligkeit der Sonne zusammen. Sogar hier, zwischen den Reihen der Weinreben, brannte sie auf seine Haut herab, versengte und verbrannte ihn. Auf seinen Schultern waren rote, wunde Flecken zu sehen, und die sich schälende Haut hörte nicht auf zu jucken. Er kratzte müßig an einer dieser Stellen, während er den Neuankömmling musterte. Ob der Mann wusste, wie nahe die Wachen waren?
»Du solltest nicht hier bleiben, Freund. Der Eigentümer hat Wächter auf seinen Äckern. Wenn sie dich finden, töten sie dich, weil du unbefugt sein Land betreten hast.«
Der Fremde zuckte die Achseln, ohne den Blick abzuwenden.
»Die Wächter sind tot.«
Der Sklave hörte auf sich zu kratzen und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Sein Verstand fühlte sich vor Erschöpfung taub an. Wie war es möglich, dass die Wächter tot waren? War der Mann verrückt? Was wollte er überhaupt? Seine Kleider sahen nicht viel anders aus als seine eigenen. Der Fremde war nicht reich, vielleicht ein Bediensteter des Herrn, der gekommen war, um seine Treue auf die Probe zu stellen. Oder auch nur ein Bettler.«
»Ich… ich muss zurück«, murmelte er.
»Hast du mich nicht gehört? Die Wächter sind tot. Du musst nirgendwohin. Wer bist du?«
»Ich bin ein Sklave!«, fuhr er den Fremden an. Es war ihm nicht möglich, die Bitterkeit aus seiner Stimme zu verbannen.
Um die Augen des Fremden bildeten sich Fältchen, und der Sklave erkannte, dass er unter dem Tuch lächelte.
»Nein, mein Bruder. Wir haben dich zu einem freien Mann gemacht.«
»Das ist unmöglich.«
Der Mann lachte laut bei diesen Worten und zog den Umhang herab. Ein kräftiges, gesundes Gesicht wurde sichtbar. Ohne Warnung schob er zwei Finger in den Mund und pfiff leise. Es raschelte in den Reben, und der Sklave packte in einem Anflug von Furcht seine Hacke fester; sein Kopf füllte sich mit Bildern von Mördern, die aus Rom kamen, um ihn zu töten. Beinahe konnte er die Süße schmecken, an die er sich erinnerte, und sein Magen verkrampfte sich jäh, obwohl nichts darin war, was er hätte auswürgen können.
Aus den grünen Schatten tauchten Männer auf, die ihn anlächelten. Er hob die Hacke und hielt sie drohend.
»Wer ihr auch sein mögt, lasst mich in Ruhe. Ich sage niemandem, dass ihr hier wart«, zischte er. Sein Herz machte einen Satz, und vor Hunger wurde ihm ein wenig schwindelig.
Der erste Mann lachte.
»Es gibt niemanden mehr, dem du es sagen könntest, mein Freund. Du bist ein Sklave, und du bist befreit worden. Das ist die Wahrheit. Die Wächter sind tot, und wir ziehen weiter. Willst du mit uns kommen?«
»Was ist mit…« Er brachte es nicht fertig, vor diesen Männern von seinem »Herrn« zu sprechen. »Was ist mit dem Eigentümer und seiner Familie?«
»Sie sind Gefangene in ihrem eigenen Haus. Willst du sie wiedersehen?«
Der Sklave schaute die Männer an und musterte ihre Züge. In ihnen war eine Begeisterung, die er verstehen konnte, und endlich begann er, ihnen zu glauben.
»Ja, ich will sie sehen. Ich möchte eine Stunde mit den Töchtern und dem Vater allein sein.«
Der Mann lachte wieder, doch es war kein angenehmer Laut.
»So viel Hass. Aber ich kann dich verstehen. Kannst du mit einem Schwert umgehen? Ich habe hier eins für dich, wenn du willst.« Er streckte es ihm versuchsweise hin. Sklaven war es verboten, Waffen zu tragen. Wenn er es nahm, war er des Todes, wie die anderen auch. Er streckte die Hand aus, packte den Gladius mit beherztem Griff und spürte das vertraute Gewicht.
»Also, wer bist du?«, fragte der Fremde leise.
»Ich heiße Antonidus. Einst war ich ein Heerführer in Rom«, sagte er und streckte kaum merklich den Rücken.
Der Mann hob die Brauen.
»Spartacus wird dich sehen wollen. Er ist auch in der Armee gewesen, bevor… das alles hier passiert ist.«
»Überlasst ihr mir die Familie?«, fragte Antonidus ungeduldig.
»Du bekommst deine Stunde, aber dann müssen wir weiter. Heute müssen noch mehr Sklaven befreit werden, und unsere Armee braucht das Getreide, das hier in den Kammern lagert.«
Bei dem Gedanken daran, was er den Menschen, die sich seine Herren genannt hatten, antun würde, breitete sich ein träges Lächeln auf Antonidus’ Gesicht aus. Er hatte sie bei der Arbeit immer nur aus der Ferne gesehen, aber seine Vorstellungskraft hatte die überheblichen Blicke und Kränkungen ergänzt, die er nicht sehen konnte. Er fuhr mit dem Daumen über die Klinge.
»Bringt mich zuerst dorthin. Nachdem ich meine Genugtuung gehabt habe, gehöre ich euch.«
Das Labyrinth aus schmutzigen Straßen schien völlig abgetrennt vom Leben und vom Licht Roms. Die beiden Männer, die Cato entsandt hatte, trotteten vorsichtig durch Abfall und Unrat und versuchten, nicht auf die scharrenden Geräusche von Ratten und größeren Raubtieren in den finsteren Gassen zu achten. Irgendwo schrie ein Kind, dann brach das Geräusch jäh ab, wie erstickt. Die beiden Männer hielten den Atem an, warteten darauf, dass das Schreien wieder einsetzte, und schauderten verstehend, nachdem die Stille zu lange angehalten hatte. Ein Leben zählte nicht viel an diesem Ort.