Sie merkten sich die Anzahl der Abbiegungen und verständigten sich flüsternd miteinander, ob eine kleine Lücke zwischen den Gebäuden als Gasse zählte oder nicht. Diese Zwischenräume waren manchmal kaum mehr als einen Fuß breit und mit einer dunklen Masse angefüllt, die sie nicht näher zu betrachten wagten. Aus einer ragte ein toter, halb in irgendwelchen Abfällen versunkener Hund hervor, der sich ihnen im Vorübergehen zuzuneigen schien und dabei leise bebte, während der begrabene Teil seines Körpers von ungesehenen Mäulern abgenagt wurde.
Als sie die Kreuzung erreicht hatten, an der sie laut Catos Anweisungen warten sollten, waren die beiden Männer halb verrückt vor Unruhe. Die Kreuzung war beinahe verlassen, nur wenige Leute huschten an ihnen vorüber, ohne sie zu beachten.
Nach einer Weile löste sich ein Schatten aus der Dunkelheit eines Überhangs und kam geräuschlos auf sie zu.
»Wen sucht ihr hier?«, flüsterte eine Stimme.
Beide Männer schluckten ängstlich, ihre Augen versuchten angestrengt, Gesichtszüge in der Finsternis zu erkennen.
»Seht mich nicht an!«, fuhr sie die Stimme an.
Sie drehten sich zur Seite, als hätte sie jemand gestoßen, und blickten die von Kehricht übersäte Gasse hinunter. Ein Übelkeit erregender Geruch hüllte sie ein, als die dunkle Gestalt so nahe an sie herantrat, dass sie sie berühren konnte.
»Unser Herr hat uns aufgetragen, demjenigen, der sich uns nähert, den Namen Antonidus zu nennen«, sagte einer der Männer und atmete durch den Mund.
»Er ist weit in den Norden als Sklave verkauft worden. Wer ist jetzt euer Herr?«, gab die Stimme zurück.
Einer der Männer erinnerte sich plötzlich an den Geruch von damals, als sein Vater gestorben war. Er musste sich übergeben, krümmte sich zusammen und spie seine letzte Mahlzeit in den unkenntlichen Matsch, der den Boden der Gasse bedeckte. Der andere antwortete stockend: »Keine Namen, hat man uns gesagt. Mein Herr wünscht die Verbindung mit dir fortzusetzen, aber es dürfen keine Namen genannt werden.«
Ein warmer Verwesungsgeruch wallte über sie hinweg.
»Ich könnte ihn erraten, ihr Narren, aber das hier ist ein Spiel, das ich nur allzu gut beherrsche. Na schön. Und was will euer Herr von mir? Redet, solange meine Geduld für euch noch ausreicht.«
»Er… unser Herr sagt, du sollst denjenigen vergessen, um den dich Antonidus gebeten hat… jetzt, wo der Heerführer in die Sklaverei verkauft wurde. Er wird dir andere Namen nennen und dir deinen Preis zahlen. Er will die Geschäftsbeziehung fortführen.«
Die Gestalt stieß einen leisen, enttäuschten Seufzer aus. »Sagt ihm, er soll mir die Namen nennen, dann werde ich entscheiden. Ich verspreche niemandem, dass ich ihm diene. Was den Tod angeht, den Antonidus gekauft hat, so ist es zu spät. Ich kann die Männer, die ich ausgesandt habe, nicht mehr zurückrufen. Das Opfer ist bereits tot, auch wenn es noch nichts davon weiß. Jetzt geh zurück zu deinem Herrn und nimm deinen Gefährten mit dem schwachen Magen mit.«
Die Gestalt verschwand, und Catos Bediensteter holte erst einmal tief Luft. Der Gestank der Straße war allemal angenehmer als der süßliche Geruch, der während der Unterhaltung in seine Kleider und seine Haut eingedrungen zu sein schien. Er haftete den beiden Männern noch immer an, bis sie die breiteren Straßen der Stadt erreicht hatten, eine Welt, die lachte und schrie und nichts von den schwärenden Gassen wusste, die ihr so nahe waren.
37
Eine Kette weißer Bergspitzen säumte den Horizont. Irgendwo zwischen diesen Zacken lagen die drei Pässe, durch die sie dem Zorn Roms zu entkommen hofften. Der Anblick der kalten Gipfel ließ Heimweh in Spartacus aufsteigen. Obwohl er Thrakien seit seiner Kindheit nicht mehr gesehen hatte, erinnerte er sich doch, dass er damals auf den niedrigeren Hängen der gewaltigen Bergkette herumgeklettert war. Seit jeher hatte er die Höhe geliebt, dort, wo der Wind unablässig gegen die Haut blies. Man fühlte sich einfach lebendiger in dieser Umgebung.
»Sie sind so nahe«, sagte er laut. »In einer oder zwei Wochen könnten wir sie überqueren und nie wieder eine römische Uniform sehen.«
»Bis sie nächstes Jahr kommen und auf der Suche nach uns ganz Gallien auf den Kopf stellen, so wie ich die kenne«, meinte Krixos. Verglichen mit dem Gladiator, dem er folgte, war Krixos schon immer sehr direkt gewesen. Krixos genoss seinen Ruf, ein praktischer Mann zu sein, der sich weder von Träumen noch von ungezügelten Phantasien von der bleiernen Wirklichkeit dessen, was sie erreicht hatten, ablenken ließ. Er war von untersetzter, vierschrötiger Gestalt, das absolute Gegenteil zu Spartacus, der auch dann, wenn er reglos dastand, jene Leichtigkeit an sich hatte, die auf große Gewandtheit schließen ließ. Krixos besaß keine solche Anmut. In einem Bergwerk geboren, war er ebenso hässlich wie stark, und der einzige unter den Gladiatoren, der Spartacus beim Ringen ein Unentschieden abtrotzen konnte.
»Sie würden uns niemals finden, Krix. Die Gallier sagen, das Land jenseits der Berge sei voller kriegerischer Stämme. Die Legionen müssten jahrzehntelang Krieg führen, und dazu haben sie keine Lust. Jetzt, wo Sulla tot ist, hat die Bande keinen richtigen Anführer mehr. Sobald wir die Alpen hinter uns haben, sind wir frei.«
»Immer noch der alte Träumer, Spartacus?«, sagte Krixos, dessen Enttäuschung offensichtlich war. »Was für eine Freiheit siehst du, die ein solcher Gewinn wäre? Die Freiheit, noch mehr zu schuften, als wir es als Sklaven getan haben, um die Ernte aus dem Boden irgendeines Landes zu kratzen, ständig bedroht von dessen früheren Besitzern. Die Leute dort wollen uns ebenso wenig wie die Römer, da kannst du sicher sein. Diese Freiheit, die du uns versprichst, wird uns das Kreuz brechen, das weiß ich. Bring die Frauen und Kinder in Sicherheit, sage ich, das genügt. Hundert Mann sollen sie durch die Pässe begleiten, und wir bringen das, was wir angefangen haben, hier zu Ende.«
Spartacus sah seine rechte Hand an. Krixos war besessen von einem Blutdurst, der nur bei dem Triumph in Mutina vorübergehend gestillt worden war. Nach allem, was er in römischen Händen hatte erleiden müssen, war das nur allzu verständlich, doch Spartacus wusste, dass mehr dahinter steckte.
»Willst du denn ihr verweichlichtes Leben übernehmen, Krix?«, fragte er.
»Warum nicht?«, wollte der Gefragte wissen. »Jetzt, nachdem wir ihren Bienenkorb umgekippt haben, sollten wir uns auch den Honig holen. Du erinnerst dich ebenso gut an den Bürgerkrieg wie ich. Wer Rom hat, der hat sie an den Eiern. Wenn wir die Stadt einnehmen können, kippt der Rest von ihnen auch um. Sulla hat das gewusst!«
»Er war ein römischer Feldherr, kein Sklave.«
»Was spielt das für eine Rolle? Sobald du drin bist, stellst du neue Regeln nach deinem Geschmack auf. Es gibt keine Regeln, außer denen, die derjenige aufstellt, der die Macht dazu hat. Ich sage dir, wenn du diese Chance verpasst, wirfst du alles weg, was wir erreicht haben. In zehn Jahren könnte in den Geschichtsbüchern stehen, dass die Garnison in Mutina die Rebellen und wir die echten, die treuen Römer waren!
Wenn wir die Stadt einnehmen, sind wir in der Lage, ihnen ihre Geschichte und ihren Stolz in den Rachen zu stopfen und sie zu zwingen, die neue Ordnung zu akzeptieren. Gib nur den Befehl, Spartacus, und ich sorge dafür, dass es geschieht.«
»Und die Paläste und die großen Landgüter?«, bohrte Spartacus mit zusammengekniffenen Augen weiter.
»Gehören uns! Warum nicht? Was erwartet uns in Gallien, außer armseliges Ackerland und primitive Dörfer?«
»Um die Güter zu bewirtschaften, braucht man Sklaven, Krixos. Hast du das vergessen? Wer soll deine Ernte einbringen und sich um deine Reben kümmern?«