Prax versteifte sich plötzlich, als sein Blick wieder über die Küste glitt. Sein freundlicher Gesichtsausdruck war verschwunden, und seine Züge verhärteten sich.
»Geh nach unten und schlag Alarm, Suetonius. Ich will innerhalb von fünf Minuten alle Männer kampfbereit an Deck haben.«
Suetonius salutierte hastig und mit weit aufgerissenen Augen, lief zu dem steilen Niedergang und kletterte flink nach unten. Julius blickte in die Richtung, in die Prax zeigte. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. An der Küste stieg eine große schwarze Rauchwolke fast kerzengerade in den Morgenhimmel.
»Waren das Piraten, Herr?«, fragte er schnell, obwohl er die Antwort eigentlich schon wusste.
Prax nickte. »Sieht so aus, als hätten sie ein Dorf überfallen. Vielleicht erwischen wir sie, wenn sie wieder in See stechen. Jetzt könntest du deine Chance bekommen, sie ›im Kampf zu stellen‹, Cäsar.«
Die Accipiter machte sich gefechtsklar. Jeder lose Ausrüstungsgegenstand wurde sicher verstaut, die Katapulte wurden gespannt und Steine und Öl als Geschosse bereitgestellt. Die Legionäre traten eilig an Deck an, und eine Gruppe baute bereits den Corvus zusammen. Eilig schlugen sie Eisenstifte zwischen die Einzelteile, bis die große Enterrampe hoch über dem Deck stand und zum Einsatz bereit war. Sobald die Halteseile losgemacht wurden, würde sie auf die Reling oder die Planken des feindlichen Schiffes fallen, wo sich ihr eiserner Haltedorn unlösbar festkrallte. Über diese Rampe würden die besten Kämpfer der Accipiter an Bord stürmen und so schnell wie möglich eine Bresche schlagen, damit die anderen folgen konnten. Das war eine sehr gefährliche Aufgabe, doch nach jedem Kampf wurden diese Plätze immer heiß gehandelt und erzielten in den langweiligen Monaten zwischen den Einsätzen hohe Wettquoten.
Unter Deck gab der Sklavenaufseher brüllend den zweifachen Rudertakt an, und die Ruder bewegten sich in eiligerem Rhythmus. Da der Wind von der Küste her wehte, wurde das Segel eingeholt und säuberlich zusammengelegt. Schwerter wurden auf Scharten und Risse geprüft, die Rüstungen sorgfältig geschnürt. Die wachsende Anspannung an Bord, die nur durch lange geschulte Disziplin in Zaum gehalten wurde, war überall zu spüren.
Das brennende Dorf lag am Rande einer kleinen, natürlichen Bucht; sie sichteten das Piratenschiff, als es gerade an der felsigen Landzunge vorbeisegelte und die offene See erreichte. Gaditicus ordnete volle Kampfgeschwindigkeit an, um dem Feind möglichst wenig Platz für entscheidende Manöver zu lassen. Mit der Küste im Rücken konnte das Piratenschiff der Accipiter kaum ausweichen, die unbeirrt durch die Wellen pflügte, und Jubel erhob sich in den Reihen der Römer. Die Langeweile der eintönigen Reise von einem Hafen zum anderen war in der frischen Morgenbrise mit einem Mal verflogen.
Julius betrachtete das feindliche Schiff ganz genau und dachte an die Unterschiede, die Prax ihnen erklärt hatte. Er sah, wie die Dreierreihen der Ruder trotz ihrer unterschiedlichen Längen in perfektem Gleichklang in die kabbelige See eintauchten. Das Schiff war höher und schmaler gebaut als die Accipiter und am Bug mit einem langen bronzenen Stachel versehen. Julius wusste, dass dieser Rammsporn selbst die schweren Zedernholzplanken der römischen Schiffe leicht durchschlagen konnte. Prax hatte Recht. Der Ausgang eines solchen Kampfes war immer ungewiss. Dieses Gefecht jedoch konnte nicht mehr vermieden werden. Sie würden mit Sicherheit nahe genug herankommen, um den Corvus fallen zu lassen, und dann die besten Kämpfer der Welt auf das feindliche Deck schicken. Er bedauerte, dass er sich keinen der ersten Plätze hatte sichern können, doch sie waren alle schon lange vor Mytilene zugewiesen worden.
Er war so beschäftigt mit seinen eigenen Gedanken und Erwartungen, dass er den plötzlich veränderten Klang im Ruf des Ausgucks zunächst gar nicht richtig wahrnahm. Als er aufblickte, trat er unwillkürlich einen Schritt von der Reling zurück. Soeben, gerade als sie das erste Schiff an der Bucht vorüber verfolgten, tauchte ein zweites daraus auf. Es hielt direkt auf sie zu, und Julius sah den Rammsporn aus den Wellen auftauchen, die es in voller Fahrt durchpflügte. Das Segel des Schiffes stand straff im Wind und mühte sich, die Ruderer nach Kräften zu unterstützen. Der bronzene Stachel befand sich auf Höhe der Wasserlinie, und das Deck war voll bewaffneter Männer, deutlich mehr, als normalerweise auf den schnellen Piratenschiffen zu finden waren. In diesem Augenblick wurde ihm klar, dass der Rauch nur eine List gewesen war. Es war eine Falle, und sie hatten sie gekonnt zuschnappen lassen.
Gaditicus zögerte nicht. Auch er hatte die Gefahr sofort erkannt und schrie jetzt ohne zu zögern seinen Offizieren neue Befehle zu.
»Steigert den Schlag bis zum dritten Grad! Sie kommen direkt an uns vorbei!«, brüllte er, und der Trommler unter Deck schlug seinen zweitschnellsten Rhythmus. Die Rammgeschwindigkeit, die noch darüber lag, konnte nur für eine sehr kurze Zeitspanne durchgehalten werden, bevor die Sklaven zusammenbrachen. Auch dieses nur geringfügig langsamere Tempo bedeutete für sie eine ungeheure Strapaze. In früheren Schlachten hatte schon so manches Herz dabei seinen Dienst versagt. Wenn das geschah, konnte die Leiche die anderen Ruderer behindern und so ein ganzes Ruder aus dem Takt bringen.
Das erste Schiff kam schnell näher, und Julius sah, dass die Ruder rückwärts schlugen und das Schiff kampfbereit beidrehte. Es war alles nur eine gut geplante List gewesen, um das römische Schiff möglichst nahe an die Küste zu locken. Als Preis hatten sich die Piraten ohne Zweifel die Kisten voller Silber unten im Laderaum auserkoren, aber die würden sie nicht so leicht kriegen.
»Feuert die Katapulte auf meinen Befehl auf das erste Schiff… Jetzt!«, schrie Gaditicus und verfolgte die Flugbahn der Steingeschosse, die über seinem Kopf hinwegflogen.
»Zwei Strich nach unten!«, rief der Ausguck am Bug den beiden Mannschaften an den Katapulten zu, und die schweren Waffen wurden in Windeseile justiert. Dicke Holzpflöcke wurden in die entsprechenden Löcher geschlagen und der korrigierte Winkel fixiert. Dies alles geschah, während die Winden bereits wieder neu aufgezogen wurden. Die Legionäre schwitzten, weil sie ein Rosshaarseil spannen mussten, das zweimal so dick war wie der Oberschenkel eines Mannes.
Das Piratenschiff war schon wieder ein Stück näher, als die Katapulte zum zweiten Mal abgefeuert wurden. Dieses Mal waren die porösen Steine mit Öl getränkt und flogen brennend, einen Rauchschweif hinter sich herziehend, auf die feindliche Trireme zu. Ihr Einschlag auf dem Deck wurde von einem Krachen begleitet, das auf der Accipiter gut zu hören war. Die Männer an den Katapulten jubelten und drehten die Seilwinden erneut.
Die zweite Trireme raste derweil weiter auf sie zu, und Julius zweifelte nicht mehr daran, dass ihr Rammsporn die Accipiter irgendwo am Ende des Hecks durchbohren würde. Damit wäre sie bewegungsunfähig, und sie würden den Feind auch nicht mehr entern können. Hilflos an Deck festgenagelt, würden sie einer nach dem anderen unter Bogenbeschuss fallen. Als ihm das klar geworden war, schrie Julius seinen Männern zu, sofort die Schilde an Deck zu holen und auszuteilen. Beim Entern waren Schilde eher ein Hindernis als eine Hilfe. Aber jetzt, da die Accipiter zwischen zwei Schiffen eingekeilt war, die auf Schussweite heranzogen, wurden sie dringend gebraucht.
Tatsächlich regneten kurz darauf von beiden feindlichen Schiffen Pfeile auf sie herab. Sie hatten keinerlei Anordnung oder klare Ziele. Die Schützen feuerten einfach ziellos, aber stetig in hohem Bogen in die Luft, in der Hoffnung mit einem ihrer langen schwarzen Schäfte einen Legionär zu treffen.