Neben ihm keuchte ein anderer Mann, und Julius warf ihm einen kurzen Blick zu. Er hatte beim letzten Angriff gut gekämpft und seine Kraft mit dem Selbstvertrauen der unsterblichen Jugend verschwendet. Jetzt blickte er auf und sah, dass Julius ihn betrachtete, und ein Schatten zog über seine grauen Augen. Es gab nichts zwischen ihnen zu sagen. Julius fragte sich, ob Catos Sohn die Schlacht wohl überleben würde. Wenn er am Leben blieb, würde Cato niemals verstehen, welche Verwandlungen in ihm vorgegangen waren.
Hinter ihnen räusperte sich Ciro das Blut aus der Kehle. Seine Lippen waren aufgesprungen und geschwollen, und er grinste seinen Anführer mit einem schmerzhaften, roten Lächeln an.
Sie alle waren zerschunden und zerschlagen. Julius zuckte bei jeder Bewegung zusammen. Etwas war in seinem unteren Rücken gerissen, als er einen Toten von sich heruntergewuchtet hatte. Schmerzfunken schossen bis in seine Schultern hinauf, und mittlerweile wollte er nur noch schlafen. Er sah zu Brutus hinüber, der von einem rasenden Sklaven bewusstlos geschlagen worden war. Nur mit einem entschlossenen Gegenangriff hatten sie den verlorenen Boden und seinen reglosen Körper zurückgewinnen können. Ciro hatte ihn durch die Reihen nach hinten geschleift, damit er dort wieder zu sich kommen konnte, und als der Himmel allmählich dunkler wurde, hatte sich Brutus ihnen wieder angeschlossen, doch er bewegte sich jetzt langsamer, fast so, als hätten ihn sein Geschick und seine Gewandtheit verlassen. Julius fragte sich, ob sein Schädel von der Wucht des Schlages gebrochen war, aber er konnte ihn nicht ins Lager zurückschicken. Sie brauchten jeden Mann, der sich noch auf den Beinen halten konnte.
Alle waren jenseits von Erschöpfung und Schmerz; sie gerieten in einen Zustand der Betäubung, der es den Gedanken erlaubte, abzuschweifen. Sämtliche Farben blichen aus, und sie verloren jegliches Zeitgefühl, nahmen nur wahr, dass die Zeit sich einmal verlangsamte und dann wieder mit erschreckender Geschwindigkeit losraste.
Mit einem Ruck vernahm Julius den Ruf der Hörner nicht weit von ihm. Er stolperte vorwärts, um abermals zur vordersten Linie zu wechseln, und schüttelte Ciros Hand ab, als sie seinen Arm berührte.
»Für heute ist’s genug, Feldherr«, sagte Ciro und legte einen Arm um Julius, um ihn zu stützen. »Die Sonne ist untergegangen. Sie rufen uns zurück ins Lager.«
Julius starrte einen Augenblick stumpf vor sich auf den Boden, dann nickte er müde.
»Sag Brutus und Renius, sie sollen die Reihen neu formieren und sich geordnet zurückziehen. Die Männer sollen sich vor einem unerwarteten Angriff in Acht nehmen.« Vor Müdigkeit kamen ihm die Worte nur undeutlich über die Lippen, doch er hob den Kopf und lächelte den Mann an, den er auf einem anderen Kontinent gefunden hatte, in einer anderen Welt.
»Gefällt es dir hier besser als auf dem Bauernhof, Ciro?«
Der große Mann ließ den Blick über die Leichen wandern. Es war der schwerste Tag seines Lebens gewesen, doch er verstand die Männer rings um ihn herum besser, als er es erklären konnte. Auf dem Hof war er allein gewesen.
»Ja, Herr«, sagte er, und Julius schien ihn zu verstehen.
39
Suetonius lehnte sich an den Zaun im Wald. Aus den Augenwinkeln sah er die Sklaven seines Vaters ohne Hast arbeiten, sah, wie sie die Pfosten ausrissen und die Grenze abbauten. In wenigen Stunden würden sämtliche Spuren davon beseitigt sein, und Suetonius legte mürrisch den Kopf auf die Unterarme. Das Haus, das er geplant hatte, wäre wunderschön geworden, hätte sich hoch über die Bäume und über Cäsars Land erhoben, um vom Hügel aus darauf hinabzuschauen. Er hätte sich einen Balkon anbauen lassen, auf dem er an warmen Abenden mit einem kalten Getränk hätte sitzen können. All das war dahin, und das nur, weil sein Vater plötzlich schwach geworden war.
Suetonius zupfte an einem Splitter des Pfostens und dachte an die vielen kleinen Gemeinheiten, die Julius ihn hatte schlucken lassen, erst als Gefangener der Piraten und später bei den Wölfen in Griechenland. Er wusste, dass die anderen Männer ihn bereitwilliger anerkannt hätten, wenn Julius nicht gewesen wäre, womöglich wären sie sogar damit einverstanden gewesen, dass er das Kommando übernahm, so wie sie Julius akzeptiert hatten. Dann hätte er Lepidus Mithridates’ Leichnam überreicht und mit ihm gespeist, statt fast ohne Pause zum Hafen zu eilen. Der Senat hätte ihn zum Tribun ernannt, und sein Vater wäre stolz auf ihn gewesen.
Stattdessen hatte er nichts mit nach Hause gebracht, außer einem Lösegeld, das ohnehin seinem Vater gehörte, dazu ein paar Narben, die er als Beweis dessen vorweisen konnte, was er erlitten hatte. Cäsar hatte die Wölfe nach Norden geführt, hatte ihnen geschmeichelt und sie überredet, ihm zu folgen, während Suetonius zurückblieb und ihm nicht einmal der kleine Trost vergönnt war, sich sein eigenes Haus zu bauen.
Er riss zornig an dem Splitter und zuckte zusammen, als dieser sich in seine Hand bohrte. Er hatte sich darum beworben, mit den sechs Legionen nach Norden zu ziehen, aber keiner der Legaten hatte ihn haben wollen. Man konnte sich denken, wer dafür gesorgt hatte. Er wusste, dass sein Vater sich zu seinen Gunsten hätte einsetzen können, doch er hatte nicht gewagt, ihn darum zu bitten. Hier, in der Stille des Waldes, brannte diese schändliche Behandlung heiß in ihm.
Als erneut eine Bewegung seine Aufmerksamkeit erregte, hob er den Kopf. Beinahe hoffte er, dass die Sklaven seines Vaters bei der Arbeit trödelten. Dann hätte er sie ausgepeitscht und damit einen Teil der Lethargie vertrieben, die er verspürte. Immer, wenn er die Faulen bestrafte, war ihm, als fühle er das Leben mächtiger durch seine Adern rauschen. Er wusste, dass sie in Angst vor ihm lebten, doch das war ja nur richtig.
Er holte tief Luft, um ihnen einen Befehl zuzubrüllen, in der Hoffnung, sie zusammenzucken zu sehen. Dann erstarrte er. Die Männer schlichen verstohlen durch das Dickicht auf der anderen Seite des Zaunes. Es waren nicht seine Sklaven. Ganz langsam legte er den Kopf wieder auf die Arme und sah schweigend zu, wie sie nicht weit von ihm vorüberkamen, ohne ihn zu bemerken.
Suetonius spürte, wie sein Herz plötzlich vor Angst hämmerte, und während er versuchte, flach zu atmen, schoss ihm die Röte ins Gesicht. Sie hatten ihn noch nicht gesehen, aber irgendetwas an der Szene stimmte ganz und gar nicht. Es waren drei Männer, die dicht hintereinander gingen, ein vierter folgte in einigem Abstand. Beinahe hätte sich Suetonius aufgerichtet, um dieser ersten Gruppe nachzuspähen, nur ein Instinkt hatte ihn gewarnt, sich still zu verhalten, als sie zwischen den Bäumen verschwanden. Dann war der vierte Mann in Sicht gekommen. Er war wie die anderen in grobe, dunkle Gewänder gehüllt und schritt leichtfüßig über das tote Holz und Moos. Seine Lautlosigkeit verriet die Gewandtheit des Jägers.
Suetonius sah, dass auch er bewaffnet war, und plötzlich ging ihm auf, dass der Mann ihn aus dem Waldesdunkel heraus sehen musste. Er wollte davonlaufen oder nach seinen Sklaven rufen. Jetzt dachte er an die Rebellion im Norden, und seine Gedanken füllten sich mit lebhaften, erschreckenden Visionen, wie sie ihn mit ihren Messern durchbohrten. Er hatte so viele sterben sehen und konnte sich nur allzu leicht vorstellen, wie sich diese Männer wie wilde Tiere auf ihn stürzten. Sein Schwert hing an seiner Seite, doch er rührte keine Hand.
Er hielt den Atem an und ließ den Mann passieren. Dieser schien bemerkt zu haben, dass er beobachtet wurde; er blickte sich suchend um und musterte die umstehenden Bäume. Er sah Suetonius nicht, und nach einer Weile entspannte er sich wieder, ging weiter und verschwand ebenso spurlos wie seine Gefährten vor ihm.
Suetonius atmete vorsichtig aus; er wagte noch immer nicht, sich zu bewegen. Sie waren auf Cäsars Anwesen zugegangen, und als ihm das bewusst wurde, nahmen seine Augen einen grausamen Glanz an. Sollte Cäsar sein Land haben, wenn solche Männer darauf umherschlichen. Er würde sie nicht verraten. Alles lag in den Händen der Götter, nicht in seinen.