»Vergesst nie, was mit den letzten Wachen geschehen ist«, hatte Gaditicus sie gewarnt. Aber das war nur eine leere Drohung, wie sie sehr wohl wussten. Der Scheiterhaufen, auf dem die Rebellen verbrannt worden waren, hatte eine dicke schwarze Rauchwolke in den Himmel geschickt, die noch Meilen entfernt gut zu sehen gewesen war. Bei dieser Aufgabe hier würden sie bis zu ihrer Verabschiedung aus der Armee mit Sicherheit ein vergleichsweise ruhiges Leben führen.
Gaditicus fluchte leise vor sich hin. Im kommenden Jahr würde er nur sehr wenige gute Männer zur Verfügung haben. Es hatte sich herausgestellt, dass der alte Mann, den Cäsar mit an Bord gebracht hatte, sehr geschickt im Versorgen von Wunden war. Damit konnten vielleicht einige ihrer Verletzten vor zu früher Entlassung und Verarmung bewahrt werden. Aber auch Cabera konnte keine Wunder bewirken, so dass sie zumindest die Versehrten unter seinen Männern im nächsten Hafen absetzen mussten, wo sie auf ein langsames Handelsschiff warten konnten, das sie zurück nach Rom brachte. Die Zenturie der Galeere hatte in Mytilene ein Drittel ihrer Männer verloren. Man würde zwar einige Beförderungen aussprechen müssen, doch auch das ersetzte ihm nicht die siebenundzwanzig Mann, die im Kampf gefallen waren. Vierzehn von ihnen waren tüchtige Hastati gewesen, die seit mehr als zehn Jahren auf der Accipiter gedient hatten.
Gaditicus seufzte leise. Nur um ein paar junge Hitzköpfe auszuräuchern, die nach den Geschichten ihrer Großväter zu leben versuchten, hatte er gute Männer opfern müssen. Er konnte sich die Reden, die sie geschwungen hatten, sehr gut vorstellen. Aber die Wahrheit war, dass Rom ihnen die Zivilisation gebracht hatte, und einen kleinen Ausblick auf das, was der Mensch erreichen konnte. Alles, wofür die Rebellen gekämpft hatten, war das Recht, in Lehmhütten zu hausen und sich am Hintern zu kratzen, doch das wollten sie einfach nicht begreifen. Er erwartete ja gar nicht, dass sie dankbar waren. Dafür hatte er zu lange gelebt und zu viel gesehen. Aber er verlangte ihren Respekt, und das schlecht geplante Durcheinander in der Festung hatte ziemlich wenig davon gezeigt. Neunundachtzig Feindesleichen waren bei Sonnenaufgang verbrannt worden. Die toten Römer hingegen hatte man zum Schiff zurückgetragen, um sie später auf See zu bestatten.
Diese und ähnliche wütende Gedanken gingen ihm im Kopf herum, als er in seiner besten Rüstung in die Stadt Mytilene einzog. Hinter ihm schritt der Rest seiner erschöpften Zenturie. Dunkle, tief hängende Wolken kündigten Regen an, und die heiße, stickige Luft passte perfekt zu seiner Laune.
Julius marschierte nach den Schlägen, die er in der vergangenen Nacht eingesteckt hatte, ziemlich steif dahin. Erstaunt hatte er die vielen kleinen Schnitte und Kratzer gezählt, die er abbekommen hatte, ohne es überhaupt zu merken. Sein Brustkorb war auf der ganzen linken Seite von oben bis unten blau, und eine glänzende gelbe Beule stand an einer seiner Rippen hervor. Er glaubte nicht, dass die Rippe gebrochen war, dennoch würde er Cabera bitten, sie sich anzusehen, sobald sie wieder auf der Accipiter waren.
Was den Nutzen ihres Einzugs in die Stadt betraf, war er anderer Meinung als Gaditicus. Der Zenturio war zwar bereit, einen Aufstand niederzuschlagen, aber dann verschwand er lieber und überließ die Politik anderen. Dabei war es sehr wichtig, die Stadt daran zu erinnern, dass der römische Statthalter nicht angerührt werden durfte.
Er sah zu Paulus hinüber und betrachtete dessen dick verbundene Hände und das immer noch verquollene Gesicht. Julius bewunderte ihn, weil er sich geweigert hatte, sich in einer Sänfte tragen zu lassen. Der Statthalter war fest entschlossen, sich nach seinem Martyrium ungeschlagen zu zeigen. Julius hatte nichts dagegen einzuwenden, dass der Mann an der Spitze einer Armee in die Stadt einziehen wollte. Männer wie Paulus gab es überall auf römischem Boden. Sie erhielten nur sehr wenig Unterstützung durch den Senat und regierten wie kleine Könige, obwohl ihr Durchsetzungsvermögen meist vom guten Willen der Bevölkerung abhing. Versiegte dieser gute Wille, so machten ihnen tausend Kleinigkeiten das Leben schwer, wie Julius wohl wusste. Kein Holz und keine Lebensmittellieferungen, es sei denn unter vorgehaltenem Schwert, dazu zerstörte Straßen und niedergebrannte Gehöfte. Alles nichts, wofür man die Soldaten ausrücken ließ, aber eben unaufhörliche, lästige Ärgernisse.
Nach dem, was der Statthalter von seinem Leben erzählte, schien er Herausforderungen zu mögen. Julius war sehr überrascht gewesen, als er gemerkt hatte, dass Paulus offensichtlich wenig Zorn über seine durchlittene Gefangenschaft verspürte, dafür umso mehr Traurigkeit über den Verrat der Menschen, denen er vertraut hatte. Julius fragte sich, ob Paulus auch in Zukunft wieder so vertrauensselig sein würde.
Die Legionäre marschierten durch die Stadt und ignorierten die starren Blicke und die plötzlichen, hektischen Bewegungen, mit denen die Mütter ihre spielenden Kinder von der Straße zerrten. Die meisten Römer verspürten die Nachwirkungen der vorangegangenen Nacht und waren froh, endlich die Residenz des Statthalters im Zentrum der Stadt zu erreichen. Vor dem Gebäude formierten sie sich zu einem Quadrat, und in der Schönheit der weißen Mauern und der mit Ornamenten verzierten Wasserbecken erkannte Julius einen der Vorteile von Paulus’ Posten. Es war ein Stück Rom, das hier in die griechische Landschaft versetzt worden war.
Paulus lachte laut auf, als seine Kinder zur Begrüßung auf ihn zugerannt kamen. Er ging in die Knie und ließ sich umarmen, hielt dabei aber seine gebrochenen Hände vorsichtig in die Luft. Auch seine Frau kam heraus, und selbst aus der zweiten Reihe sah Julius Tränen in ihren Augen schimmern. Paulus hatte Glück.
»Tesserarius Cäsar, tritt vor«, befahl Gaditicus und schreckte Julius aus seinen Gedanken auf. Rasch trat Julius aus der Reihe und salutierte. Gaditicus musterte ihn mit ausdruckslosem Gesicht.
Paulus verschwand mit seiner Familie im Haus, und alle Soldaten, egal welchen Ranges, warteten geduldig. Sie waren alle froh, ohne eine bestimmte Aufgabe einfach nur herumstehen zu können.
Julius’ Gedanken überschlugen sich. Er fragte sich, warum er als Einziger hatte hervortreten müssen und wie sich Suetonius wohl fühlen würde, falls er jetzt befördert wurde. Der Statthalter konnte Gaditicus zwar nicht dazu zwingen, ihm einen neuen Posten zu geben, aber seine Empfehlung würde aller Wahrscheinlichkeit nach nicht ignoriert werden können.
Schließlich trat Paulus mit seiner Frau an seiner Seite wieder aus dem Haus heraus. Er holte tief Luft, um alle Männer anzusprechen. Seine Stimme klang freundlich und kräftig zugleich.
»Ihr habt mich wieder auf meinen Posten und zu meiner Familie zurückgebracht. Rom dankt euch für eure Dienste. Zenturio Gaditicus hat einem Gastmahl für euch in meinem Hause zugestimmt. Meine Bediensteten bereiten für euch das beste Essen und die besten Getränke, die mein Haus zu bieten hat.« Er hielt inne und sein Blick fiel auf Julius.
»In der vergangenen Nacht bin ich Zeuge großer Tapferkeit geworden, ganz besonders seitens eines Mannes, der sein eigenes Leben riskiert hat, um das meine zu retten. Ihm verleihe ich den Ehrenkranz, um ihn und seinen Mut zu würdigen. Rom hat tapfere Söhne, und ich stehe hier und heute vor euch, als lebender Beweis dafür.«
Seine Frau trat mit einem Kranz aus grünen Eichenblättern vor. Julius rührte sich, und als Gaditicus ihm zunickte, nahm er den Helm ab, um den Kranz aus den erhobenen Händen entgegenzunehmen. Er wurde rot, und plötzlich jubelten die Männer hinter ihm. Allerdings war er sich nicht ganz sicher, ob sie ihn der Auszeichnung wegen als einen der ihren bejubelten, oder wegen des in Aussicht gestellten Festmahles.