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Sie schaute ihn an und hatte plötzlich das Gefühl, er stehe weit weg von ihr, jenseits irgendeiner Grenze. Er wirkte so klein, so entfernt, dass sie nicht recht wusste, was er tat, was er dachte oder auch nur, was er war.

«Der Club ist in der City», wandte sie ein. «Das ist nicht die Richtung zum Flugplatz.»

«Du hast reichlich Zeit, meine Liebe. Oder magst du mir den Gefallen nicht tun?»

«Doch, natürlich.»

«Dann ist ja alles in Ordnung. Wir sehen uns morgen früh um neun.»

Sie ging in ihr Zimmer im zweiten Stock und war so erschöpft von den Anstrengungen dieses Tages, dass sie sofort einschlief.

Am nächsten Morgen stand Mrs. Foster zeitig auf, und um halb neun war sie bereits reisefertig.

Kurz nach neun erschien ihr Mann. «Hast du Kaffee gemacht?», fragte er.

«Nein», antwortete sie. «Ich dachte, du würdest im Club ein gutes Frühstück bekommen. Der Wagen ist da. Er wartet schon eine ganze Weile.»

Sie standen in der Halle – neuerdings schienen sie sich immer in der Halle zu treffen –, sie in Hut und Mantel, die Handtasche über dem Arm, er in einem altmodischen Jackett mit breiten Aufschlägen.

«Dein Gepäck?»

«Das ist auf dem Flugplatz.»

«Ach ja», sagte er, «natürlich. Wenn du mich zuerst in den Club bringen willst, dann sollten wir wohl lieber gleich aufbrechen, wie?»

«Ja!», rief sie. «O ja – bitte

«Ich hole mir nur noch ein paar Zigarren. Geh ruhig schon vor, ich komme sofort nach.»

Sie drehte sich um und eilte hinaus. Der Chauffeur öffnete ihr die Wagentür.

«Wie spät ist es?», fragte sie ihn.

«Ungefähr neun Uhr fünfzehn.»

Fünf Minuten darauf kam Mr. Foster. Er stieg langsam die Stufen hinunter, und seine Frau stellte fest, dass er in den engen Röhrenhosen, die er trug, Beine wie ein Ziegenbock hatte. Wie tags zuvor blieb er auf halbem Wege stehen, schnupperte die Luft und betrachtete den Himmel. Wenn auch das Wetter noch nicht ganz klar war, so drangen doch ein paar Sonnenstrahlen durch den Dunst.

«Vielleicht hast du diesmal mehr Glück», meinte er und kletterte in den Wagen.

«Beeilen Sie sich, bitte», sagte sie zu dem Chauffeur. «Halten Sie sich nicht mit der Decke auf. Das mache ich schon. Bitte fahren Sie, wir haben uns ohnehin verspätet.»

Der Mann setzte sich hinter das Lenkrad und ließ den Motor an. «Moment mal», meldete sich Mr. Foster plötzlich. «Warten Sie einen Augenblick, Chauffeur, ja?»

«Was ist denn, Lieber?» Sie sah ihn in seinen Manteltaschen wühlen.

«Ich hatte ein kleines Geschenk, das du Ellen mitbringen solltest», sagte er. «Herrje, wo ist es denn nur? Ich weiß genau, dass ich’s in der Hand hatte, als ich in die Halle kam.»

«Mir ist gar nicht aufgefallen, dass du etwas trugst. Was für ein Geschenk?»

«Eine kleine, in weißes Papier gewickelte Schachtel. Ich habe gestern vergessen, sie dir zu geben. Heute möchte ich es nicht wieder vergessen.»

«Eine kleine Schachtel!», rief Mrs. Foster. «Ich habe keine kleine Schachtel gesehen!» Sie suchte fieberhaft auf den Wagensitzen herum. Ihr Mann kramte weiter in seinen Taschen. Dann knöpfte er den Mantel auf und tastete sein Jackett ab. «Zu dumm», sagte er. «Ich muss es im Schlafzimmer gelassen haben. Warte, ich bin sofort wieder da.»

«Bitte!», flehte sie. «Wir haben keine Zeit! Bitte, lass es! Du kannst es schicken. Es ist ja doch nur ein alberner Kamm. Du schenkst ihr immer Kämme.»

«Und was hast du gegen Kämme, wenn ich fragen darf?» Er war wütend, weil sie sich so hatte gehenlassen.

«Gar nichts, mein Lieber. Gewiss nicht. Aber …»

«Warte hier», befahl er. «Ich hole die Schachtel.»

«Mach schnell, Lieber! Bitte, mach schnell!»

Sie saß im Wagen und wartete und wartete.

«Chauffeur, wie spät ist es?»

Der Mann schaute auf seine Armbanduhr. «Gleich halb zehn.»

«Schaffen wir’s in einer Stunde bis zum Flughafen?»

«Ja, mit knapper Not.»

In diesem Augenblick entdeckte Mrs. Foster plötzlich die Ecke von etwas Weißem, das zwischen Sitz und Lehne eingekeilt war, dort, wo ihr Mann gesessen hatte. Sie zog ein in Papier gewickeltes Päckchen heraus und stellte unwillkürlich fest, dass es so tief im Polster steckte, als hätte eine Hand nachgeholfen.

«Hier ist es!», rief sie. «Ich hab’s gefunden! Oje, und nun sucht er da oben alles durch! Chauffeur, rasch – laufen Sie hinein und rufen Sie ihn, wenn Sie so gut sein wollen!»

Dem Chauffeur, einem Mann mit einem trotzigen, schmallippigen irischen Mund, passte das alles nicht recht, aber er stieg aus und ging die Stufen zur Haustür hinauf. Gleich darauf kam er zurück: «Die Tür ist zu», sagte er. «Haben Sie den Schlüssel?»

«Ja, einen Moment …» Sie kramte wild in ihrer Handtasche. Ihr kleines Gesicht war vor Angst verzerrt, der Mund krampfhaft zusammengepresst.

«Hier! Nein – ich gehe selbst. Das ist besser. Ich weiß, wo er ist.»

Sie sprang aus dem Wagen und eilte die Stufen hinauf, den Schlüssel in der Hand. Schon hatte sie ihn ins Schlüsselloch gesteckt, war im Begriff, ihn zu drehen – da hielt sie inne. Sie hob den Kopf und stand vollständig regungslos, wie erstarrt inmitten all der Hast, die Tür zu öffnen und das Haus zu betreten. Sie wartete – fünf Sekunden, sechs, sieben, acht, neun, zehn. Wie sie da stand, mit erhobenem Kopf und angespanntem Körper, schien sie zu lauschen, ob sich ein Laut wiederholen werde, den sie soeben aus dem Innern des Hauses gehört hatte.

Ja, sie lauschte – das war offensichtlich. Ihre ganze Haltung drückte Lauschen aus. Man sah förmlich, wie sie ihr Ohr immer näher an die Tür brachte. Nun lag es unmittelbar an dem Holz, und sekundenlang behielt sie diese Stellung bei: den Kopf erhoben, das Ohr an der Tür, den Schlüssel in der Hand, bereit einzutreten, aber doch nicht eintretend und stattdessen offenbar bemüht, die schwachen Laute zu analysieren, die aus dem Innern des Hauses drangen.

Auf einmal kam wieder Leben in Mrs. Foster. Sie zog den Schlüssel aus der Tür, machte kehrt und rannte zum Wagen zurück.

«Es ist zu spät!», rief sie dem Chauffeur zu. «Ich kann nicht auf ihn warten, ich kann einfach nicht, weil ich sonst das Flugzeug versäume. Fahren Sie, Chauffeur, rasch! Zum Flugplatz!»

Hätte der Mann sie genau betrachtet, so wäre ihm zweifellos aufgefallen, dass sie kreidebleich geworden war und dass sich ihr Gesichtsausdruck plötzlich verändert hatte. Keine Spur mehr von ihrem sanften, ziemlich einfältigen Blick. Eine merkwürdige Härte hatte sich über ihre Züge verbreitet. Der kleine, sonst so schlaffe Mund war schmal und fest, die Augen blitzten, und als sie sprach, klang aus ihrer Stimme eine ungewohnte Autorität. «Schnell, Chauffeur, schnell!»

«Reist denn Ihr Mann nicht mit Ihnen?», fragte er erstaunt.

«O nein, ich wollte ihn nur im Club absetzen, aber das ist jetzt nicht wichtig. Er wird’s schon einsehen und sich ein Taxi nehmen. Reden Sie nicht so lange. Fahren Sie! Ich muss die Maschine nach Paris erreichen!»

Unaufhörlich von Mrs. Foster angetrieben, fuhr der Mann wie die Feuerwehr, sodass er sie einige Minuten vor dem Start des Flugzeugs in Idlewild absetzen konnte. Bald war sie hoch über dem Atlantik, behaglich in ihren Sessel gelehnt, dem Motorengebrumm lauschend, in Gedanken schon in Paris. Noch immer befand sie sich in dieser neuen Stimmung. Sie fühlte sich ungemein kräftig und empfand ein eigenartiges Wohlbehagen. Wenn sie ein wenig atemlos war, so kam das mehr von der Verwunderung über das, was sie getan hatte, als von sonst etwas, und während sich das Flugzeug immer weiter von New York und der Zweiundsechzigsten Straße entfernte, senkte sich eine große Ruhe auf sie herab. Bei der Ankunft in Paris war sie so frisch, kühl und gelassen, wie sie es sich nur wünschen konnte.