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Mr. Bixby nahm das braune Stück Papier, das sie ihm reichte, und betrachtete es eingehend von allen Seiten, so genau, als handle es sich um einen kranken Zahn.

«Weißt du, was das ist?», fragte er langsam.

«Nein, Liebling.»

«Ein Pfandschein.»

«Ein was?»

«Ein Schein von einem Pfandleiher. Hier stehen Name und Adresse der Firma – irgendwo in der Sixth Avenue.»

«Ach herrje, da bin ich aber enttäuscht. Ich habe doch so sehr gehofft, es wäre etwas, worauf man Geld gewinnen könnte.»

«Kein Grund, enttäuscht zu sein», meinte Cyril Bixby. «Vielleicht wird die Sache sogar ganz amüsant.»

«Wieso amüsant, Liebling?»

Er erklärte ihr, was es mit Pfandscheinen auf sich habe, und hob hervor, dass der Überbringer des Scheins den Gegenstand ohne weiteres auslösen könne. Mrs. Bixby hörte geduldig zu, bis er seinen Vortrag beendet hatte.

«Glaubst du, dass sich die Auslösung lohnt?», fragte sie dann.

«Auf jeden Fall lohnt es sich festzustellen, was es ist. Siehst du – da steht fünfzig Dollar. Weißt du, was das bedeutet?»

«Nein, was denn?»

«Es bedeutet, dass der betreffende Gegenstand zweifellos einigen Wert hat.»

«Du meinst, dass er fünfzig Dollar wert ist, nicht wahr, Cyril?»

«Eher fünfhundert.»

«Fünfhundert?»

«Verstehst du denn nicht?», sagte er. «Ein Pfandleiher gibt niemals mehr als ungefähr ein Zehntel des wirklichen Wertes.»

«Du lieber Himmel! Das habe ich nicht gewusst.»

«Du weißt vieles nicht, Kindchen. Jetzt höre zu. Da weder Name noch Adresse des Eigentümers angegeben ist …»

«Aber aus irgendetwas muss doch ersichtlich sein, wem er gehört?»

«Nein, aus gar nichts. Die Leute machen das oft so. Damit niemand erfährt, dass sie beim Pfandleiher gewesen sind, weißt du? Sie schämen sich deswegen.»

«Meinst du, wir können den Schein behalten?»

«Natürlich. Es ist jetzt unser Schein.»

«Mein Schein», sagte Mrs. Bixby energisch. «Ich habe ihn gefunden.»

«Darauf kommt es doch nicht an, liebes Kind. Die Hauptsache ist, dass wir jederzeit hingehen und den Gegenstand nur für fünfzig Dollar auslösen können. Na, was hältst du davon?»

«Ach, das ist wunderbar!», rief sie. «Ich finde es schrecklich aufregend, besonders, weil wir gar nicht wissen, was es ist. Alles kann es sein, nicht wahr, Cyril? Einfach alles!»

«Da hast du recht, obwohl es sich höchstwahrscheinlich um einen Ring oder eine Uhr handelt.»

«Aber wäre es nicht fabelhaft, wenn wir eine richtige Kostbarkeit bekämen? Ich meine etwas wirklich Altes, zum Beispiel eine wunderschöne antike Vase oder eine römische Statue.»

«Was es ist, können wir nicht wissen, meine Liebe. Wir müssen abwarten.»

«Geradezu faszinierend ist das! Gib mir den Schein, ich sause am Montag sofort hin.»

«Das kann ich ebenso gut besorgen.»

«Ach nein!», rief sie. «Lass mich gehen!»

«Warum denn? Ich kann sehr gut auf meinem Weg zur Praxis vorbeifahren.»

«Es ist aber mein Schein! Bitte, Cyril, ich möchte so gern selbst gehen. Weshalb sollst du allen Spaß haben?»

«Du kennst die Pfandleiher nicht, meine Liebe. So ein Kerl ist imstande, dich zu betrügen.»

«Nein, betrügen lasse ich mich bestimmt nicht. Gib mir den Schein, bitte.»

«Du brauchst auch fünfzig Dollar dazu», sagte er lächelnd. «Bevor du den Gegenstand bekommst, musst du bare fünfzig Dollar auf den Tisch legen.»

«Die habe ich», antwortete sie.

«Trotzdem möchte ich nicht, dass du dich mit der Sache befasst.»

«Aber, Cyril, ich habe den Schein doch gefunden. Er gehört mir. Also gehört mir auch das Pfand.»

«Natürlich gehört es dir, Kindchen. Deswegen brauchst du mich nicht so anzuschreien.»

«Tue ich ja gar nicht. Ich bin aufgeregt, weiter nichts.»

«Ich glaube, du hast noch gar nicht daran gedacht, dass es auch ein ganz männlicher Gegenstand sein kann – Frackhemdenknöpfe zum Beispiel. Bekanntlich gehen nicht nur Frauen zum Pfandleiher.»

«Falls es so etwas ist, schenke ich’s dir zu Weihnachten», erklärte Mrs. Bixby großzügig. «Das würde mich sogar sehr freuen. Sollte es aber etwas für Frauen sein, dann darf ich es behalten, ja?»

«Das ist nur recht und billig. Sag mal, möchtest du nicht mitkommen, wenn ich es hole?»

Mrs. Bixby wollte schon zustimmen, besann sich aber gerade noch rechtzeitig eines Besseren. Sie hatte keine Lust, von dem Pfandleiher in Gegenwart ihres Mannes als alte Kundin begrüßt zu werden.

«Nein», antwortete sie langsam, «lieber nicht. Weißt du, wenn ich zu Hause bleibe und warte, kann ich die Spannung so richtig auskosten. Hoffentlich ist es nichts, was keiner von uns haben mag.»

«Das wäre allerdings auch möglich», meinte er. «Nun, wenn ich sehe, dass es keine fünfzig Dollar wert ist, nehme ich’s gar nicht erst.»

«Aber du sagtest doch, es wäre mindestens fünfhundert wert.»

«Das ist auch sehr wahrscheinlich. Mach dir keine Gedanken.»

«Ach, Cyril, ich kann’s kaum erwarten. Ist es nicht spannend?»

«Es ist amüsant», erwiderte er und steckte den Pfandschein in die Westentasche. «Sehr amüsant sogar.»

Endlich kam der Montagmorgen. Mrs. Bixby begleitete ihren Mann nach dem Frühstück hinaus und half ihm in den Mantel.

«Arbeite nicht zu viel, Liebling», sagte sie.

«Nein, bestimmt nicht.»

«Kommst du um sechs?»

«Ich denke, ja.»

«Wirst du Zeit haben, zu dem Pfandleiher zu gehen?», fragte sie.

«Herrgott, das hatte ich ganz vergessen. Ich werde ein Taxi nehmen und gleich hinfahren. Ist ja kein großer Umweg.»

«Hast du auch den Schein nicht verloren?»

«Hoffentlich nicht.» Er griff in die Westentasche. «Nein, hier ist er.»

«Hast du genügend Geld bei dir?»

«Wird schon reichen.»

«Liebster», sagte sie, dicht vor ihm stehend, und zog seinen Schlips gerade, obgleich das gar nicht nötig war, «wenn es nun etwas Hübsches ist, etwas, wovon du denkst, dass es mir Freude macht, willst du mich dann anrufen, sobald du in der Praxis bist?»

«Ja, wenn dir so viel daran liegt.»

«Weißt du, eigentlich hoffe ich ja, dass es etwas für dich ist, Cyril. Ich möchte viel lieber, es wäre etwas für dich als für mich.»

«Das ist rührend von dir, mein Herz. So, jetzt muss ich aber laufen.»

Etwa eine Stunde später schrillte das Telefon. Bevor das erste Läuten verstummt war, hatte Mrs. Bixby schon das Zimmer durchquert und den Hörer abgenommen.

«Ich habe es», sagte er.

«Wirklich? Was ist es denn, Cyril? Etwas Schönes?»

«Schöner als schön!», rief er. «Phantastisch! Warte nur, bis du’s zu sehen bekommst! Du wirst in Ohnmacht fallen!»

«Schnell, Liebster, was ist es?»

«Ein Glückskind bist du, das muss ich schon sagen!»

«Es ist also für mich?»

«Natürlich ist es für dich. Verdammt will ich sein, wenn ich begreife, wie das nur für fünfzig Dollar versetzt werden konnte! War bestimmt ein Verrückter.»

«Spann mich doch nicht so auf die Folter, Cyril! Ich halte das nicht aus.»

«Du schnappst über, wenn du es siehst.»

«Was ist es denn bloß?»

«Rate mal.»

Mrs. Bixby schwieg. Sei vorsichtig, ermahnte sie sich. Sei jetzt sehr vorsichtig.

«Eine Halskette», sagte sie.

«Falsch.»

«Ein Brillantring.»

«Nichts dergleichen. Ich will dir einen Tipp geben. Man trägt es auf der Straße.»

«Auf der Straße? Meinst du so etwas wie einen Hut?»

Er lachte. «Nein, ein Hut ist es nicht.»

«Um Himmels willen, Cyril, warum sagst du’s nicht endlich?»

«Weil ich dich überraschen möchte. Heute Abend bringe ich es mit.»

«Nein, das tust du nicht!», rief sie. «Ich komme sofort hin und hole es mir.»

«Mir wäre lieber, du tätest das nicht.»

«Sei nicht albern, Liebling. Warum soll ich nicht kommen?»

«Weil ich zu viel zu tun habe. Du bringst mir meine ganze Tageseinteilung durcheinander. Ich habe ohnehin eine gute halbe Stunde verloren.»

«Dann komme ich eben in der Mittagspause. Ist das recht?»

«Ich mache keine Mittagspause. Na meinetwegen, komm um halb zwei, während ich ein Sandwich esse. Bis dann also.»

Genau um halb zwei läutete Mrs. Bixby an der Tür von Mr. Bixbys Praxis. Ihr Mann öffnete ihr selbst in seinem weißen Kittel.

«Ach, Cyril, ich bin schrecklich aufgeregt!»

«Das gehört sich auch so. Du bist ein Glückskind, weißt du das?» Er führte sie über den Korridor ins Sprechzimmer.

«Sie können jetzt essen gehen, Miss Pulteney», wandte er sich an die Assistentin, die damit beschäftigt war, Instrumente zu sterilisieren. «Machen Sie das fertig, wenn Sie zurückkommen.» Er wartete, bis das Mädchen fort war, ging dann zu dem Wandschrank, in den er seine Sachen zu hängen pflegte, und wies mit dem Finger darauf. «Da drinnen ist es», sagte er. «Mach die Augen zu.»

Mrs. Bixby gehorchte. Sie holte tief Atem, hielt ihn an und konnte in der nun folgenden Stille hören, wie ihr Mann die Schranktür öffnete. Ein leises Rascheln verriet ihr, dass er ein Kleidungsstück zwischen den anderen Sachen herauszog.

«So! Augen auf!»

«Ich traue mich nicht», antwortete sie lachend.

«Na, los doch! Sei tapfer.»

Sie kicherte und hob zaghaft das eine Lid. Ganz wenig nur, gerade genug, dass sie dunkel und verschwommen sehen konnte, wie ihr Mann in seinem weißen Kittel dastand und etwas hochhielt.

«Nerz!», rief er. «Echter Nerz!»

Auf dieses Zauberwort hin öffnete sie rasch die Augen und setzte zum Sprung an, um den Mantel in ihre Arme zu schließen. Aber da war kein Mantel. Nur ein lächerlicher kleiner Pelzkragen baumelte in der Hand ihres Mannes.

«Na, wie wird dir?», fragte er und schwenkte das Ding vor ihrem Gesicht.

Mrs. Bixby wich einen Schritt zurück und presste die Hand auf den Mund. Gleich schreie ich, dachte sie. Gleich schreie ich.

«Was ist denn, Kindchen? Gefällt er dir nicht?» Er hörte auf, den Pelzkragen zu schwenken, und sah sie erwartungsvoll an.

«O doch», stieß sie hervor. «Ich … ich … finde ihn reizend … wirklich reizend.»

«Im ersten Augenblick hat’s dir den Atem verschlagen, nicht wahr?»

«Allerdings.»

«Großartige Qualität», erklärte er. «Auch schöne Farbe. Weißt du was, Liebes? Ich schätze, dass so ein Stück im Laden mindestens zwei- bis dreihundert Dollar kostet.»

«Ja, ganz gewiss.»

Es waren zwei Felle, zwei schmale, schäbig aussehende Felle, jedes mit einem Kopf, mit Glaskügelchen in den Augenhöhlen und mit kleinen Pfoten. Das eine hatte das hintere Ende des anderen im Maul und biss darauf.

«Komm», sagte er. «Probiere den Kragen mal an.» Er beugte sich vor, legte ihr das Ding um und trat bewundernd zurück. «Ausgezeichnet. Steht dir glänzend. Nerz hat nicht jeder, meine Liebe.»

«Das stimmt.»

«Beim Einkaufen lass ihn lieber zu Hause, sonst halten uns die Leute für Millionäre, und wir müssen überall das Doppelte zahlen.»

«Ich werde daran denken, Cyril.»

«Ich fürchte nur, dass du jetzt auf andere Weihnachtsgeschenke verzichten musst. Die fünfzig Dollar waren viel mehr, als ich sonst ausgegeben hätte.»

Er drehte sich um, trat an den Waschtisch und fing an, sich die Hände zu waschen. «Geh nun, mein Kind, und leiste dir einen guten Lunch. Ich wäre gern mitgegangen, aber im Wartezimmer sitzt der alte Gorman mit einer abgebrochenen Klammer an seinem Gebiss.»

Mrs. Bixby schleppte sich zur Tür.

Diesen Pfandleiher ermorde ich, dachte sie. Ich gehe jetzt geradewegs in seinen Laden, werfe ihm den schäbigen Pelzkragen ins Gesicht, und wenn er mir meinen Mantel nicht gibt, ermorde ich ihn.

«Habe ich dir schon gesagt, dass ich heute später komme?», fragte Cyril Bixby, der sich noch immer die Hände wusch.

«Nein.»

«Soweit ich’s übersehen kann, wird es mindestens halb neun werden. Vielleicht sogar neun.»

«Ja, gut. Auf Wiedersehen.» Mrs. Bixby ging hinaus und warf die Tür hinter sich zu.

Genau in demselben Augenblick kam Miss Pulteney, die Sekretärin und Assistentin, auf ihrem Weg zum Lunch den Korridor entlanggesegelt.

«Ist heute nicht ein herrlicher Tag?», sagte Miss Pulteney im Vorbeigehen, während in ihren Augen ein Lächeln aufblitzte. Ihr Gang war beschwingt, ein Hauch von Parfüm umwehte sie, und sie sah aus wie eine Königin, genau wie eine Königin in dem wundervollen schwarzen Nerzmantel, den der Oberst Mrs. Bixby geschenkt hatte.