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Albert Taylor blieb, wo er war, und versuchte nicht, sie zurückzuhalten.

Gleich darauf hörte er im Schlafzimmer, gerade über ihm, das Tap-tap-tap rascher, nervöser Schritte auf dem Linoleum. Er wusste: Wenn diese Laute verstummten, musste er zu ihr hinaufgehen, und dann würde sie wie üblich neben dem Kinderbettchen sitzen und still vor sich hin weinen, den Blick unverwandt auf das Baby gerichtet.

«Sie verhungert, Albert», würde sie sagen.

«Unsinn, sie denkt gar nicht daran.»

«Doch, sie verhungert, ich weiß es. Und – Albert …»

«Ja?»

«Ich glaube, du weißt es auch und willst es nur nicht zugeben. Habe ich recht?»

So ging es jetzt allnächtlich.

In der letzten Woche waren sie mit dem Baby im Krankenhaus gewesen. Der Arzt hatte die Kleine gründlich untersucht und dann erklärt, dass ihr nichts fehle.

«Wir haben neun Jahre gebraucht, dieses Kind zu bekommen, Herr Doktor», hatte Mabel gesagt. «Ich würde sterben, wenn ihm etwas passierte.»

Das war vor sechs Tagen gewesen, und inzwischen hatte das Kind wieder fünf Unzen abgenommen.

Aber es nützte ja nichts, sich Sorgen zu machen, stellte Albert Taylor nachdenklich fest. In solchen Fällen musste man sich einfach auf den Arzt verlassen. Er griff nach der Zeitschrift, die auf seinen Knien lag, und überflog das Inhaltsverzeichnis, um zu sehen, was ihm in dieser Woche geboten wurde.

 Unsere Bienen im Mai Die Honigbereitung Der Bienenzüchter und der Bienenpharmazeut Hinweise zur Bekämpfung der Nosema Das Neueste über Gelée Royale Diese Woche im Bienenhaus Die Heilkraft von Propolis Das Ausschwärmen Das Jahresessen der britischen Bienenhalter Vereinsnachrichten

Albert Taylor hatte sich von jeher für alles begeistert, was mit Bienen zusammenhing. Als kleiner Junge hatte er sie oft mit bloßen Händen gefangen und war dann ins Haus gelaufen, um sie der Mutter zu zeigen; manchmal setzte er sie sich ins Gesicht, ließ sie über Wangen und Hals kriechen, und das Erstaunliche war, dass er nie gestochen wurde. Im Gegenteil, die Bienen fühlten sich anscheinend sehr wohl bei ihm. Nie versuchten sie fortzufliegen, und wenn er sie loswerden wollte, musste er sie behutsam mit den Fingern abstreifen. Selbst dann kehrten sie oft zurück und setzten sich wieder auf seine Hände, Arme oder Knie, überallhin, wo nackte Haut war.

Sein Vater, ein Maurer, behauptete, der Junge müsse einen Hexengestank haben, der aus seinen Poren dringe, und er fügte hinzu, bei solchem Insektenhypnotisieren komme bestimmt nichts Gutes heraus. Die Mutter dagegen meinte, so etwas sei eine Gabe Gottes, und sie ging so weit, Albert und die Bienen mit dem heiligen Franziskus und den Vögeln zu vergleichen.

Im Laufe der Zeit wurde aus Albert Taylors Vorliebe für Bienen eine Leidenschaft, und mit zwölf Jahren baute er seinen ersten Bienenstock. Dann fing er seinen ersten Schwarm. Mit vierzehn hatte er bereits fünf Bienenstöcke, die hübsch in einer Reihe am Zaun des väterlichen Hofes standen, und schon damals beschäftigte er sich nicht nur mit der normalen Honiggewinnung, sondern auch mit der schwierigen, äußerst komplizierten Aufgabe, Königinnen zu züchten, indem er Larven in künstliche Zellen setzte und sie genau nach Vorschrift versorgte.

Wenn er in einem Stock arbeitete, brauchte er weder Pfeife, Handschuhe noch Kopfschutz. Zwischen dem Jungen und den Bienen bestand offenbar eine seltsame Sympathie, und im Dorf, in den Läden und Kneipen sprach man mit einem gewissen Respekt von Albert Taylor. Immer öfter kamen Leute und kauften Honig bei ihm.

Mit achtzehn Jahren pachtete er einen Morgen Brachland, das neben einem Obstgarten mit Kirschbäumen lag und ungefähr eine Meile vom Dorf entfernt war. Dort hatte er sich darangemacht, ein eigenes Geschäft aufzubauen. Jetzt, elf Jahre später, saß er noch immer an derselben Stelle, hatte aber sechs Morgen Land statt des einen, zweihundertvierzig gut besetzte Bienenstöcke und ein selbstgebautes Häuschen. Er hatte schon als Zwanzigjähriger geheiratet, und abgesehen von den neun Jahren Wartezeit auf das Kind, war auch das ein Erfolg gewesen. Ja, Albert hatte stets Glück gehabt, bis dieses merkwürdige kleine Mädchen erschienen war, das die Eltern in tödliche Angst versetzte, weil es die Nahrungsaufnahme verweigerte und täglich an Gewicht verlor.

Er blickte von der Zeitschrift auf und dachte an sein Töchterchen.

Vorhin zum Beispiel hatte die Kleine zu Beginn der Mahlzeit die Augen aufgeschlagen, und da war ihm etwas aufgefallen, was ihn sehr beunruhigte – dieser leere, verschwommene Blick, als wären die Augen gar nicht mit dem Gehirn verbunden, sondern lägen wie kleine graue Murmeln in ihren Höhlen.

Ob die Ärzte eigentlich wussten, was sie sagten?

Er zog seinen Aschbecher heran und kratzte langsam mit einem Streichholz die Asche aus dem Pfeifenkopf.

Man konnte ja das Kind zur Vorsicht in einem anderen Krankenhaus untersuchen lassen, vielleicht in Oxford. Wenn er nachher hinaufging, wollte er Mabel das vorschlagen.

Er hörte noch immer ihre Schritte im Schlafzimmer, aber sie hatte wohl die Schuhe mit Pantoffeln vertauscht, denn das Geräusch war sehr leise.

Wieder richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Zeitschrift. Er las die «Hinweise zur Bekämpfung der Nosema», blätterte um und nahm den nächsten Artikel in Angriff: «Das Neueste über Gelée Royale». Allerdings bezweifelte er, dass Dinge darin stehen würden, die er noch nicht wusste.

Was ist diese wundervolle, Gelée Royale genannte Substanz?

Er griff nach der Tabaksdose, die neben ihm auf dem Tisch stand, und stopfte seine Pfeife, während er las.

Gelée Royale ist ein Drüsensekret der Ammenbienen, mit dem die Larven unmittelbar nach dem Ausschlüpfen aus dem Ei gefüttert werden. Die Speicheldrüsen der Bienen produzieren diese Substanz auf ähnliche Art, wie die Brustdrüsen der weiblichen Säugetiere Milch produzieren. Diese Tatsache ist von großem biologischem Interesse, weil es in der Welt keine anderen Insekten gibt, die einen solchen Prozess entwickelt haben.

Weiß ich ja alles, dachte er, las aber weiter, denn er hatte nichts Besseres zu tun.

In den ersten drei Tagen nach dem Ausschlüpfen werden alle Bienenlarven mit Gelée Royale in konzentrierter Form gefüttert; danach wird für jene, die zu Drohnen oder Arbeiterinnen bestimmt sind, diese wertvolle Nahrung stark mit Honig und Blütenstaub verdünnt. Die Larven jedoch, die dazu bestimmt sind, Königinnen zu werden, erhalten ihre ganze Larvenzeit hindurch den konzentrierten Futtersaft, also reines Gelée Royale. Daher der Name.

Über ihm im Schlafzimmer waren keine Schritte mehr zu hören. Das Haus war still. Er zündete ein Streichholz an und hielt es an die Pfeife.

Gelée Royale muss eine ungeheuer nahrhafte Substanz sein, denn die Bienenlarven, die mit nichts anderem gefüttert werden, haben nach fünf Tagen das Fünfzehnhundertfache ihres ursprünglichen Gewichts erreicht.

Wird so ungefähr stimmen, dachte er, obwohl ihm noch nie eingefallen war, das Wachstum der Larven nach dem Gewicht zu bestimmen.

Das ist, als wäre ein Baby von siebeneinhalb Pfund im gleichen Zeitraum um fünf Tonnen schwerer geworden.

Albert Taylor stutzte und las den Satz noch einmal.

Er las ihn auch noch ein drittes Mal.

Das ist, als wäre ein Baby von siebeneinhalb Pfund … «

Mabel!», schrie er, von seinem Stuhl aufspringend. «Mabel! Komm her!»

Er ging hinaus, blieb an der Treppe stehen und rief von neuem nach seiner Frau.

Keine Antwort.

Er lief hinauf und knipste auf dem oberen Flur das Licht an. Die Schlafzimmertür war geschlossen. Er öffnete sie und blickte von der Schwelle in das dunkle Zimmer. «Mabel», sagte er, «sei so gut und komme einen Augenblick herunter. Ich habe eine großartige Idee. Es handelt sich um das Baby.»