Die Lampe hinter ihm warf einen schwachen Lichtschein über das Bett, und er konnte undeutlich sehen, dass Mabel auf dem Bauch lag, das Gesicht in die Kissen gepresst, die Arme von sich gestreckt. Sie weinte.
Er trat zu ihr und berührte ihre Schulter. «Mabel», bat er, «komm herunter. Vielleicht ist es wichtig.»
«Geh weg», sagte sie. «Las mich in Ruhe.»
«Möchtest du denn nicht hören, was mir eben eingefallen ist?»
«Ach, Albert», schluchzte sie. «Ich bin müde. So müde, dass ich nicht mehr weiß, was ich tue. Ich kann das nicht länger aushalten. Ich kann nicht, ich kann nicht …»
Eine Pause entstand. Albert Taylor wandte sich ab, ging langsam zu dem Bettchen hinüber, in dem die Kleine lag, und schaute hinein. In der Dunkelheit war das Gesicht des Kindes nicht zu erkennen, doch als er sich vorbeugte, hörte er die schnellen, schwachen Atemzüge.
«Wann bekommt sie wieder die Flasche?», fragte er.
«Um zwei.»
«Und dann die nächste?»
«Morgen früh um sechs.»
«Die beiden Mahlzeiten gebe ich ihr», sagte er. «Schlaf du dich nur aus.»
Sie antwortete nicht.
«Leg dich gleich richtig hin, Mabel, und schlaf sofort ein, hörst du? Und mach dir keine Gedanken mehr. Für die nächsten zwölf Stunden übernehme ich alles. Du musst dich ein wenig schonen, sonst brichst du völlig zusammen.»
«Ja, ich weiß», flüsterte sie.
«Das Würmchen und ich gehen jetzt mit dem Wecker ins Fremdenzimmer, und du legst dich schön bequem hin und denkst gar nicht an uns. Ja?» Er war schon dabei, das Bettchen aus der Tür zu schieben.
«Ach, Albert», schluchzte sie.
«Nicht aufregen, Mabel. Wird schon nichts passieren.»
«Albert …»
«Ja?»
«Ich liebe dich, Albert.»
«Ich dich auch, Mabel. Und nun schlaf.»
Bis zum nächsten Vormittag sah Albert Taylor seine Frau nicht wieder. Erst kurz vor elf Uhr kam sie in Morgenrock und Pantoffeln die Treppe heruntergeeilt.
«Du lieber Himmel!», rief sie. «Albert, sieh doch bloß auf die Uhr! Ich habe ja mindestens zwölf Stunden geschlafen! Ist alles in Ordnung? Wie war es?»
Er saß ruhig im Lehnstuhl, rauchte eine Pfeife und las die Morgenzeitung. Zu seinen Füßen schlief das Baby in einem Tragkörbchen.
«Hallo, Liebste», sagte er lächelnd.
Sie lief zu dem Körbchen und schaute hinein. «Hat sie etwas getrunken, Albert? Wie oft hast du ihr die Flasche gegeben? Um zehn hätte sie wieder trinken müssen, wusstest du das?»
Albert Taylor faltete die Zeitung zusammen und legte sie auf den Tisch. «Das erste Mal habe ich sie um zwei Uhr morgens gefüttert, und sie hat ungefähr eine halbe Unze getrunken, nicht mehr. Dann habe ich sie um sechs Uhr aufgenommen, und da war es schon etwas besser, zwei Unzen …»
«Zwei Unzen? Albert, das ist ja wunderbar!»
«Und vor zehn Minuten haben wir die letzte Mahlzeit beendet. Dort auf dem Kamin steht die Flasche. Eine Unze ist noch drin, und drei hat sie getrunken. Was sagst du dazu?» Sein breites Lächeln verriet, wie beglückt er über diesen Erfolg war.
Mrs. Taylor kniete sich rasch hin und betrachtete das Kind.
«Sieht sie nicht besser aus?», fragte ihr Mann eifrig. «Ich finde, das Gesicht ist runder geworden.»
«Vielleicht klingt es albern», antwortete sie, «aber ich glaube wirklich, sie hat sich erholt. Ach, Albert, du bist ein Wunder! Wie hast du das nur geschafft?»
«Sie ist über den Berg, das ist alles. Genau wie es der Doktor vorausgesagt hat.»
«Ich hoffe zu Gott, dass du recht hast, Albert.»
«Natürlich habe ich recht. Pass auf, von jetzt an gedeiht sie.»
Seine Frau blickte das Baby liebevoll an.
«Du siehst auch besser aus, Mabel.»
«Ich fühle mich ausgezeichnet. Es tut mir leid wegen gestern.»
«Ich mach dir einen Vorschlag», sagte er. «In Zukunft werde ich ihr abends und nachts die Flasche geben, und du versorgst sie tagsüber.»
Sie hob den Kopf und sah mit gerunzelter Stirn zu ihm auf. «Nein, das kommt überhaupt nicht infrage.»
«Ich möchte nicht, dass du zusammenklappst, Mabel.»
«Tue ich auch nicht. Ich bin jetzt wieder ganz frisch.»
«Warum wollen wir uns die Arbeit nicht teilen?»
«Nein, Albert. Um das Kind kümmere ich mich, ich ganz allein. So etwas wie gestern passiert nicht nochmal.»
Eine Weile blieb es still. Albert Taylor untersuchte den Tabak im Kopf seiner Pfeife. «Schön», sagte er schließlich, «dann werde ich dir wenigstens den Kleinkram abnehmen, das Sterilisieren, das Mischen und die übrigen Vorbereitungen. Ein bisschen hilft dir das auch.»
Sie schaute ihn verwundert an und fragte sich, was plötzlich über ihn gekommen sei.
«Sieh mal, Mabel …»
«Ja, Liebster?»
«Mir ist klargeworden, dass ich bis zur vergangenen Nacht keinen Finger gerührt habe, um dir zu helfen.»
«Das ist nicht wahr.»
«Doch, doch. Und deshalb habe ich beschlossen, dich von nun an nach Möglichkeit zu entlasten. Ich werde die Milch mit Haferschleim mischen und die Flaschen sterilisieren. Einverstanden?»
«Das ist süß von dir, Liebster, aber ich glaube wirklich, es ist nicht nötig …»
«Sei vernünftig!», rief er. «Lass es dabei! Die letzten drei Male habe ich die Milch zurechtgemacht, und du siehst ja, was dabei herausgekommen ist. Wann gibst du ihr die nächste Mahlzeit? Um zwei, nicht wahr?»
«Ja.»
«Dafür steht schon alles bereit», verkündete er. «Fix und fertig zum Gebrauch. Wenn es so weit ist, gehst du einfach in die Speisekammer, nimmst das Fläschchen vom Gestell und wärmst es. Eine kleine Hilfe ist das doch, nicht wahr?»
Sie erhob sich von den Knien, trat zu ihm und küsste ihn auf die Wange. «Du bist so gut», sagte sie. «Mit jedem Tag, den ich dich kenne, liebe ich dich mehr.»
Als Albert nachmittags draußen im Sonnenschein an seinen Bienenkörben arbeitete, hörte er Mabel vom Hause her nach ihm rufen.
«Albert!», schrie sie. «Albert, wo bist du?» Sie kam durch die Butterblumen auf ihn zugerannt.
Er lief ihr entgegen und dachte, es sei ein Unglück geschehen.
«Oh, Albert! Rate mal!»
«Was ist denn los?»
«Eben habe ich ihr die Zweiuhrflasche gegeben, und sie hat alles ausgetrunken.»
«Nein!»
«Jeden Tropfen! Ach, ich bin so glücklich, Albert! Jetzt hat sie ’s überstanden. Wie du gesagt hast, sie ist über den Berg.» Sie fiel ihm um den Hals und drückte ihn an sich, während er ihr auf den Rücken klopfte und lachend sagte, was für eine wundervolle kleine Mutter sie sei.
«Willst du beim nächsten Mal hereinkommen und aufpassen, ob sie wieder so viel trinkt, Albert?»
Er versicherte, das werde er sich um keinen Preis entgehen lassen, und sie umarmte ihn noch einmal, drehte sich um und lief zurück zum Haus. Unterwegs hüpfte und sang sie in einem fort.
Natürlich lag eine gewisse Spannung in der Luft, als die Zeit der Sechsuhrflasche herankam. Schon um halb sechs saßen die Eltern im Wohnzimmer und warteten auf den großen Augenblick. Das fertige Fläschchen stand in einem Topf mit warmem Wasser auf dem Kamin. Das Baby schlief in seinem Körbchen auf dem Sofa.
Zwanzig Minuten vor sechs erwachte es und begann aus Leibeskräften zu schreien.
«Siehst du wohl!», rief Mrs. Taylor. «Sie will ihr Fläschchen. Nimm sie rasch auf, Albert, und bring sie mir her. Aber erst gib mir die Flasche.» Er holte die Flasche und legte dann seiner Frau das Kind in den Schoß. Vorsichtig berührte sie die Lippen des Babys mit dem Sauger. Die Kleine schnappte sofort danach und fing an, gierig zu trinken.
«Oh, Albert, ist das nicht herrlich?»
«Großartig ist es, Mabel.»
Nach sieben oder acht Minuten war der Inhalt der Flasche restlos in der Kehle des Kindes verschwunden.