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«Horch!», rief Mrs. Taylor. «Ich glaube, das Kind weint.»

Albert blickte von der Zeitschrift auf. Tatsächlich, aus dem Schlafzimmer drang lautes, kräftiges Geschrei.

«Sie wird Hunger haben», meinte er.

Seine Frau sah auf die Uhr und sprang erschrocken auf. «Du lieber Himmel, es ist ja schon über ihre Zeit. Mach rasch die Milch fertig, Albert, ich hole sie inzwischen herunter. Beeil dich, wir dürfen sie nicht warten lassen …» Eine halbe Minute später kam Mrs. Taylor mit dem brüllenden Kind zurück. Sie zitterte vor Aufregung, denn sie war noch nicht an den schrecklichen ununterbrochenen Lärm gewöhnt, den ein gesunder Säugling macht, wenn er nach seiner Nahrung verlangt. «Schnell, Albert!», rief sie, setzte sich in den Sessel und legte das Kind auf ihrem Schoß zurecht. «Bitte, beeil dich!»

Albert brachte ihr aus der Küche die Flasche mit warmer Milch. «Die Temperatur ist gerade richtig», sagte er. «Du brauchst nicht zu probieren.»

Sie rückte das Kinderköpfchen in ihrem Arm etwas höher und schob den Gummipfropfen in den weit offenen schreienden Mund. Sofort verstummte das Gebrüll, und das Baby begann gierig zu saugen. Mrs. Taylor atmete auf.

«Ach, Albert, ist sie nicht süß?»

«Unbeschreiblich süß, Mabel – dank Gelée Royale.»

«Nein, Liebster, ich will nichts mehr von dem grässlichen Zeug hören. Ich ängstige mich zu Tode, wenn ich nur daran denke.»

«Du machst da einen großen Fehler», sagte er.

«Das wird sich ja zeigen.»

Die Kleine sog unentwegt an der Flasche.

«Ich glaube, sie trinkt wieder alles aus, Albert.»

«Bestimmt.»

Bald darauf war die Flasche leer.

«Ach, was bist du für ein gutes Kind!», rief Mrs. Taylor und wollte behutsam den Sauger herausziehen. Das Baby erriet, was sie im Schilde führte, und sog stärker, weil es die Flasche nicht hergeben mochte. Mrs. Taylor aber ließ nicht locker, und flupp war der Sauger draußen.

«Waa! Waa! Waa! Waa!», schrie das Baby.

«Ja, die dumme Luft», sagte Mrs. Taylor, legte das Kind an ihre Schulter und klopfte es auf den Rücken, bis es zweimal nacheinander aufstieß.

«Siehst du, mein Herzchen, nun ist alles in Ordnung.»

Nach einer Pause von wenigen Sekunden fing das Geschrei von neuem an.

«Lass sie nochmal aufstoßen», riet Albert. «Sie hat zu schnell getrunken.»

Wieder legte seine Frau das Kind an die Schulter. Sie rieb sein Rückgrat. Sie nahm es von der einen Schulter an die andere. Sie bettete es mit dem Gesicht nach unten in ihren Schoß. Sie setzte es auf ihr Knie. Aber statt aufzustoßen, schrie das Würmchen immer lauter und eindringlicher.

«Gut für die Lungen», meinte Albert grinsend. «Auf diese Weise üben sie ihre Lungen. Wusstest du das, Mabel?»

«So, so, so», sagte die Frau und bedeckte das Gesicht des Kindes mit Küssen. «So, so, so.»

Sie wartete weitere fünf Minuten, aber das Geschrei verstummte keinen Augenblick.

«Du solltest sie neu wickeln», schlug Albert vor. «Sie hat sich nass gemacht, das ist alles.» Er holte eine Windel aus der Küche, und Mrs. Taylor legte das Baby trocken.

Es half gar nichts.

«Waa! Waa! Waa! Waa! Waa!», brüllte das Kind.

«Du hast ihr doch nicht die Sicherheitsnadel durch die Haut gestochen, Mabel?»

«Natürlich nicht», antwortete sie und fühlte vorsichtshalber unter der Windel nach.

Die Eltern saßen einander gegenüber in ihren Sesseln, betrachteten nervös lächelnd das Kind auf dem Schoß der Mutter und warteten, dass es müde würde und mit dem Geschrei aufhörte.

«Weißt du was?», sagte Albert Taylor schließlich.

«Ja?»

«Ich wette, sie hat noch Hunger. Bestimmt fehlt ihr nichts weiter als ein ordentlicher Schluck aus der Flasche. Soll ich ihr was holen?»

«Ich glaube nicht, dass wir das tun sollten, Albert.»

«Wird ihr bestimmt nichts schaden», versicherte er und stand auf. «Ich wärme ihr eine zweite Portion.»

Er ging in die Küche und kam nach einigen Minuten mit einer bis zum Rand gefüllten Flasche zurück.

«Ich habe die doppelte Menge genommen», erklärte er. «Acht Unzen. Für alle Fälle.»

«Bist du verrückt, Albert? Weißt du nicht, dass zu viel ebenso schädlich ist wie zu wenig?»

«Du brauchst ihr ja nicht alles zu geben, Mabel. Wenn du denkst, dass sie genug hat, hörst du eben auf. Na los, gib ihr zu trinken.»

Mrs. Taylor kitzelte die Oberlippe des Babys mit der Spitze des Saugers. Wie eine Falle schloss sich der kleine Mund um den Gummipfropfen, und plötzlich herrschte Stille im Zimmer. Der Körper des Kindes entspannte sich, und das Gesicht bekam einen Ausdruck höchster Seligkeit.

«Na bitte, Mabel, was habe ich dir gesagt?»

Mrs. Taylor schwieg.

«Sie ist heißhungrig, sonst nichts. Sieh nur, wie sie saugt.»

Mrs. Taylor beobachtete den Flüssigkeitsspiegel in der Flasche. Er sank schnell, und bald waren von den acht Unzen drei oder vier verschwunden.

«So», sagte sie, «das genügt.»

«Jetzt kannst du nicht plötzlich aufhören, Mabel.»

«Doch, Liebster, ich muss.»

«Ach wo. Gib ihr den Rest und mach dir keine Gedanken.»

«Aber Albert …»

«Siehst du denn nicht, dass sie ausgehungert ist? Nur zu, mein Herzchen, trink weiter.»

«Das ist unvernünftig», widersprach seine Frau, zog aber die Flasche nicht weg.

«Sie holt nach, Mabel, und sie hat’s nötig.»

Fünf Minuten später war die Flasche leer. Diesmal protestierte das Kind nicht. Still und friedlich lag es in den Armen der Mutter, seine Augen strahlten vor Zufriedenheit, der Mund stand halb offen, die Lippen waren mit Milch beschmiert.

«Zwölf ganze Unzen, Mabel!», sagte Albert Taylor. «Das Dreifache der normalen Menge. Ist das nicht fabelhaft?»

Seine Frau blickte auf das Baby. Langsam veränderte sich ihr Gesichtsausdruck: Die ängstliche Besorgnis der ratlosen Mutter ergriff wieder von ihr Besitz.

«Was hast du denn?», fragte Albert. «Das ist doch wirklich kein Grund zur Aufregung. Wenn sie sich erholen soll, braucht sie eben mehr als schäbige vier Unzen. Mach dich nicht lächerlich.»

«Komm her, Albert», flüsterte sie.

«Warum?»

«Ich habe gesagt, komm her.»

Er gehorchte und stellte sich neben sie.

«Sieh hin und sag, ob dir irgendwas auffällt.»

Er beugte sich über das Baby. «Sie ist dicker geworden, Mabel, wenn du das meinst. Dicker und größer.»

«Heb sie hoch», befahl Mrs. Taylor. «Komm, nimm sie auf.»

Er griff zu. «Mein Gott, sie wiegt ja mindestens eine Tonne!»

«So ist es.»

«Wie herrlich!», rief er begeistert. «Ich wette, sie hat schon ihr normales Gewicht erreicht.»

«Mir ist das unheimlich, Albert. Es geht zu schnell.»

«Unsinn.»

«Das liegt nur an diesem widerlichen Gelée», sagte sie. «Ich hasse das Zeug.»

«Gelée Royale ist nicht widerlich», antwortete er empört.

«Du weißt nicht, was du redest, Albert. Glaubst du, es ist normal, wenn ein Kind so schnell zunimmt?»

«Du bist aber auch nie zufrieden!», rief er. «Erst stirbst du vor Angst, weil sie abnimmt, und jetzt regst du dich auf, weil sie zunimmt. Was ist eigentlich mit dir los, Mabel?»

Sie stand auf und ging mit dem Baby im Arm zur Tür. «Ich kann nur sagen», erklärte sie, «es ist ein Segen, dass ich hier bin, um aufzupassen. Du wirst ihr nichts mehr davon geben, so viel ist sicher.»