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In dieser Stimmung begab ich mich am nächsten Tag zu Lady Birdwells Tennisgesellschaft.

Ich selbst spielte nicht, aber die Lady hatte mich freundlich aufgefordert, gegen sechs Uhr zu kommen, wenn das Spiel zu Ende sei. Sie glaubte wohl, die Anwesenheit eines Geistlichen werde der Zusammenkunft eine gewisse Note verleihen, und vielleicht hoffte sie auch, dass sie mich zu einer Darbietung wie bei ihrer letzten Gesellschaft überreden könnte, wo ich nach dem Souper volle einundeinviertel Stunden am Klavier gesessen und die Gäste mit einem Vortrag über die Entwicklung des Madrigals im Laufe der Jahrhunderte unterhalten hatte.

Pünktlich um sechs Uhr erreichte ich auf meinem Fahrrad den langen Weg, der vom Gartentor zum Haus führte. Es war die erste Juniwoche, und die Rhododendronsträucher zu beiden Seiten standen in voller Blüte, purpurn und hellrot. Ich fühlte mich ungewöhnlich munter und verwegen. Nach dem Experiment mit den Ratten konnte mich nun niemand mehr überrumpeln. Ich wusste genau, was meiner harrte, und war entsprechend gerüstet. Das kleine Gitter um mich herum würde mich schützen.

«Ah, guten Abend, mein lieber Vikar», rief Lady Birdwell, als sie meiner ansichtig wurde, und eilte mit ausgestreckten Armen auf mich zu.

Ich hielt mannhaft stand und blickte ihr fest in die Augen.

«Wie geht’s Birdwell?», fragte ich. «Ist er noch in der Stadt?»

Bestimmt hatte sie nie zuvor erlebt, dass jemand, der nicht zu Lord Birdwells Bekannten gehörte, in diesem Ton von ihm sprach. Sie erstarrte förmlich zur Salzsäule, sah mich sonderbar an und wusste offenbar nicht, was sie antworten sollte.

«Ich werde mich setzen, wenn Sie nichts dagegen haben», sagte ich und ging an ihr vorbei zur Terrasse, wo neun oder zehn Gäste bequem in Rohrsesseln lehnten und an ihren Drinks nippten. Die Gesellschaft bestand vorwiegend aus Frauen, der gewohnte Kreis, alle in weißen Tenniskleidern, und ich hatte den Eindruck, mein ehrbarer schwarzer Anzug werde es mir erleichtern, die erforderliche Distanz zu halten.

Die Damen begrüßten mich lächelnd. Ich verbeugte mich kurz und nahm auf einem freien Stuhl Platz, ohne ihr Lächeln zu erwidern.

«Ich erzähle meine Geschichte lieber ein andermal zu Ende», sagte Miss Elphinstone. «Ich glaube, sie würde unserem Vikar nicht gefallen.» Sie kicherte und warf mir einen schelmischen Blick zu. Ich wusste, dass sie auf mein übliches nervöses Lachen wartete und auf meine übliche Beteuerung, wie weitherzig ich sei, aber ich tat nichts dergleichen. Ich hob nur die eine Seite meiner Oberlippe, bis sie sich zu einem schwachen verächtlichen Lächeln kräuselte – das hatte ich am Morgen vor dem Spiegel ausprobiert –, und sagte scharf mit lauter Stimme: «Mens sana in corpore sano.»

«Wie bitte?», rief sie. «Noch einmal, Herr Vikar.»

«Ein sauberer Geist in einem gesunden Körper», antwortete ich. «Es ist der Wahlspruch meiner Familie.»

Daraufhin entstand ein ziemlich langes befremdetes Schweigen. Ich sah, dass die Damen Blicke wechselten, die Stirn runzelten und verstohlen den Kopf schüttelten.

«Unser Vikar ist schlechter Laune», verkündete Miss Foster, die Katzenzüchterin. «Ich glaube, er braucht einen Drink.»

«Danke», antwortete ich. «Wie Sie wissen, nehme ich keinen Alkohol zu mir.»

«Darf ich Ihnen dann vielleicht einen schönen kalten Fruchtcocktail mixen?»

Dieser Satz kam sanft und ganz unerwartet von jemand, der rechts hinter mir saß, und aus der Stimme klang eine so aufrichtige Hilfsbereitschaft, dass ich mich hastig umwandte.

Ich erblickte eine Dame von ungewöhnlicher Schönheit, die ich bisher erst einmal, etwa vor einem Monat, gesehen hatte. Sie hieß Miss Roach, und ich entsann mich, dass sie mir damals aufgefallen war, weil sie sich so sehr von den anderen unterschied. Ihre liebenswürdige und dabei zurückhaltende Art hatte mich stark beeindruckt, und die Tatsache, dass ich mich in ihrer Gegenwart wohl gefühlt hatte, ließ nur einen Schluss zu: Miss Roach gehörte nicht zu den Frauen, die sich mir in irgendeiner Weise aufzudrängen suchten.

«Sie müssen doch müde sein, nachdem Sie den weiten Weg geradelt sind», meinte sie.

Ich drehte mich vollends um und betrachtete sie aufmerksam. Sie war wirklich eine auffallende Erscheinung – erstaunlich muskulös für eine Frau, mit breiten Schultern, kräftigen Armen und strammen Waden. Ihr Gesicht, noch erhitzt von den Anstrengungen des Nachmittags, strahlte in einem gesunden Rot.

«Danke vielmals, Miss Roach», erwiderte ich, «aber ich rühre Alkohol in keiner Form an. Vielleicht ein Gläschen Zitronenlimonade …»

«Fruchtcocktail besteht nur aus Obst, Padre.»

Wie ich es liebe, Padre genannt zu werden! Das Wort klingt so militärisch – man denkt sofort an strenge Disziplin und Offiziersrang.

«Fruchtcocktail?», sagte Miss Elphinstone. «Eine völlig harmlose Sache.»

«Da ist nichts drin als Vitamin C», fügte Miss Foster hinzu.

«Viel besser für Sie als Brauselimonade», versicherte Lady Birdwell. «Kohlensäure greift die Magenschleimhaut an.»

«Ich hole Ihnen ein Glas», sagte Miss Roach und lächelte mir freundlich zu. Es war ein gutes, offenes Lächeln, und von einem Mundwinkel zum anderen konnte ich nichts Arglistiges oder Boshaftes darin entdecken.

Sie erhob sich und ging zu dem Tisch, auf dem die Getränke standen. Ich sah, wie sie eine Orange zerkleinerte, dann einen Apfel, eine Gurke, eine Traube. Das alles füllte sie in ein Glas und goss ziemlich viel Flüssigkeit aus einer Flasche dazu. Ich konnte die Aufschrift auf dem Etikett ohne Brille nicht lesen, aber ich glaubte einen Namen wie Jim oder Tim oder Pim zu erkennen.

«Ich hoffe, es ist noch genug davon da», rief Lady Birdwell. «Meine Kinder sind so gierig danach.»

«Reichlich», antwortete Miss Roach. Sie kam mit dem Glas zurück und stellte es vor mich hin.

Auch ohne das Getränk zu probieren, verstand ich, weshalb die Kinder so dafür schwärmten. Die Flüssigkeit war von einem dunklen Bernsteinrot, zwischen den Eiswürfeln schwammen Obststückchen, und Miss Roach hatte das Ganze mit etwas Minze garniert. Ich vermutete, sie habe die Minze eigens für mich dazugetan, um die Süße zu mildern und der Mischung, die sonst wohl nur für Jugendliche bestimmt war, einen «erwachsenen» Geschmack zu geben.

«Ist es Ihnen auch nicht zu dickflüssig, Padre?»

«Keineswegs», erwiderte ich und nahm einen Schluck. «Es schmeckt köstlich. Wirklich, ganz ausgezeichnet.»

Nach all der Mühe, die sich Miss Roach gemacht hatte, schien es fast unrecht, das Getränk so schnell hinunterzugießen, doch es war derart erfrischend, dass ich nicht widerstehen konnte.

«Soll ich Ihnen noch eins zurechtmachen?»

Statt mir das Glas aus der Hand zu nehmen, wartete sie, bis ich es auf den Tisch gestellt hatte, und das gefiel mir.

«Die Minze würde ich aber nicht essen», sagte Miss Elphinstone.

«Ich will lieber noch eine Flasche aus dem Haus holen», rief Lady Birdwell. «Sie werden sie brauchen, Mildred.»

«Tun Sie das», antwortete Miss Roach. «Ich trinke Unmengen von dem Zeug», erklärte sie, zu mir gewandt. «Und ich glaube nicht, dass man mich abgemagert nennen kann.»

«Gewiss nicht», beteuerte ich eifrig. Ich beobachtete sie wieder beim Mischen des Getränks, und als sie die Flasche hob, sah ich unter der Haut ihres Armes die Muskeln spielen. Sie kehrte mir den Rücken zu, und ich bemerkte, dass sie einen prachtvollen Hals hatte, nicht dürr und sehnig wie die Hälse vieler sogenannter moderner Schönheiten, sondern fleischig und stark, mit einer kleinen Furche auf jeder Seite, wo die Sehnen vorsprangen. Bei einer solchen Person konnte man das Alter schwer erraten, aber ich schätzte sie auf nicht mehr als achtundvierzig oder neunundvierzig Jahre.