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Kaum hatte ich mein zweites Glas geleert, als mich eine höchst merkwürdige Empfindung überkam. Mir war, als stiege ich von meinem Stuhl in die Luft, emporgetragen von Hunderten kleiner warmer Wellen, die unter mir fluteten. Ich fühlte mich leicht wie eine Wasserblase; alles um mich herum schien auf und ab zu schweben und dabei sanft von einer Seite zur anderen zu schwingen. Das war überaus angenehm, und ich verspürte eine fast unbezwingbare Lust, laut zu singen.

«Na, geht’s Ihnen gut?», hörte ich Miss Roachs Stimme aus weiter Ferne. Ich drehte mich um und stellte zu meinem Erstaunen fest, dass sie dicht neben mir saß. Auch sie schwebte auf und ab.

«Großartig», versicherte ich. «Mir geht’s einfach großartig.»

Ihr breites rosiges Gesicht war mir so nahe, dass ich den hellen Flaum sah, der ihre Wangen bedeckte. Im Sonnenlicht schimmerte jedes einzelne Härchen wie Gold. Plötzlich war ich versucht, die Hand auszustrecken und diese Wangen zu streicheln. Um ehrlich zu sein – es wäre mir gar nicht unangenehm gewesen, hätte sie das bei mir getan.

«Hören Sie», sagte sie weich, «wollen wir beide nicht einen kleinen Spaziergang durch den Garten machen und die Lupinen anschauen?»

«Fein», antwortete ich. «Wunderbar. Ganz wie Sie wünschen.»

In Lady Birdwells Garten befindet sich neben dem Krocketplatz ein kleines Sommerhaus, und ehe ich wusste, wie mir geschah, saß ich in diesem Sommerhaus neben Miss Roach auf einer Art Chaiselongue. Ich schwebte noch immer auf und ab, sie ebenfalls, und was das betrifft, ging es dem Sommerhaus auch nicht anders. Wunderbar war das. Ich fragte Miss Roach, ob ich ihr etwas vorsingen solle.

«Jetzt nicht», erwiderte sie, schlang die Arme um mich und zog meine Brust so fest an die ihre, dass es wehtat.

«Lassen Sie», sagte ich schmelzend.

«So ist es schön», murmelte sie in einem fort. «So ist es schön, nicht wahr?»

Hätte Miss Roach oder irgendein anderes weibliches Wesen eine Stunde zuvor dergleichen getan, ich weiß nicht, was passiert wäre. Wahrscheinlich wäre ich in Ohnmacht gefallen. Vielleicht sogar gestorben. Nun aber, obwohl ich noch immer derselbe war, störte es mich kein bisschen, dass diese üppigen nackten Arme meinen Körper berührten. Im Gegenteil – und das war das erstaunlichste an der Sache –, allmählich erwachte in mir der Wunsch, die Umarmung zu erwidern.

Ich nahm ihr linkes Ohrläppchen zwischen Daumen und Zeigefinger und zog spielerisch daran.

«Unartiger Junge», sagte sie.

Ich zog stärker und drückte gleichzeitig ein wenig. Das erregte sie in solchem Maße, dass sie wie ein Schwein grunzte und schnaufte. Ihr Atem wurde laut und keuchend.

«Küss mich», befahl sie.

«Wie?», fragte ich.

«Los, küss mich.»

In diesem Augenblick sah ich ihren Mund, ihren großen Mund langsam auf mich zukommen, sich öffnen, sich immer weiter öffnen, und auf einmal fühlte ich, wie sich mir der Magen umdrehte, und ich erstarrte vor Schreck.

«Nein!», schrie ich. «Nein, Mammi, nein!»

Glauben Sie mir, in meinem ganzen Leben habe ich nichts Entsetzlicheres gesehen als diesen Mund. Ich konnte es einfach nicht ertragen, dass er mir näher und näher kam. Hätte mir jemand ein rotglühendes Eisen ins Gesicht stoßen wollen, ich wäre längst nicht so versteinert gewesen, das schwöre ich. Die starken Arme hielten mich fest umschlungen, sodass ich mich nicht rühren konnte, und der Mund wurde größer und größer. Plötzlich war er dicht über mir, riesig, feucht, ein klaffendes Loch – und in der nächsten Sekunde war ich drinnen.

Ich befand mich ganz in dem riesigen Mund, lag längs der Zunge auf dem Bauch, mit den Füßen irgendwo in der Gegend der Kehle, und ich wusste instinktiv, dass ich genau wie das kleine Kaninchen lebend verschluckt werden würde, wenn es mir nicht sofort gelang zu entkommen. Ich fühlte, wie meine Beine durch eine Art Sog in den Schlund hinabgezerrt wurden, hob rasch die Arme, packte die unteren Vorderzähne und hielt mich aus Leibeskräften daran fest. Mein Kopf war nahe der Mundöffnung, ich konnte sogar zwischen den Lippen ein Stückchen Außenwelt sehen – den gebohnerten Holzfußboden des Sommerhauses, der im Sonnenschein glänzte, und darauf einen gigantischen Fuß mit einem weißen Tennisschuh.

Ich hatte mich krampfhaft an den Rand der Zähne geklammert und war dabei, mich trotz des Sogs langsam zum Tageslicht hinaufzuziehen, als plötzlich die oberen Zähne auf meine Fingerknöchel schlugen und so wütend zubissen, dass ich loslassen musste. Ich glitt abwärts, die Füße voran, und suchte dabei wie verrückt nach irgendeinem Halt, aber alles war so weich und glatt, dass ich nichts packen konnte. Als ich an dem letzten Backenzahn vorbeirutschte, sah ich etwas Goldenes aufblitzen, und drei Zoll weiter erblickte ich über mir etwas, was wie ein dicker roter Stalaktit vom Gaumen herabhing und wohl das Zäpfchen war. Ich griff mit beiden Händen danach, aber das Ding glitschte durch meine Finger, und ich sauste in die Tiefe.

Ich erinnere mich, dass ich um Hilfe rief, doch ich vermochte kaum meine eigene Stimme zu hören, weil die Kehle von lärmenden Atemzügen widerhallte. Hier schien immer eine steife Brise zu wehen, ein merkwürdiger, wechselnder Wind, der bald sehr kalt (beim Einatmen) und bald sehr heiß (beim Ausatmen) war.

Ich brachte es fertig, mich mit den Ellbogen an einer scharfen, fleischigen Erhebung festzuhaken – vermutlich war es der Kehldeckel –, blieb dort einen Augenblick hängen und strampelte mit den Beinen, um an der Wand des Schlundes Halt zu finden, aber eine heftige Schluckbewegung der Kehle riss mich mit, und es ging wieder abwärts.

Von nun an gab es nichts mehr, woran ich mich hätte klammern können, und ich glitt tiefer und tiefer, bis meine Beine im oberen Teil des Magens baumelten. Ich fühlte, wie mich die langsame, starke rhythmische Darmbewegung ergriff und mich immer weiter nach unten beförderte.

Hoch über mir, draußen an der frischen Luft, hörte ich Frauenstimmen schwatzen:

«Das kann doch nicht wahr sein …»

«Meine liebe Mildred, wie schrecklich …»

«Der Mann muss verrückt sein …»

«Ihr armer Mund, schauen Sie ihn nur an …»

«Ein Wüstling …»

«Ein Sadist …»

«Wirklich, wir sollten an den Bischof schreiben …»

Und dann Miss Roachs Stimme, lauter als die anderen. Sie kreischte wie ein Papagei und fluchte wie ein Landsknecht. «Der kleine Dreckskerl hat verdammtes Glück, dass ich ihn nicht umgebracht habe. Hören Sie, sagte ich zu ihm, wenn ich mir einen Zahn ziehen lassen will, dann gehe ich zum Zahnarzt und nicht zu einem lausigen Vikar … Dabei habe ich ihm nicht die geringste Veranlassung gegeben …»

«Wo steckt er denn jetzt, Mildred?»

«Weiß der Himmel. Wahrscheinlich in dem verwünschten Sommerhaus.»

«Los, Kinder, wir wollen ihn aufstöbern!»

O Gott, o Gott. Wenn ich jetzt, nach drei Wochen, auf das alles zurückblicke, begreife ich nicht, wie ich den Albdruck dieses entsetzlichen Nachmittags überlebt habe, ohne den Verstand zu verlieren.

Sich mit einer solchen Hexenbande einzulassen ist sehr gefährlich, und wäre es ihnen gelungen, mich in dem Sommerhaus zu erwischen, sie hätten mich in ihrer sinnlosen Wut auf der Stelle in Stücke gerissen.

Entweder das, oder sie wären mit mir durch die Hauptstraße des Dorfes zur Polizeiwache marschiert, Lady Birdwell und Miss Roach an der Spitze der Prozession.

Aber natürlich erwischten sie mich nicht.

Es ist ihnen damals nicht gelungen, und es ist ihnen bis heute noch nicht gelungen, und wenn mir das Glück treu bleibt, bin ich für immer vor ihnen sicher – oder jedenfalls für einige Monate, und dann ist ohnehin Gras über die dumme Geschichte gewachsen.

Wie Sie sich denken können, muss ich mich ganz für mich halten und darf mich weder bei öffentlichen noch bei privaten Zusammenkünften blicken lassen. In einem solchen Fall ist Schreiben eine sehr wohltuende Beschäftigung, und ich verwende täglich viele Stunden darauf, mit Sätzen zu spielen. Jeder Satz ist für mich ein Rädchen, und ich habe den Ehrgeiz, mehrere Hundert davon zu sammeln und sie da zusammenzufügen, mit ineinandergreifender Verzahnung, wie ein Getriebe, aber jedes Rad von verschiedener Größe und verschieden schneller Umdrehung. Hin und wieder versuche ich, ein sehr großes Rad mit einem sehr kleinen zu verbinden, und zwar so, dass die langsame Bewegung des großen Rades ein summendes Herumwirbeln des kleinen bewirkt. Eine äußerst knifflige Angelegenheit.