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Louisa setzte sich auf die lange Klavierbank, fing aber noch nicht an zu spielen: Es gehörte zu ihren besonderen Freuden, jeden Tag ein kleines Konzert zu veranstalten, mit einem sorgfältig ausgewählten Programm, das sie in allen Einzelheiten festlegte, bevor sie begann. Sie unterbrach nicht gern ihr Spiel, um zu überlegen, was nun folgen sollte. Wenn sie nach jedem Stück eine kleine Pause machte, dann nur, damit die Zuhörer begeistert applaudieren und nach mehr verlangen konnten. Ein imaginäres Publikum war viel angenehmer als ein wirkliches. Mitunter – an Glückstagen – verblasste das Zimmer, verschwamm in Dunkelheit, und dann sah sie nichts als Sitzreihen und ein Meer von weißen Gesichtern, die andächtig, hingerissen, bewundernd zu ihr aufblickten.

Manchmal spielte sie auswendig, manchmal nach Noten. Heute wollte sie auswendig spielen; ihr war gerade danach zumute. Und das Programm? Die Hände im Schoß gefaltet, saß sie vor dem Klavier, eine dralle, rosige kleine Person mit einem runden, noch immer hübschen Gesicht, das Haar in einem schlichten Knoten am Hinterkopf aufgesteckt. Wenn sie die Augen ein wenig nach rechts wandte, konnte sie die zusammengerollte, schlafende Katze sehen, deren silbergraues Fell sich wunderschön von dem purpurroten Bezug des Sofas abhob. Ob man mit Bach anfangen sollte? Nein, lieber mit Vivaldi. Bachs Orgelbearbeitung des Concerto grosso d-Moll. Ja, das zuerst. Dann vielleicht Schumann. Den Carnaval? Sehr schön. Und danach – nun, zur Abwechslung ein wenig Liszt. Eines der Petrarca-Sonette. Das zweite in E-Dur war das hübscheste. Dann noch einen Schumann, etwas von seinen fröhlichen Sachen – die Kinderszenen. Und zum Schluss, als Zugabe, einen Walzer von Brahms, vielleicht auch zwei, wenn sie dazu aufgelegt war.

Vivaldi, Schumann, Liszt, Schumann, Brahms. Ein sehr schönes Programm und eines, das sie auswendig spielen konnte. Sie rückte die Bank zurecht und wartete einen Moment, weil im Publikum – sie spürte schon, dass dies einer ihrer Glückstage war –, weil im Publikum noch gehustet wurde; dann hob sie mit jener lässigen Anmut, die fast allen ihren Bewegungen eigen war, die Hände zu den Tasten und fing an zu spielen.

In diesem Moment beachtete Louisa die Katze nicht – sie hatte das Tier sogar völlig vergessen –, doch als die ersten tiefen Töne des Vivaldikonzerts sanft erklangen, bemerkte sie aus dem Augenwinkel eine aufgeregte, blitzschnelle Bewegung auf dem Sofa zu ihrer Rechten. Sofort unterbrach sie ihr Spiel.

«Was ist?», fragte sie, zu der Katze gewandt. «Was hast du denn?»

Das Tier, das eben noch friedlich geschlafen hatte, saß jetzt kerzengerade, mit gestrafftem Körper und gespitzten Ohren. Seine weit aufgerissenen Augen starrten auf das Klavier.

«Habe ich dich erschreckt?», fragte Louisa freundlich. «Vielleicht hast du noch nie Musik gehört.»

Nein, sagte sie sich, ich glaube nicht, dass es daran liegt. Bei näherem Hinsehen schien die Haltung der Katze keine Furcht auszudrücken. Da war nichts Verkrampftes zu erkennen, keine Spur von ängstlichem Zurückweichen. Eher ein Sichvorlehnen, eine Art Begierde. Und das Gesicht – nun, das hatte einen sonderbaren Ausdruck, ein Mittelding zwischen Überraschung und Schock. Natürlich ist das Gesicht einer Katze klein und ziemlich ausdruckslos, aber wenn man genau auf das Zusammenspiel von Augen und Ohren achtet und vor allem auf die Stelle unter den Ohren und etwas seitlich davon, wo das Fell beweglich ist, dann kann man gelegentlich den Reflex sehr starker Erregungen wahrnehmen. Louisa behielt nun die Katze im Auge, und weil sie gespannt war, was beim zweiten Mal passieren würde, griff sie in die Tasten und begann von neuem, Vivaldi zu spielen.

Diesmal war die Katze vorbereitet, und anfangs war nur zu bemerken, dass sich ihr Körper ein wenig mehr straffte. Dann aber, als die Musik anschwoll und schneller wurde, als die erregende Einleitung zur Fuge erklang, zeigte sich auf dem Gesicht des Tieres ein seltsamer, fast ekstatischer Ausdruck. Die gespitzten Ohren erschlafften, sanken nach und nach zurück, die Augenlider schlossen sich, der Kopf neigte sich zur Seite, und in diesem Augenblick hätte Louisa schwören können, das Tier genieße die Musik.

Was sie sah (oder zu sehen vermeinte), war etwas, was sie oft an Menschen beobachtet hatte, die einem Musikstück mit Hingabe lauschen. Wenn sie von den Klängen gepackt und überwältigt werden, bekommen sie einen eigenartig verzückten Blick, der so leicht zu erkennen ist wie ein Lächeln. Soweit Louisa feststellen konnte, hatte die Katze jetzt genau diesen Gesichtsausdruck.

Louisa beendete die Fuge, ging zur Siciliana über und ließ dabei die Katze nicht aus den Augen. Der entscheidende Beweis, dass das Tier zuhörte, war für Louisa sein Verhalten, als die Musik verstummte. Die Katze blinzelte, bewegte sich ein wenig, streckte ein Bein aus, legte sich bequem zurecht, schaute sich rasch im Zimmer um und sah dann erwartungsvoll zu ihr hin. Genauso benimmt sich ein Konzertbesucher in der kurzen Pause zwischen zwei Sätzen einer Symphonie. Diese durchaus menschliche Reaktion rief bei Louisa eine merkwürdige Erregung hervor.

«Hat’s dir gefallen?», fragte sie. «Magst du Vivaldi?»

Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, da kam sie sich lächerlich vor, wenn auch – und das war ihr etwas unheimlich – nicht ganz so lächerlich, wie sie wusste, dass sie sich hätte vorkommen müssen.

Nun, sie konnte nichts anderes tun, als zu der nächsten Nummer ihres Programms übergehen, zu Schumanns Carnaval. Bei den ersten Tönen fuhr die Katze hoch und saß wie erstarrt; dann schien sie ganz in der Melodie aufzugehen, sank langsam und selig in eine seltsam hingegebene Ekstase, die an Traum oder Verklärung denken ließ. Es war wirklich ein ungewöhnlicher Anblick – und dazu ein sehr drolliger –, diese silberhaarige Katze so verzückt auf dem Sofa sitzen zu sehen. Und das erstaunlichste, dachte Louisa, ist die Tatsache, dass diese Musik, die dem Tier offenbar so sehr gefällt, überaus schwierig, überaus klassisch und somit für die meisten Menschen viel zu hoch ist.

Aber vielleicht, dachte sie weiter, genießt das Tier die Musik gar nicht. Möglicherweise handelt es sich um eine Art hypnotischer Reaktion, wie bei Schlangen. Man kann eine Schlange mit Musik bezaubern, warum also nicht auch eine Katze? Allerdings hören Millionen von Katzen ihr Leben lang täglich Musik – durch Radio, Grammophon und Klavier –, und doch hat sich, soviel man weiß, noch nie eine so benommen wie diese. Sie scheint jede einzelne Note zu verfolgen. Phantastisch ist das.

Ja, es war phantastisch, das reinste Wunder. Wenn sich Louisa nicht sehr täuschte, war die Katze eines von jenen Wundertieren, die alle hundert Jahre nur einmal vorkommen.

«Ich habe dir angesehen, wie sehr du dieses Stück liebst», sagte sie, als die Musik verklungen war. «Ich fürchte nur, dass ich es heute nicht besonders gut gespielt habe. Wer gefällt dir besser – Vivaldi oder Schumann?»

Die Katze gab keine Antwort. Um die Aufmerksamkeit ihrer Zuhörerin nicht zu verlieren, ging Louisa sofort zur nächsten Nummer des Programms über, zu Liszts Petrarca-Sonett.

Und nun geschah etwas Erstaunliches. Kaum hatte sie drei oder vier Takte gespielt, als die Barthaare des Tieres zu zucken begannen. Langsam reckte es sich hoch, neigte den Kopf erst auf die eine Seite, dann auf die andere und sah starr vor sich hin, mit einem grüblerischen, konzentrierten Blick, der zu sagen schien: Was ist das? Nein, verrate es nicht. Ich kenne das Stück ganz genau, kann es nur im Moment nicht unterbringen. Louisa war fasziniert. Lächelnd, mit halb geöffnetem Mund spielte sie weiter und wartete, was wohl passieren würde.

Die Katze erhob sich, ging auf dem Sofa entlang, setzte sich in die Ecke, lauschte ein Weilchen, sprang dann plötzlich auf den Boden und von dort auf die Klavierbank, wo sie sitzen blieb. Sie hörte sich das schöne Sonett an, diesmal nicht träumerisch, sondern sehr aufmerksam, die großen gelben Augen auf Louisas Finger gerichtet.