«Ach», sagte Louisa, als sie den letzten Akkord anschlug, «du hast dich also neben mich gesetzt? Gefällt’s dir hier besser als auf dem Sofa? Na schön, wenn du artig bist und nicht herumspringst, darfst du hierbleiben.» Sie strich der Katze sanft über den Rücken, vom Kopf bis zum Schwanz. «Das war Liszt», fuhr sie fort. «Manchmal, weißt du, kann er entsetzlich vulgär sein, aber in solchen Sachen ist er wirklich bezaubernd.»
Diese seltsame Tierpantomime machte ihr Spaß, und so begann sie sogleich mit der vierten Programmnummer, mit Schumanns Kinderszenen. Nachdem sie ein oder zwei Minuten gespielt hatte, bemerkte sie, dass die Katze auf ihren Sofaplatz zurückgekehrt war. Louisa hatte inzwischen auf ihre Hände geachtet, und deswegen war ihr wohl das Verschwinden der Katze entgangen. Trotzdem musste es eine äußerst schnelle und leise Bewegung gewesen sein. Das Tier schaute noch immer zu ihr hinüber, horchte noch immer auf die Musik, doch zweifellos nicht mehr mit der gleichen hingerissenen Begeisterung wie bei dem Stück von Liszt. Schon der Umstand, dass es die Klavierbank verlassen hatte, schien ein kleines, aber deutliches Zeichen von Enttäuschung zu sein.
«Was ist denn los?», fragte Louisa, als sie fertig war. «Magst du Schumann nicht? Was ist eigentlich so Wunderbares an Liszt?» Die Katze sah sie unverwandt mit ihren gelben Augen an, in deren Zentrum kleine pechschwarze Striche lagen.
Jetzt wird die Sache wirklich interessant, sagte sich Louisa – sogar etwas unheimlich, wenn man’s recht bedenkt. Doch sie beruhigte sich rasch, als sie einen Blick auf die Katze warf, die sehr aufmerksam, sehr interessiert in der Sofaecke kauerte und offensichtlich auf weitere Darbietungen wartete.
«Gut», sagte sie, «weißt du was? Ich werde mein Programm ändern, eigens für dich. Du scheinst Liszt besonders zu lieben und sollst noch mehr von ihm hören.»
Sie zögerte einen Moment, suchte in ihrem Gedächtnis und entschloss sich für den Weihnachtsbaum. Sie spielte leise das erste der zwölf kleinen Stücke und beobachtete dabei die Katze genau. Sie stellte fest, dass die Barthaare wieder zu zucken begannen. Das Tier sprang auf den Teppich, blieb einen Augenblick stehen, zitternd vor Erregung und mit gesenktem Kopf, ging dann langsam um das Klavier herum, war mit einem Satz auf der Bank und setzte sich neben Louisa.
So weit waren sie, als Edward hereinkam.
«Edward!», rief Louisa und lief ihm entgegen. «Edward, Liebling, stell dir vor, was passiert ist!»
«Was ist denn los?», knurrte er. «Ich möchte Tee haben.» Sein schmales, scharfnasiges und leicht gerötetes Gesicht glänzte von Schweiß und erinnerte an eine lange, nasse Traube.
«Es handelt sich um die Katze!» Louisa deutete auf das Tier, das ruhig sitzen geblieben war. «Du wirst staunen, wenn du hörst, was geschehen ist!»
«Habe ich nicht gesagt, du sollst sie zur Polizei bringen?»
«Aber Edward, hör doch zu. Es ist schrecklich aufregend. Dies ist eine musikalische Katze.»
«Ja?»
«Sie liebt Musik und versteht sie auch.»
«Red keinen Unsinn, Louisa, und kümmere dich gefälligst um den Tee. Ich bin todmüde, nachdem ich all die Brombeersträucher ausgerissen und verbrannt habe.» Er setzte sich in einen Sessel, nahm aus der Dose neben ihm eine Zigarette und zündete sie mit einem großen Feuerzeug an, das auf dem Tisch bereitlag.
«Bitte, begreife doch», sagte Louisa, «während du im Garten warst, hat sich hier in unserem Haus etwas unglaublich Aufregendes ereignet, etwas, was sogar … nun … folgenschwer sein könnte.»
«Aha.»
«Edward, bitte!»
Louisa stand neben dem Klavier, ihr kleines rosiges Gesicht war rosiger denn je, mit einem purpurroten Fleck auf jeder Wange. «Wenn du es wissen möchtest», fuhr sie fort, «will ich dir sagen, was ich denke.»
«Ich höre, meine Liebe.»
«Wir befinden uns in diesem Augenblick – jedenfalls halte ich das für durchaus möglich – in Gegenwart von …» Sie verstummte, als wäre sie sich auf einmal der Absurdität ihres Gedankens bewusst geworden.
«Nun?»
«Du wirst mich vielleicht für verrückt halten, Edward, aber ich bin fest davon überzeugt …»
«In Gegenwart von wem, zum Donnerwetter?»
«Von Franz Liszt persönlich!»
Edward zog kräftig an seiner Zigarette und blies den Rauch zur Decke hinauf. Er hatte hohle Wangen mit straffer Haut, wie ein Mann sie hat, der seit Jahren ein künstliches Gebiss trägt, und sooft er den Rauch inhalierte, fielen die Wangen noch mehr ein, und die Knochen stachen hervor wie bei einem Gerippe. «Was soll das heißen?», erkundigte er sich.
«Hör zu, Edward. Nach dem, was ich heute Nachmittag mit eigenen Augen gesehen habe, scheint es sich tatsächlich um eine Art Wiedergeburt zu handeln.»
«Meinst du etwa die lausige Katze?»
«Lieber, bitte, sprich nicht so.»
«Du bist doch nicht krank, Louisa, wie?»
«Danke schön, mir geht’s ausgezeichnet. Gewiss, ich bin ein wenig durcheinander, aber wer wäre das nicht nach dem, was geschehen ist? Edward, ich schwöre dir …»
«Was ist denn geschehen, wenn ich fragen darf?»
Louisa erklärte es ihm. Während sie sprach, lag ihr Mann im Sessel, beide Beine lang ausgestreckt, zog an der Zigarette und blies den Rauch zur Decke hinauf. Um seinen Mund spielte ein kleines zynisches Lächeln.
«Ich sehe an alledem nichts Ungewöhnliches», sagte er, als sie ihren Bericht beendet hatte. «Eine dressierte Katze. Irgendjemand hat sie abgerichtet, das ist alles.»
«Unsinn, Edward. Immer wenn ich Liszt spiele, wird sie maßlos aufgeregt, kommt angelaufen und setzt sich zu mir auf die Klavierbank. Aber nur bei Liszt, und niemand kann eine Katze den Unterschied zwischen Liszt und Schumann lehren. Den kennst ja nicht einmal du. Aber sie weiß genau Bescheid, sogar bei ganz unbekannten Sachen von Liszt. Jedes Mal.»
«Zweimal», warf der Mann ein. «Sie hat’s nur zweimal so gemacht.»
«Zweimal genügt.»
«Los, versuch’s gleich nochmal.»
«Nein», widersprach Louisa. «Auf keinen Fall. Denn wenn es Liszt ist, wie ich glaube, oder jedenfalls Listzs Seele oder was sonst wiederkommt, dann ist es gewiss unrecht und taktlos, eine Menge alberner Versuche mit ihm anzustellen.»
«Meine Liebe, das hier ist eine Katze – eine ziemlich dumme graue Katze, die sich vorhin im Garten beinahe das Fell am Feuer versengt hätte. Und überhaupt, was weißt du von Reinkarnation?»
«Wenn seine Seele hier ist, genügt mir das», antwortete Louisa energisch. «Das ist alles, worauf es ankommt.»
«Dann soll er’s vormachen, dieser Herr Liszt. Lass ihn zeigen, dass er zwischen seinen und anderen Werken unterscheiden kann.»
«Nein, Edward. Ich habe dir schon gesagt, dass ich mich weigere, irgendwelche Tests mit ihm zu veranstalten. Für einen Tag hat er davon reichlich genug gehabt. Aber eines werde ich tun. Ich werde ihm noch eine seiner eigenen Kompositionen vorspielen.»
«Als ob das etwas beweisen könnte!»
«Pass nur auf. Ich versichere dir, wenn er die Musik erkennt, wird er sich nicht von der Bank rühren, auf der er jetzt sitzt.»
Louisa ging zum Notenschrank, zog einen Band Liszt heraus, blätterte ihn rasch durch und wählte eine seiner schönsten Schöpfungen, die Sonate b-Moll. Eigentlich hatte sie nur den ersten Satz spielen wollen, aber als sie die Katze sah, die buchstäblich vor Wonne zitterte und ihre Hände wieder mit jenem hingerissenen und dabei konzentrierten Blick beobachtete, da brachte sie es nicht übers Herz, aufzuhören. Sie spielte die Sonate zu Ende und schaute dann lächelnd ihren Mann an. «Bitte sehr», sagte sie, «du kannst nicht leugnen, dass er es über alle Maßen genossen hat.»