Sie schlug nun eine der Biographien von Liszt auf, und während sie darin blätterte, kam ihr Mann ins Zimmer.
«Was machst du denn da?», fragte er.
«Ach, ich suche nur so ein bisschen herum. Hör mal, Lieber, hast du gewusst, dass Theodore Roosevelt einmal Cäsars Frau war?»
«Louisa», sagte er, «was soll denn dieser Unsinn? Du benimmst dich ausgesprochen närrisch, und das gefällt mir gar nicht. Gib mir die verwünschte Katze, ich bringe sie selbst zur Polizei.»
Louisa antwortete nicht. Sie starrte mit offenem Mund auf ein Bild von Liszt, das sie in dem Buch gefunden hatte.
«Mein Gott!», rief sie. «Edward, sieh nur!»
«Was?»
«Da! Die Warzen! Die hatte ich ganz vergessen. Er hatte große Warzen im Gesicht und war dafür berühmt. Seine Schüler ließen sich sogar kleine Haarbüschel an den gleichen Stellen stehen, um ihm zu ähneln.»
«Was haben die damit zu tun?»
«Nichts. Ich meine, die Schüler haben nichts damit zu tun. Aber die Warzen.»
«O Himmel», stöhnte der Mann. «O du allmächtiger Gott.»
«Die Katze hat sie auch! Warte, ich zeige sie dir.» Sie nahm das Tier auf den Schoß und fing an, sein Gesicht zu untersuchen. «Hier! Hier ist eine! Und da noch eine! Augenblick mal, ich glaube, sie sitzen an den gleichen Stellen! Wo ist das Bild?»
Es war ein berühmtes Altersporträt des Musikers, auf dem das schöne, bedeutende Antlitz zu sehen war, umrahmt von einer Flut grauer Haare, die über die Ohren fielen und bis in den Nacken reichten. Auf dem Gesicht war jede große Warze getreulich wiedergegeben; insgesamt waren es fünf.
«Also auf dem Bild ist eine über der rechten Augenbraue.» Sie sah über der rechten Augenbraue der Katze nach. «Ja! Da ist sie! Stimmt ganz genau! Und eine links an der Nasenspitze … Die ist auch da! Und eine gerade darunter auf der Wange … Und zwei dicht nebeneinander rechts unter dem Kinn … Edward! Edward! Sieh dir das an! Es ist genau das Gleiche.»
«Das beweist gar nichts.»
Sie blickte zu ihrem Mann auf, der in seinem grünen Sweater und den Khakihosen mitten im Zimmer stand und noch immer heftig schwitzte. «Du hast Angst, Edward, nicht wahr? Du hast Angst, deine kostbare Würde zu verlieren und zum Gespött der Leute zu werden.»
«Ich weigere mich nur, wegen einer Katze hysterisch zu werden, sonst nichts.»
Louisa wandte sich wieder ihrem Buch zu. «Das ist interessant», sagte sie. «Hier steht, dass Liszt alle Werke von Chopin geliebt hat, nur eines nicht – das Scherzo b-Moll. Das hat er gehasst. Er nannte es das ‹Gouvernanten-Scherzo› und sagte, es sei nur für Damen bestimmt, die diesen Beruf ausübten.»
«Na und?»
«Ich will dir was sagen, Edward. Da du dich darauf versteifst, so grässlich zu sein und mir kein Wort zu glauben, werde ich jetzt dieses Scherzo spielen, und du kannst dabeistehen und sehen, was geschieht.»
«Und dann wirst du vielleicht geruhen, dich um unser Abendbrot zu kümmern.»
Louisa erhob sich und holte einen großen grünen Band, der Chopins sämtliche Werke enthielt. «Da ist es. O ja, ich erinnere mich. Ich hab’s auch immer scheußlich gefunden. So, nun hör zu – oder vielmehr beobachte. Beobachte, was er tut.»
Sie stellte die Noten aufs Klavier und nahm Platz. Ihr Mann blieb stehen, die Hände in den Taschen, eine Zigarette im Mund, und beobachtete widerwillig die Katze, die auf dem Sofa schlummerte. Louisa schlug die ersten Töne an. Die Wirkung war äußerst dramatisch. Das Tier fuhr hoch, wie von der Tarantel gestochen, und verharrte mindestens eine Minute lang regungslos, mit gespitzten Ohren, am ganzen Körper zitternd. Dann fing es an, auf dem Sofa hin- und herzugehen. Schließlich sprang es auf den Fußboden und verließ langsam und majestätisch das Zimmer, Nase und Schwanz stolz erhoben.
«Da!», rief Louisa und lief dem Tier nach. «Das genügt! Jetzt haben wir den Beweis!» Sie kam mit der Katze im Arm zurück und setzte sie wieder auf das Sofa. Ihr Gesicht glühte vor Erregung, die Knöchel ihrer geballten Hände waren weiß, der kleine Haarknoten am Hinterkopf hatte sich gelockert und rutschte auf die Seite. «Was sagst du nun, Edward? Was meinst du?» Sie begleitete ihre Worte mit einem nervösen Lachen.
«War ganz amüsant, finde ich.»
«Amüsant! Mein lieber Edward! Das ist das größte Wunder aller Zeiten! O Himmel!», rief sie, nahm die Katze auf und presste sie an sich. «Ist es nicht ein herrlicher Gedanke, dass Franz Liszt bei uns wohnt?»
«Na, Louisa, wir wollen doch nicht hysterisch werden.»
«Ich kann nicht anders, wirklich nicht. Und sich vorzustellen, dass er für immer in unserem Haus leben wird!»
«Wie bitte?»
«Ach Edward! Ich kann vor Aufregung kaum sprechen. Und weißt du, was ich als Nächstes tun werde? Natürlich wird jeder Musiker in der ganzen Welt mit ihm zusammentreffen wollen, um ihn nach den großen Komponisten zu fragen, die er gekannt hat – nach Beethoven und Chopin und Schubert …»
«Sie werden nur keine Antwort kriegen», warf der Mann ein.
«Ja – richtig. Aber sie werden alle herkommen wollen, um ihn zu sehen, ihn anzufassen und ihm ihre eigenen Kompositionen vorzuspielen, moderne Musik, die er noch nie gehört hat.»
«So bedeutend war Liszt doch gar nicht. Ja, wenn es Bach wäre oder Beethoven …»
«Bitte, unterbrich mich nicht, Edward. Ich werde also alle bekannten lebenden Komponisten benachrichtigen. Das ist meine Pflicht. Ich werde ihnen mitteilen, dass Liszt hier ist und dass sie ihn besuchen können. Pass auf, wie sie dann von allen Ecken der Welt herbeieilen.»
«Um eine graue Katze zu sehen?»
«Liebling, das ist doch dasselbe. Die Katze ist er. Wen kümmert’s denn, wie er aussieht? Ach Edward, das wird die größte Sensation, die es je gegeben hat!»
«Sie werden dich für verrückt halten.»
«Warte nur ab.» Sie hielt die Katze in den Armen und streichelte sie zärtlich, schaute aber dabei zu ihrem Mann hinüber, der zur Verandatür gegangen war und in den Garten hinausblickte. Es wurde Abend, das Grün des Rasens färbte sich nach und nach schwarz, und in der Ferne sah Edward den Rauch seines Feuers als weiße Säule in die Luft steigen.
«Nein», sagte er, ohne sich umzuwenden, «das will ich nicht haben. Nicht in meinem Haus. Wir beide würden ja als komplette Narren dastehen.»
«Wie meinst du das, Edward?»
«Genau wie ich es sage. Ich verbiete dir ein für alle Mal, mit einer so verrückten Geschichte Staub aufzuwirbeln. Du hast zufällig eine dressierte Katze gefunden. Okay – schön und gut. Wenn’s dir Spaß macht, behalte sie. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber weiter darfst du nicht gehen, Louisa, verstanden?»
«Weiter als was?»
«Ich will nichts mehr von diesem blöden Geschwätz hören. Du benimmst dich, als ob du irrsinnig wärst.»
Langsam setzte Louisa die Katze auf das Sofa. Dann richtete sich die kleine Person langsam zu ihrer vollen Höhe auf und machte einen Schritt vorwärts. «Verdammt nochmal, Edward!», schrie sie und stampfte mit dem Fuß auf. «Zum ersten Male in unserem Leben passiert etwas wirklich Aufregendes, und du willst nichts damit zu tun haben! Du zitterst vor Angst, dass jemand über dich lachen könnte! So ist es doch, nicht wahr? Kannst du das leugnen?»
«Louisa», sagte der Mann, «jetzt ist aber Schluss. Reiß dich zusammen und höre sofort mit dem dummen Gerede auf.» Er nahm eine Zigarette aus der Dose auf dem Tisch und zündete sie mit dem großen Feuerzeug an. Seine Frau stand daneben; unter ihren Lidern quollen Tränen hervor, die in zwei Bächen über die gepuderten Wangen liefen und schmale glänzende Streifen hinterließen.