«Dein Vater war ein Genie», bestätigte ich.
«Dann entschließe dich. Such dir ganz nach Belieben eine von den drei Methoden aus, und die wollen wir dann heute Abend anwenden.»
«Findest du nicht, dass sie alle drei ziemlich grausam sind?»
«Grausam?», rief er entrüstet. «Du lieber Gott! Und wer hat in den letzten sechs Monaten fast täglich gebratenen Fasan gegessen, ohne einen Penny dafür zu bezahlen?»
Er drehte sich um und ging auf die Tür der Werkstatt zu. Ich sah ihm an, dass meine Bemerkung ihn tief verletzt hatte.
«Warte mal», sagte ich. «Geh nicht.»
«Kommst du heute Abend mit oder nicht?»
«Ja, aber ich habe noch eine Frage. Mir ist da gerade etwas eingefallen.»
«Behalt’s für dich», knurrte er. «Was verstehst du schon von Fasanen!»
«Erinnerst du dich an das Schlafmittel, das mir der Arzt vorigen Monat wegen meiner Rückenschmerzen gegeben hat?»
«Na und?»
«Warum sollte das Zeug nicht auch auf Fasanen wirken?»
Claud schloss die Augen und schüttelte mitleidig den Kopf.
«Warte», sagte ich.
«Darüber brauchen wir gar nicht erst zu reden», erwiderte er. «Kein Fasan in der Welt schluckt die lausigen roten Kapseln. Wenn dir nichts Besseres einfällt …»
«Du vergisst die Rosinen», unterbrach ich ihn. «Hör mal zu. Wir nehmen eine Beere, weichen sie ein, bis sie aufgequollen ist, machen mit einer Rasierklinge einen kleinen Einschnitt und höhlen sie ein bisschen aus. Dann öffnen wir eine von meinen roten Kapseln und schütten alles Pulver in die Rosine, worauf wir den Ritz mit Nadel und Faden sorgfältig zunähen. Nun …»
Aus den Augenwinkeln konnte ich beobachten, wie sich Clauds Mund langsam öffnete.
«Nun», fuhr ich fort, «haben wir eine hübsche, sauber aussehende Rosine, die zweieinhalb Gran Schlafpulver enthält, und jetzt will ich dir etwas sagen: Das reicht aus, einen erwachsenen Mann bewusstlos zu machen, also erst recht einen Vogel!»
Ich wartete zehn Sekunden, damit der Stoß seine volle Wirkung entfalten konnte.
«Und was noch wichtiger ist», fuhr ich fort, «diese Methode gestattet uns, in großem Maßstab zu operieren. Wenn wir Lust haben, können wir zwanzig Rosinen präparieren. Wir brauchen nichts weiter zu tun, als sie bei Sonnenuntergang auf den Futterplätzen auszustreuen und dann wegzugehen. Nach einer halben Stunde fangen die Pillen an zu wirken, die Fasanen, die sich zum Schlafen auf den Bäumen niedergelassen haben, werden schwindlig, sie taumeln, suchen sich im Gleichgewicht zu halten, aber bald fällt jeder Vogel, der auch nur eine einzige Rosine gefressen hat, bewusstlos herunter. Wie Äpfel vom Baum werden sie purzeln, und wir brauchen sie nur noch aufzusammeln.»
Claud starrte mich an. «Großer Gott», murmelte er dann.
«Ein weiterer Vorteil ist, dass uns niemand erwischen wird. Wir bummeln ganz harmlos durch den Wald, lassen hier und dort ein paar Rosinen fallen, und selbst, wenn man uns beobachtet, wird kein Mensch Verdacht schöpfen.»
«Gordon», sagte er, legte die Hand auf mein Knie und sah mich mit Augen an, die groß und leuchtend wie Sterne waren. «Gordon, wenn das glückt, wird es das Wildern revolutionieren.»
«Freut mich sehr.»
«Wie viele Pillen hast du denn noch?», fragte er.
«Neunundvierzig. Fünfzig waren in dem Glas, und ich habe nur eine genommen.»
«Neunundvierzig sind nicht genug. Wir brauchen mindestens zweihundert.»
«Bist du verrückt?», rief ich.
Er ging langsam zur Tür, blieb dort stehen, mit dem Rücken zu mir, und betrachtete den Himmel.
«Zweihundert sind das Minimum», sagte er ruhig. «Wenn wir die nicht haben, brauchen wir gar nicht erst anzufangen.»
Was soll das?, dachte ich. Was, zum Teufel, hat dieser Bursche vor?
«Es ist unsere letzte Chance, bevor die Jagd eröffnet wird», fügte er hinzu.
«Mehr kann ich nicht kriegen.»
«Sollen wir vielleicht mit leeren Händen heimkommen? Wie?»
«Aber warum so viele?»
Claud wandte den Kopf und blickte mich mit großen unschuldigen Augen an. «Warum nicht?», sagte er freundlich. «Hast du etwas dagegen?»
Plötzlich ging mir ein Licht auf. Mein Gott, dachte ich, der verdrehte Kerl will Mr. Victor Hazels festliche Eröffnung der Jagd torpedieren.
«Du besorgst zweihundert von diesen Pillen», befahl er. «Dann lohnt sich die Sache.»
«Das schaffe ich nie.»
«Du kannst es wenigstens versuchen, nicht wahr?»
Mr. Hazel eröffnete die Jagd alljährlich am ersten Oktober, und das war ein großes Ereignis. Schwächliche Herren in Tweedanzügen, teils Angehörige alter Adelsgeschlechter, teils Besitzer von sehr viel Geld, kamen in Begleitung ihrer Gewehrträger, Hunde und Gattinnen von weit her gefahren, und den ganzen Tag hallte das Tal vom Lärm der Schüsse wider. Fasanen gab es immer in Hülle und Fülle, denn jeden Sommer wurde der Bestand durch Dutzende und Aberdutzende junger Vögel aufgefrischt, was unglaublich teuer war. Ich hatte sagen hören, dass sich die Kosten für das Aufziehen und die Ernährung eines jeden Fasans, bis er schussreif war, auf mehr als fünf Pfund beliefen (annähernd der Preis für zweihundert Laib Brot). Aber Mr. Hazel fand, dass sich jeder Penny dieser Investition lohnte. Er wurde, wenn auch nur für wenige Stunden, ein großer Mann in einer kleinen Welt, und selbst das Oberhaupt der Grafschaft klopfte ihm beim Abschied auf den Rücken und versuchte, sich seines Vornamens zu erinnern.
«Wie wär’s, wenn wir die Dosis verringerten?», schlug Claud vor. «Könnten wir nicht den Inhalt einer Kapsel auf vier Rosinen verteilen?»
«Ich glaube, das ließe sich machen.»
«Aber wird der vierte Teil einer Kapsel für einen Vogel genügen?»
Der Bursche schien Nerven wie Stricke zu haben. Es war gefährlich genug, um diese Jahreszeit auch nur einen einzigen Fasan aus Mr. Hazels Wäldern zu holen, und er wollte gleich mit dem ganzen Bestand aufräumen.
«Ein Viertel ist überreichlich», erwiderte ich.
«Bist du sicher?»
«Rechne dir’s selbst aus. Es geht nach Körpergewicht, und folglich würden die Fasanen immer noch etwa zwanzigmal mehr als nötig bekommen.»
«Dann werden wir’s also mit dem vierten Teil der Dosis probieren», entschied Claud und rieb sich die Hände. Er stellte eine kurze Berechnung an. «Das ergibt hundertsechsundneunzig Rosinen.»
«Ist dir auch klar, was das bedeutet?», fragte ich. «Das Präparieren wird stundenlang dauern.»
«Wenn schon!», rief er. «Dann gehen wir eben erst morgen. Wir weichen die Rosinen über Nacht ein und können sie vormittags und nachmittags fertig machen.»
Und so geschah es.
Nun, vierundzwanzig Stunden später, waren wir unterwegs. Wir schritten schnell aus, und nach ungefähr vierzig Minuten näherten wir uns der Stelle, wo der Pfad nach rechts abbog und auf dem Hügelkamm zu dem großen Wald führte, in dem die Fasanen lebten. Bis dahin hatten wir noch eine Meile zu gehen.
«Ich darf doch wohl annehmen, dass die Wildhüter keine Gewehre haben», sagte ich.
«Alle Wildhüter sind bewaffnet.»
Das hatte ich befürchtet.
«Hauptsächlich wegen der kleinen Raubtiere.»
«Aha.»
«Natürlich schließt das nicht aus, dass sie auch mal einem Wilderer eins aufbrennen.»
«Du machst Witze.»
«Keineswegs. Aber sie schießen nur von hinten. Wenn man wegrennt, meine ich. Sie knallen einem gern auf fünfzig Schritt Entfernung in die Beine.»
«Das dürfen sie nicht!», rief ich. «So etwas ist strafbar!»