Die Sonne war untergegangen, und über dem blassen Rauchblau des Himmels lag ein schwacher gelber Glanz. Im Wald hinter uns wurden die grauen Schatten zwischen den Bäumen allmählich schwarz.
«Wie lange dauert es, bis das Schlafmittel wirkt?», fragte Claud.
«Vorsicht», flüsterte ich. «Da kommt jemand.»
Der Mann war geräuschlos aus der Dämmerung aufgetaucht; als ich ihn erblickte, war er knapp dreißig Schritte von uns entfernt.
«Noch so ein elender Wildhüter», murmelte Claud.
Wir sahen dem Mann entgegen, der geradewegs auf uns zukam. Er trug eine Schrotflinte unter dem Arm, und ein schwarzweißer Hühnerhund folgte ihm dicht auf den Fersen. Kurz vor uns machte er halt. Auch der Hund blieb stehen und beobachtete uns zwischen den Beinen seines Herrn hindurch.
«Guten Abend», grüßte Claud freundlich.
Der Mann war etwa vierzig Jahre alt, ein großer, hagerer Kerl mit scharfem Blick, vorspringenden Backenknochen und harten, gefährlichen Händen.
«Ich kenne euch», sagte er ruhig und kam näher. «Ich kenne euch beide.» Claud schwieg.
«Ihr seid von der Tankstelle. Stimmt’s?»
Seine Lippen waren schmal und trocken und mit einer Art bräunlicher Kruste überzogen.
«Ihr seid Cubbage und Hawes von der Tankstelle an der Landstraße. Stimmt’s?»
«Was spielen wir hier eigentlich?», fragte Claud. «Quiz?»
Der Wildhüter spuckte einen dicken Klecks Speichel aus, den ich durch die Luft fliegen und sechs Zoll vor Clauds Füßen klatschend im Staub landen sah. Der schleimige Klumpen glich einer kleinen Auster.
«Schert euch weg», sagte der Mann. «Los, verschwindet!»
Claud saß auf der Böschung, rauchte seine Zigarette und betrachtete den Klecks Speichel.
«Los, los», wiederholte der Mann. «Verschwindet!»
Beim Sprechen hob sich seine Oberlippe und entblößte das Zahnfleisch. Ich sah eine Reihe kleiner, missfarbiger Zähne, von denen der eine schwarz war und die anderen gelb oder braun schimmerten.
«Dies ist zufällig ein öffentlicher Weg», antwortete Claud. «Ich ersuche Sie, uns nicht zu belästigen.»
Der Wildhüter nahm das Gewehr vom linken Arm in den rechten. «Ihr treibt euch hier herum und wollt offenbar ein Verbrechen begehen», sagte er. «Das würde ausreichen, euch festzunehmen.»
«O nein, das würde nicht ausreichen», erwiderte Claud. Dieses Gespräch machte mich ziemlich nervös.
«Ich habe schon seit einiger Zeit ein Auge auf dich», fuhr der Wildhüter fort, indem er Claud ansah.
«Es wird spät», sagte ich. «Müssen wir nicht nach Hause?»
Claud zertrat seine Zigarette und erhob sich langsam.
«Schön», sagte er, «ich habe nichts dagegen.»
Wir ließen den Wildhüter stehen und schlenderten den Weg zurück, den wir gekommen waren. In dem Halbdunkel war der Mann hinter uns bald außer Sicht.
«Das ist der Oberaufseher», erklärte Claud. «Er heißt Rabbetts.»
«Komm bloß weiter.»
«Nein, wir warten hier», entschied Claud.
Zu unserer Linken war ein Gatter, das auf ein Feld führte. Wir stiegen hinüber und setzten uns hinter die Hecke.
«Für Mr. Rabbetts ist jetzt Essenszeit», sagte Claud. «Der stört uns bestimmt nicht mehr.»
Wir saßen mäuschenstill hinter der Hecke und warteten, dass der Wildhüter auf seinem Heimweg an uns vorbeiginge. Am Himmel blinkten ein paar Sterne, und ein heller Dreiviertelmond stieg im Osten über den Hügeln auf.
«Da ist er», flüsterte Claud. «Rühre dich nicht.»
Mr. Rabbetts näherte sich mit fast unhörbaren Schritten, und sein Hund tappte auf weichen Pfoten hinter ihm her. Wir beobachteten die beiden durch die Hecke.
«Heute Abend kommt er nicht mehr zurück», sagte Claud.
«Woher weißt du das?»
«Wenn ein Wildhüter deine Wohnung kennt, lauert er dir nie im Wald auf. Er geht zu deinem Haus, versteckt sich draußen und wartet, bis du kommst.»
«Das ist ja noch schlimmer.»
«Ach wo, man muss nur die Beute irgendwo unterstellen, bevor man heimgeht. Dann kann er einen nicht fassen.»
«Und was ist mit dem anderen – dem auf der Lichtung?»
«Der ist auch fortgegangen.»
«Das kannst du nicht wissen.»
«Ich habe diese Brüder monatelang beobachtet, Gordon. Verlass dich darauf, ich kenne alle ihre Gewohnheiten. Die Sache ist ganz ungefährlich.»
Widerstrebend folgte ich ihm. Oben im Wald war es stockfinster und sehr still, und als wir uns vorsichtig zwischen den Baumreihen vorwärts bewegten, schienen unsere Schritte widerzuhallen, als wären wir in einer Kathedrale.
«Von hier aus haben wir die Rosinen geworfen», sagte Claud.
Ich spähte durch die Büsche. In milchigen Dunst gehüllt, lag die Lichtung im Mondschein.
«Bist du auch sicher, dass der Wildhüter fort ist?»
«Ich weiß, dass er fort ist.»
Unter dem Mützenschirm konnte ich Clauds Gesicht sehen, die blassen Lippen, die weichen, blassen Wangen, die großen Augen, in denen vor Erregung kleine Funken tanzten.
«Schlafen sie?»
«Ja.»
«Wo?»
«Hier rundherum. Sie bleiben immer in der Nähe.»
«Was tun wir jetzt?»
«Wir warten. Ich habe dir eine Lampe mitgebracht», fügte er hinzu und gab mir eine jener kleinen Stablampen, die wie ein Füllfederhalter geformt sind. «Du wirst sie brauchen.»
Allmählich verflog meine Angst. «Wollen wir mal versuchen, ob wir irgendwo in den Bäumen Fasanen entdecken können?», fragte ich.
«Nein.»
«Ich möchte aber gern wissen, wie sie aussehen, wenn sie schlafen.»
«Wir treiben keine Naturstudien», erwiderte Claud. «Sei jetzt still.»
Lange standen wir und warteten, ohne dass etwas geschah.
«Mir kommt da gerade ein scheußlicher Gedanke», sagte ich. «Wenn sich ein schlafender Vogel auf seinem Zweig im Gleichgewicht halten kann, liegt eigentlich kein Grund vor, warum er dann wegen des Schlafpulvers herunterfallen sollte.»
Claud warf mir einen raschen Blick zu.
«Schließlich ist er ja nicht tot», fuhr ich fort. «Er schläft nur.»
«Er ist betäubt», verbesserte mich Claud.
«Das ist doch bloß eine tiefere Art von Schlaf. Warum soll er herunterfallen, nur weil er tiefer schläft?»
Düsteres Schweigen.
«Schade, dass wir’s nicht zuerst mit Hühnern ausprobiert haben», meinte Claud. «Mein Vater hätte das getan.»
«Dein Vater war ja auch ein Genie», antwortete ich.
In diesem Augenblick ertönte hinter uns ein leises Plumpsen.
«Was ist das?»
«Psst!»
Wir lauschten.
Bum!
«Hörst du’s?»
Es war ein tiefer, dumpfer Laut, als sei ein Sandsack aus Schulterhöhe zu Boden gefallen.
Bum!
«Das sind Fasanen!», rief ich.
«Warte noch!»
«Bestimmt sind es Fasanen!»
Bum! Bum!
«Du hast recht!»
Wir liefen in den Wald zurück.
«Wo sind sie?»
«Dort drüben! Da hat’s zweimal gebumst!»
«Ich dachte, es wäre auf der anderen Seite gewesen.»
«Schau nach», sagte Claud. «Weit können sie jedenfalls nicht sein.»
Wir suchten ungefähr eine Minute lang.
«Ich habe einen!», schrie er.
Ich lief zu ihm. Er hielt in beiden Händen einen herrlichen Fasanenhahn. Wir betrachteten ihn genau im Licht unserer Taschenlampen.
«Betäubt bis an die Kehllappen», sagte Claud. «Er lebt noch, ich fühle sein Herz, aber er ist betäubt bis an die Kehllappen.»
Bum!
«Noch einer!»
Bum! Bum!