Luise (eilt ihm nach, haelt ihn zurueck). Bleiben Sie! bleiben Sie! Geduld! Wie flink dieser Satan ist, wenn es gilt, Menschen rasend zu machen!-Ich hab' ihn niedergeworfen. Ich muss ihn aufrichten. Reden Sie! Rathen Sie! Was kann ich? was muss ich thun?
Wurm. Es ist nur ein Mittel.
Luise. Dieses einzige Mittel?
Wurm. Auch Ihr Vater wuenscht-Luise. Auch mein Vater?-Was ist das fuer ein Mittel?
Wurm. Es ist Ihnen leicht.
Luise. Ich kenne nichts Schwereres, als die Schande.
Wurm. Wenn Sie den Major wieder frei machen wollen.
Luise. Von seiner Liebe? Spotten Sie meiner?-Das meiner Willkuer zu ueberlassen, wozu ich gezwungen ward?
Wurm. So ist es nicht gemeint, liebe Jungfer. Der Major muss zuerst und freiwillig zuruecktreten.
Luise. Er wird nicht.
Wurm. So scheint es. Wuerde man denn wohl seine Zuflucht zu Ihnen nehmen, wenn nicht Sie allein dazu helfen koennten?
Luise. Kann ich ihn zwingen, dass er mich hassen muss?
Wurm. Wir wollen versuchen. Setzen Sie sich.
Luise (betreten). Mensch! Was bruetest du?
Wurm. Setzen Sie sich. Schreiben Sie! Hier ist Feder, Papier und Dinte.
Luise (setzt sich in hoechster Beunruhigung). Was soll ich schreiben? An wen soll ich schreiben?
Wurm. An den Henker Ihres Vaters.
Luise. Ha! du verstehst dich darauf, Seelen auf die Folter zu schrauben. (Ergreift die Feder.)
Wurm (dictiert). "Gnaediger Herr"-Luise (schreibt mit zitternder Hand).
Wurm. "Schon drei unertraegliche Tage sind vorueber-sind vorueber-und wir sahen uns nicht"
Luise (stutzt, legt die Feder weg). An wen ist der Brief?
Wurm. An den Henker Ihres Vaters.
Luise. O mein Gott!
Wurm. "Halten Sie sich desswegen an den Major-an den Major-der mich den ganzen Tag wie ein Argus huetet"
Luise (springt auf). Bueberei, wie noch keine erhoert worden! An wen ist der Brief?
Wurm. An den Henker Ihres Vaters.
Luise (die Haende ringend, auf und nieder). Nein! nein! nein! das ist tyrannisch, o Himmel! Strafe Menschen menschlich, wenn sie dich reizen, aber warum mich zwischen zwei Schrecknisse pressen? Warum zwischen Tod und Schande mich hin und her wiegen? Warum diesen blutsaugenden Teufel mir auf den Nacken setzen?-Macht, was ihr wollt. Ich schreibe das nimmermehr.
Wurm (greift nach dem Hut). Wie Sie wollen, Mademoiselle! Das steht ganz in Ihrem Belieben.
Luise. Belieben, sagen Sie? In meinem Belieben?-Geh, Barbar! Haenge einen Ungluecklichen ueber dem Abgrund der Hoelle aus, bitt' ihn um etwas, und laestre Gott, und frag' ihn, ob es ihm beliebe?-O du weisst allzu gut, dass unser Herz an natuerlichen Trieben so fest als an Ketten liegt-Nunmehr ist Alles gleich. Dictieren Sie weiter! Ich denke nichts mehr. Ich weiche der ueberlistenden Hoelle. (Sie setzt sich zum zweitenmal.)
Wurm. "Den ganzen Tag wie ein Argus huetet"-Haben Sie das?
Luise. Weiter! weiter!
Wurm. "Wir haben gestern den Praesidenten im Haus gehabt. Es war possierlich zu sehen, wie der gute Major um meine Ehre sich wehrte"-Luise. O schoen, schoen! o herrlich!-Nur immer fort.
Wurm. "Ich nahm meine Zuflucht zu einer Ohnmacht-zu einer Ohnmacht-dass ich nicht laut lachte"
Luise. O Himmel!
Wurm. "Aber bald wird mir meine Maske unertraeglich-unertraeglich-Wenn ich nur loskommen koennte"-Luise (haelt inne, steht auf, geht auf und nieder, den Kopf gesenkt, als suchte sie was auf dem Boden; dann setzt sie sich wiederum, schreibt weiter). "Loskommen koennte"
Wurm. "Morgen hat er den Dienst-Passen Sie ab, wenn er von mir geht, und kommen an den bewussten Ort"-Haben Sie "bewussten?"
Luise. Ich habe Alles!
Wurm. "An den bewussten Ort zu Ihrer zaertlichen.... Luise"
Luise. Nun fehlt die Adresse noch.
Wurm. "An Herrn Hofmarschall von Kalb."
Luise. Ewige Vorsicht! Ein Name, so fremd meinen Ohren, als meinem Herzen diese schaendlichen Zeilen. (Sie steht auf und betrachtet eine grosse Pause lang mit starrem Blick das Geschriebene, endlich reicht sie es dem Secretaer mit erschoepfter, hinsterbender Stimme.) Nehmen Sie, mein Herr. Es ist mein ehrlicher Name-es ist Ferdinand-es ist die ganze Wonne meines Lebens, was ich jetzt in Ihre Haende gebe-Ich bin eine Bettlerin.
Wurm. O nein doch! Verzagen Sie nicht, liebe Mademoiselle. Ich habe herzliches Mitleid mit Ihnen. Vielleicht-wer weiss?-Ich koennte mich noch wohl ueber gewisse Dinge hinwegsetzen-Wahrlich! Bei Gott! Ich habe Mitleid mit Ihnen.
Luise (blickt ihn starr und durchdringend an). Reden Sie nicht aus, mein Herr. Sie sind auf dem Wege, sich etwas Entsetzliches zu wuenschen.
Wurm (im Begriff, ihre Hand zu kuessen). Gesetzt, es waere diese niedliche Hand-Wie so, liebe Jungfer?
Luise (gross und schrecklich). Weil ich dich in der Brautnacht erdrosselte und mich dann mit Wollust aufs Rad flechten liesse. (Sie will gehen, kommt aber schnell zurueck.) Sind wir jetzt fertig, mein Herr? Darf die Taube nun fliegen?
Wurm. Nur noch die Kleinigkeit, Jungfer. Die muessen mit mir und das Sacrament darauf nehmen, diesen Brief fuer einen freiwilligen zu erkennen.
Luise. Gott! Gott! und du selbst musst das Siegel geben, die Werke der Hoelle zu verwahren? (Wurm zieht sie fort.)
Vierter Akt.
Erste Scene.
Saal beim Praesidenten.
Ferdinand von Walter, einen offenen Brief in der Hand, kommt stuermisch durch eine Thuere, durch eine andere ein Kammerdiener.
Ferdinand. War kein Marschall da?
Kammerdiener. Herr Major, der Herr Praesident fragt nach Ihnen.
Ferdinand. Alle Donner! Ich frag', war kein Marschall da?
Kammerdiener. Der gnaedige Herr sitzt oben am Pharotisch.
Ferdinand. Der gnaedige Herr soll im Namen der ganzen Hoelle daher kommen. (Kammerdiener geht.)
Zweite Scene.
Ferdinand allein, den Brief durchfliegend, bald erstarrend, bald wuethend herumstuerzend.
Es ist nicht moeglich! nicht moeglich! Diese himmlische Huelle versteckt kein so teuflisches Herz-Und doch! doch! Wenn alle Engel herunter stiegen, fuer ihre Unschuld buergten-wenn Himmel und Erde, wenn Schoepfung und Schoepfer zusammentraeten, fuer ihre Unschuld buergten-es ist ihre Hand-Ein unerhoerter, ungeheurer Betrug, wie die Menschheit noch keinen erlebte!-Das also war's, warum man sich so beharrlich der Flucht widersetzt!-Darum-o Gott! jetzt erwach' ich, jetzt enthuellt sich mir Alles!-Darum gab man seinen Anspruch auf meine Liebe mit so viel Heldenmuth auf, und bald, bald haette selbst mich die himmlische Schminke betrogen!
(Er stuerzt rascher durchs Zimmer, dann steht er wieder nachdenkend still.)
Mich so ganz zu ergruenden!-Jedes kuehne Gefuehl, jede leise schuechterne Bebung zu erwiedern, jede feurige Wallung-An der feinsten Unbeschreiblichkeit eines schwebenden Lauts meine Seele zu fassen-Mich zu berechnen in einer Thraene-Auf jeden gaehen Gipfel der Leidenschaft mich zu begleiten, mir zu begegnen vor jedem schwindelnden Absturz-Gott! Gott! und alles Das nichts als Grimasse?-Grimasse? O, wenn die Luege eine so haltbare Farbe hat, wie ging es zu, dass sich kein Teufel noch in das Himmelreich hineinlog?