Luise (bleibt erstarrt stehn). Entsetzlich!-Aber so rasch wird es doch nicht gehn. Ich will in den Fluss springen, Vater, und im Hinuntersinken Gott den Allmaechtigen um Erbarmen bitten.
Miller. Das heisst, du willst den Diebstahl bereuen, sobald du das Gestohlene in Sicherheit weisst-Tochter! Tochter! Gib Acht, dass du Gottes nicht spottest, wenn du seiner am meisten vonnoethen hast. O! es ist weit, weit mit dir gekommen!-Du hast dein Gebet aufgegeben, und der Barmherzige zog seine Hand von dir.
Luise. Ist lieben denn Frevel, mein Vater!
Miller. Wenn du Gott liebst, wirst du nie bis zum Frevel lieben-Du hast mich tief gebeugt, meine Einzige! tief, tief, vielleicht zur Grube gebeugt.-Doch, ich will dir dein Herz nicht noch schwerer machen-Tochter, ich sprach vorhin etwas. Ich glaubte allein zu sein. Du hast mich behorcht; und warum sollt' ich's noch laenger geheim halten? Du warst mein Abgott. Hoere, Luise, wenn du noch Platz fuer das Gefuehl eines Vaters hast-Du warst mein Alles. Jetzt verthust du nichts mehr von deinem Eigenthum. Auch ich hab' Alles zu verlieren. Du siehst, mein Haar faengt an grau zu werden. Die Zeit meldet sich allgemach bei mir, wo uns Vaetern die Kapitale zu statten kommen, die wir im Herzen unsrer Kinder anlegten-Wirst du mich darum betruegen, Luise? Wirst du dich mit dem Hab' und Gut deines Vaters auf und davon machen?
Luise (kuesst seine Hand mit der heftigsten Ruehrung). Nein, mein Vater. Ich gehe als Seine grosse Schuldnerin aus der Welt und werde in der Ewigkeit mit Wucher bezahlen.
Miller. Gib Acht, ob du dich da nicht verrechnest, mein Kind? (Sehr ernst und feierlich.) Werden wir uns dort wohl noch finden?-Sieh! wie du blass wirst!-Meine Luise begreift es von selbst, dass ich sie in jener Welt nicht mehr wohl einholen kann, weil ich nicht so frueh dahin eile, wie sie. (Luise stuerzt ihm in den Arm, von Schauern ergriffen-Er drueckt sie mit Feuer an seine Brust und faehrt fort mit beschwoerender Stimme.) O Tochter! Tochter! gefallene, vielleicht schon verlorene Tochter! Beherzige das ernsthafte Vaterwort! Ich kann nicht ueber dich wachen. Ich kann dir die Messer nehmen, du kannst dich mit einer Stricknadel toedten. Vor Gift kann ich dich bewahren, du kannst dich mit einer Schnur Perlen erwuergen. -Luise-Luise-nur warnen kann ich dich noch-Willst du es darauf ankommen lassen, dass dein treuloses Gaukelbild auf der schrecklichen Bruecke zwischen Zeit und Ewigkeit von dir weiche? Willst du dich vor des Allwissenden Thron mit der Luege wagen: Deinetwegen, Schoepfer, bin ich da-wenn deine strafbaren Augen ihre sterbliche Puppe suchen?-Und wenn dieser zerbrechliche Gott deines Gehirns, jetzt Wurm wie du, zu den Fuessen deines Richters sich windet, deine gottlose Zuversicht in diesem schwankenden Augenblick Luegen straft und deine betrogenen Hoffnungen an die ewige Erbarmung verweist, die der Elende fuer sich selbst kaum erflehen kann-wie dann? (Nachdruecklicher, lauter.) Wie dann, Unglueckselige? (Er haelt sie fester, blickt sie eine Weile starr und durchdringend an, dann verlaesst er sie schnell.) Jetzt weiss ich nichts mehr-(mit aufgehobener Rechte) stehe dir, Gott Richter! fuer diese Seele nicht mehr. Thu, was du willst. Bring deinem schlanken Juengling ein Opfer, dass deine Teufel jauchzen und deine guten Engel zuruecktreten-Zieh hin! Lade alle deine Suenden auf, lade auch diese, die letzte, die entsetzlichste auf, und wenn die Last noch zu leicht ist, so mache mein Fluch das Gewicht vollkommen-Hier ist ein Messer-durchstich dein Herz und (indem er lautweinend fortstuerzen will) das Vaterherz!
Luise (springt auf und eilt ihm nach). Halt! halt! O mein Vater! -dass die Zaertlichkeit noch barbarischer zwingt, als Tyrannenwuth! -Was soll ich? Ich kann nicht! Was muss ich thun?
Miller. Wenn die Kuesse deines Majors heisser brennen als die Thraenen deines Vaters-stirb!
Luise (nach einem qualvollen Kampf mit einiger Festigkeit). Vater! Hier ist meine Hand! Ich will-Gott! Gott! Was thu' ich? was will ich?-Vater, ich schwoere-wehe mir, wehe! Verbrecherin, wohin ich mich neige!-Vater, es sei!-Ferdinand-Gott sieht herab!-So zernicht' ich sein letztes Gedaechtniss. (Sie zerreisst ihren Brief.)
Miller (stuerzt ihr freudetrunken an den Hals). Das ist meine Tochter! -Blick' auf! um einen Liebhaber bist du leichter, dafuer hast du einen gluecklichen Vater gemacht. (Unter Lachen und Weinen sie umarmend.) Kind! Kind! das ich den Tag meines Lebens nicht werth war! Gott weiss, wie ich schlechter Mann zu diesem Engel gekommen bin! -Mein Luise, mein Himmelreich!-O Gott! ich verstehe ja wenig vom Lieben, aber dass es eine Qual sein muss, aufzuhoeren-so was begreif' ich noch.
Luise. Doch hinweg aus dieser Gegend, mein Vater-Weg von der Stadt, wo meine Gespielinnen meiner spotten und mein guter Name dahin ist auf immerdar-Weg, weg, weit weg von dem Ort, wo mich so viele Spuren der verlorenen Seligkeit anreden. Weg, wenn es moeglich ist-Miller. Wohin du nur willst, meine Tochter. Das Brod unsers Herrgotts waechst ueberall, und Ohren wird er auch meiner Geige bescheren. Ja! lass auch Alles dahingehn-Ich setze die Geschichte deines Grams auf die Laute, singe dann ein Lied von der Tochter, die, ihren Vater zu ehren, ihr Herz zerriss-wir betteln mit der Ballade von Thuere zu Thuere, und das Almosen wird koestlich schmecken von den Haenden der Weinenden-
Zweite Scene.
Ferdinand zu den Vorigen.
Luise (wird ihn zuerst gewahr und wirft sich Millern laut schreiend um den Hals). Gott! Da ist er! Ich bin verloren.
Miller. Wo? Wer?
Luise (zeigt mit abgewandtem Gesicht auf den Major und drueckt sich fester an ihren Vater). Er! er selbst-Seh' Er nur um sich, Vater-Mich zu ermorden, ist er da.
Miller (erblickt ihn, faehrt zurueck.) Was? Sie hier, Baron?
Ferdinand (kommt langsam naeher, bleibt Luisen gegenueber stehen und laesst den starren forschenden Blick auf ihr ruhen, nach einer Pause). Ueberraschtes Gewissen, habe Dank! Dein Bekenntniss ist schrecklich, aber schnell und gewiss, und erspart mir die Folterung.-Guten Abend, Miller.
Miller. Aber um Gottes willen! Was wollen Sie, Baron? Was fuehrt Sie her? Was soll dieser Ueberfall?
Ferdinand. Ich weiss eine Zeit, wo man den Tag in seine Secunden zerstueckte, wo Sehnsucht nach mir sich an die Gewichte der zoegernden Wanduhr hing und auf den Aderschlag lauerte, unter dem ich erscheinen sollte-Wie kommt's, dass ich jetzt ueberrasche?
Miller. Gehen Sie, gehen Sie, Baron-Wenn noch ein Funke von Menschlichkeit in Ihrem Herzen zurueckblieb-wenn Sie Die nicht erwuergen wollen, die Sie zu lieben vorgeben, fliehen Sie, bleiben Sie keinen Augenblick laenger. Der Segen war fort aus meiner Huette, sobald Sie einen Fuss darein setzten. Sie haben das Elend unter mein Dach gerufen, wo sonst nur die Freude zu Hause war. Sind Sie noch nicht zufrieden? Wollen Sie auch in der Wunde noch wuehlen, die Ihre unglueckliche Bekanntschaft mit meinem einzigen Kinde schlug?
Ferdinand. Wunderlicher Vater, jetzt komm' ich ja, deiner Tochter etwas Erfreuliches zu sagen.
Miller. Neue Hoffnungen etwa zu einer neuen Verzweiflung?-Geh, Ungluecksbote! Dein Gesicht schimpft deine Waare.
Ferdinand. Endlich ist es erschienen, das Ziel meiner Hoffnungen! Lady Milford, das furchtbarste Hindernis unsrer Liebe, floh diesen Augenblick aus dem Lande. Mein Vater billigt meine Wahl. Das Schicksal laesst nach, uns zu verfolgen. Unsere gluecklichen Sterne gehen auf-Ich bin jetzt da, mein gegebenes Wort einzuloesen und meine Braut zum Altar abzuholen.
Miller. Hoerst du ihn, meine Tochter? Hoerst du ihn sein Gespoette mit deinen getaeuschten Hoffnungen treiben? O wahrlich, Baron! es steht dem Verfuehrer so schoen, an seinem Verbrechen seinen Witz noch zu kitzeln.