Ferdinand. Du glaubst, ich scherze. Bei meiner Ehre nicht! Meine Aussage ist wahr, wie die Liebe meiner Luise, und heilig will ich sie halten, wie sie ihre Eide-Ich kenne nichts Heiligeres-Noch zweifelst du? noch kein freudiges Erroethen auf den Wangen meiner schoenen Gemahlin? Sonderbar! die Luege muss hier gangbare Muenze sein, wenn die Wahrheit so wenig Glauben findet. Ihr misstraut meinen Worten? So glaubt diesem schriftlichen Zeugniss. (Er wirft Luisen den Brief an den Marschall zu.)
Luise (schlaegt ihn auseinander und sinkt leichenblass nieder).
Miller (ohne das zu bemerken, zum Major). Was soll das bedeuten, Baron? Ich verstehe Sie nicht.
Ferdinand (fuehrt ihn zu Luisen hin). Desto besser hat mich Diese verstanden.
Miller (faellt an ihr nieder). O Gott! meine Tochter!
Ferdinand. Bleich wie der Tod!-Jetzt erst gefaellt sie mir, deine Tochter! So schoen war sie nie, die fromme, rechtschaffene Tochter-Mit diesem Leichengesicht-Der Odem des Weltgerichts, der den Firniss von jeder Luege streift, hat jetzt die Schminke verblasen, womit die Tausendkuenstlerin auch die Engel des Lichts hintergangen hat-Es ist ihr schoenstes Gesicht! Es ist ihr erstes wahres Gesicht! Lass mich es kuessen. (Er will auf sie zugehen.)
Miller. Zurueck! Weg! Greife nicht an das Vaterherz, Knabe! Vor deinen Liebkosungen konnt' ich sie nicht bewahren, aber ich kann es vor deinen Misshandlungen.
Ferdinand. Was willst du, Graukopf? Mit dir hab' ich nichts zu schaffen. Menge dich ja nicht in ein Spiel, das so offenbar verloren ist-oder bist du auch vielleicht klueger, als ich dir zugetraut habe? Hast du die Weisheit deiner sechzig Jahre zu den Buhlschaften deiner Tochter geborgt und dies ehrwuerdige Haar mit dem Gewerb eines Kupplers geschaendet?-O! wenn das nicht ist, ungluecklicher alter Mann, lege dich nieder und stirb-Noch ist es Zeit. Noch kannst du in dem suessen Taumel entschlafen: ich war ein gluecklicher Vater!-Einen Augenblick spaeter, und du schleuderst die giftige Natter ihrer hoellischen Heimath zu, verfluchst das Geschenk und den Geber und faehrst mit der Gotteslaesterung in die Grube. (Zu Luisen.) Sprich, Unglueckselige! Schriebst du diesen Brief?
Miller (warnend zu Luisen). Um Gottes Willen, Tochter! Vergiss nicht! Vergiss nicht!
Luise. O dieser Brief, mein Vater-Ferdinand. Dass er in die unrechten Haende fiel?-Gepriesen sei mir der Zufall, er hat groessere Thaten gethan, als die kluegelnde Vernunft, und wird besser bestehn an jenem Tag, als der Witz aller Weisen-Zufall, sage ich?-O die Vorsehung ist dabei, wenn Sperlinge fallen, warum nicht, wo ein Teufel entlarvt werden soll?-Antwort will ich!-Schriebst du diesen Brief?
Miller (seitwaerts zu ihr mit Beschwoerung). Standhaft! Standhaft, meine Tochter! Nur noch das einzige Ja, und Alles ist ueberwunden.
Ferdinand. Lustig! lustig! Auch der Vater betrogen! Alles betrogen. Nun sieh, wie sie dasteht, die Schaendliche, und selbst ihre Zunge nun ihrer letzten Luege den Gehorsam aufkuendigt! Schwoere bei Gott, bei dem fuerchterlich wahren! Schriebst du diesen Brief?
Luise (nach einem qualvollen Kampf, worin sie durch Blicke mit ihrem Vater gesprochen hat, fest und entscheidend). Ich schrieb ihn.
Ferdinand (bleibe erschrocken stehen). Luise!-Nein! So wahr meine Seele lebt! du luegst-Auch die Unschuld bekennt sich auf der Folterbank zu Freveln, die sie nie beging-Ich fragte zu heftig-Nicht wahr, Luise-Du bekanntest nur, weil ich zu heftig fragte?
Luise. Ich bekannte, was wahr ist.
Ferdinand. Nein, sag' ich! nein! nein! Du schriebst nicht. Es ist deine Hand gar nicht-Und waere sie's, warum sollten Handschriften schwerer nachzumachen sein, als Herzen zu verderben? Rede mir wahr, Luise-Oder nein, nein, thu' es nicht, du koenntest Ja sagen, und ich waer' verloren-Eine Luege, Luise-ein Luege!-O wenn du jetzt eine wuesstest, mir hinwaerfest mit der offenen Engelmiene, nur mein Ohr, nur mein Aug ueberredetest, dieses Herz auch noch so abscheulich taeuschtest-O Luise! Alle Wahrheit moechte dann mit diesem Hauch aus der Schoepfung wandern und die gute Sache ihren starren Hals von nun an zu einem hoefischen Bueckling beugen! (Mit scheuem bebendem Ton.) Schriebst du diesen Brief?
Luise. Bei Gott! bei dem fuerchterlich wahren! Ja!
Ferdinand (nach einer Pause, im Ausdruck des tiefsten Schmerzes). Weib! Weib!-Das Gesicht, mit dem du jetzt vor mir stehst!-Theile mit diesem Gesicht Paradiese aus, du wirst selbst im Reich der Verdammniss keinen Kaeufer finden-Wusstest du, was du mir warst, Luise? Unmoeglich! Nein! Du wusstest nicht, dass du mir Alles warst! Alles! -Es ist ein armes veraechtliches Wort, aber die Ewigkeit hat Muehe, es zu umwandern; Weltsysteme vollenden ihre Bahnen darin-Alles! und so frevelhaft damit zu spielen-O, es ist schrecklich!-Luise. Sie haben mein Gestaendniss, Herr von Walter. Ich habe mich selbst verdammt. Gehen Sie nun! Verlassen Sie ein Haus, wo Sie so ungluecklich waren.
Ferdinand. Gut! gut! Ich bin ja ruhig-ruhig, sagt man ja, ist auch der schaudernde Strich Landes, worueber die Pest ging-ich bin's. (Nach einigem Nachdenken.) Noch eine Bitte, Luise-die letzte! Mein Kopf brennt so fieberisch. Ich brauch Kuehlung-Willst du mir ein Glas Limonade zurecht machen? (Luise geht ab.)
Dritte Scene.
Ferdinand und Miller.
(Beide gehen, ohne ein Wort zu reden, einige Pausen lang auf den entgegengesetzten Seiten des Zimmers auf und ab).
Miller (bleibt endlich stehen und betrachtet den Major mit trauriger Miene). Lieber Baron, kann es Ihren Gram vielleicht mindern, wenn ich Ihnen gestehe, dass ich Sie herzlich bedaure!
Ferdinand. Lass Er es gut sein, Miller. (Wieder einige Schritte.) Miller, ich weiss nur kaum noch, wie ich in Sein Haus kam-Was war die Veranlassung?
Miller. Wie, Herr Major? Sie wollten ja Lection auf der Floete bei mir nehmen? Das wissen Sie nicht mehr?
Ferdinand (rasch). Ich sah Seine Tochter! (Wiederum einige Pausen.) Er hat nicht Wort gehalten, Freund. Wir accordierten Ruhe fuer meine einsamen Stunden. Er betrog mich und verkaufte mir Skorpionen. (Da er Millers Bewegung sieht.) Nein, erschrick nur nicht, alter Mann. (Geruehrt an seinem Hals.) Du bist nicht schuldig.
Miller (die Augen wischend). Das weiss der allwissende Gott!
Ferdinand (aufs neue hin und her, in duestres Gruebeln versunken). Seltsam, o unbegreiflich seltsam spielt Gott mit uns. An duennen unmerkbaren Seilen haengen oft fuerchterliche Gewichte-Wuesste der Mensch, dass er an diesem Apfel den Tod essen sollte-Hum!-Wuesste er das? (Heftiger auf und nieder, dann Millers Hand mit starker Bewegung fassend.) Mann! Ich bezahle dir dein Bischen Floete zu theuer-und du gewinnst nicht einmal-auch du verlierst-verlierst vielleicht Alles. (Gepresst von ihm weggehend.) Unglueckseliges Floetenspiel, das mir nie haette einfallen sollen!
Miller (sucht seine Ruehrung zu verbergen). Die Limonade bleibt auch gar zu lang aussen. Ich denke, ich sehe nach, wenn Sie mir's nicht fuer uebel nehmen-Ferdinand. Es eilt nicht, lieber Miller. (Vor sich hinmurmelnd.) Zumal fuer den Vater nicht-Bleib' Er nur-Was hatt' ich doch fragen wollen?-Ja!-Ist Luise Seine einzige Tochter? Sonst hat Er keine Kinder mehr?
Miller (warm). Habe sonst keins mehr, Baron-wuensch' mir auch keins mehr. Das Maedel ist just so recht, mein ganzes Vaterherz einzustecken-hab' meine ganze Baarschaft von Liebe an der Tochter schon zugesetzt.
Ferdinand (heftig erschuettert). Ha!-Seh' Er doch lieber nach dem Trank, guter Miller. (Miller ab.)
Vierte Scene.
Ferdinand allein.
Das einzige Kind!-Fuehlst du das, Moerder? Das einzige! Moerder! hoerst du, das einzige?-Und der Mann hat auf der grossen Welt Gottes nichts, als sein Instrument und das einzige-Du willst's ihm rauben?