Miller. Zum Praesidenten?
Ferdinand. Nicht zu ihm selbst. Er uebergibt Seinen Auftrag in der Garderobe einem Kammerdiener-Zu Seiner Legitimation ist hier meine Uhr-Ich bin noch da, wenn Er wieder kommt.-Er wartet auf Antwort.
Luise (sehr aengstlich). Kann denn ich das nicht auch besorgen?
Ferdinand (zu Millern, der eben fort will). Halt, und noch etwas! Hier ist ein Brief an meinen Vater, der diesen Abend an mich eingeschlossen kam-Vielleicht dringende Geschaefte-Es geht in einer Bestellung hin-Miller. Schon gut, Baron!
Luise (haengt sich an ihn, in der entsetzlichsten Bangigkeit). Aber, mein Vater, Dies alles koennt' ich ja recht gut besorgen.
Miller. Du bist allein, und es ist finstre Nacht, meine Tochter. (Ab.)
Ferdinand. Leuchte deinem Vater, Luise! (Waehrend dem, dass sie Millern mit dem Licht begleitet, tritt er zum Tisch und wirft Gift in ein Glas Limonade.) Ja, sie soll dran! Sie soll! Die obern Maechte nicken mir ihr schreckliches Ja herunter, die Rache des Himmels unterschreibt, ihr guter Engel laesst sie fahren-
Siebente Scene.
Ferdinand und Luise.
Sie kommt langsam mit dem Lichte zurueck, setzt es nieder und stellt sich auf die entgegengesetzte Seite vom Major, das Gesicht auf den Boden geschlagen und nur zuweilen furchtsam und verstohlen nach ihm hinueberschielend. Er steht auf der andern Seite und sieht starr vor sich hinaus. (Grosses Stillschweigen, das diesen Auftritt ankuendigen muss.)
Luise. Wollen Sie mich accompagnieren, Herr von Walter, so mach' ich einen Gang auf dem Fortepiano. (Sie oeffnet den Pantalon.)
(Ferdinand gibt keine Antwort. Pause.)
Luise. Sie sind mir auch noch Revanche auf dem Schachbrett schuldig. Wollen wir eine Partie, Herr von Walter? (Eine neue Pause.)
Luise. Herr von Walter, die Brieftasche, die ich Ihnen einmal zu sticken versprochen-ich habe sie angefangen-Wollen Sie das Dessin nicht besehen? (Wieder eine Pause.)
Luise. Ich bin sehr elend!
Ferdinand (in der bisherigen Stellung). Das koennte wahr sein.
Luise. Meine Schuld ist es nicht, Herr von Walter, dass Sie so schlecht unterhalten werden.
Ferdinand (lacht beleidigend vor sich hin). Denn was kannst du fuer meine bloede Bescheidenheit?
Luise. Ich hab' es ja wohl gewusst, dass wir jetzt nicht zusammen taugen. Ich erschrak auch gleich, ich bekenne es, als Sie meinen Vater verschickten-Herr von Walter, ich vermuthe, dieser Augenblick wird uns Beiden gleich unertraeglich sein-Wenn Sie mir's erlauben wollen, so geh' ich und bitte einige von meinen Bekannten her.
Ferdinand. O ja doch, das thu'. Ich will auch gleich gehn und von den meinigen bitten.
Luise (sieht ihn stutzend an). Herr von Walter?
Ferdinand (sehr haemisch). Bei meiner Ehre! der gescheidteste Einfall, den ein Mensch in dieser Lage nur haben kann. Wir machen aus diesem verdriesslichen Duett eine Lustbarkeit und raechen uns mit Hilfe gewisser Galanterieen an den Grillen der Liebe.
Luise. Sie sind aufgeraeumt, Herr von Walter.
Ferdinand. Ganz ausserordentlich, um die Knaben auf dem Markt hinter mir her zu jagen! Nein! In Wahrheit, Luise! dein Beispiel bekehrt mich-du sollst meine Lehrerin sein. Thoren sind's, die von ewiger Liebe schwatzen. Ewiges Einerlei widersteht, Veraenderung nur ist das Salz des Vergnuegens-Topp, Luise! Ich bin dabei-Wir huepfen von Roman zu Roman, waelzen uns von Schlamme zu Schlamm-Du dahin-ich dorthin-vielleicht, dass meine verlorene Ruhe sich in einem Bordell wieder finden laesst-Vielleicht, dass wir dann nach dem lustigen Wettlauf, zwei modernde Gerippe, mit der angenehmsten Ueberraschung von der Welt zum zweiten Mal aufeinander stossen, dass wir uns da an dem gemeinschaftlichen Familienzug, den kein Kind dieser Mutter verleugnet, wie in Komoedien wieder erkennen, dass Ekel und Scham noch eine Harmonie veranstalten, die der zaertlichsten Liebe unmoeglich gewesen ist.
Luise. O Juengling! Juengling! Ungluecklich bist du schon; willst du es auch noch verdienen?
Ferdinand (ergrimmt durch die Zaehne murmelnd). Ungluecklich bin ich? Wer hat dir das gesagt? Weib, du bist zu schlecht, und selbst zu empfinden-womit kannst du eines Andern Empfindungen waegen?-Ungluecklich, sagte sie?-Ha! dieses Wort koennte meine Wuth aus dem Grabe rufen! Ungluecklich musst' ich werden, das wusste sie. Tod und Verdammniss! das wusste sie und hat mich dennoch verrathen-Siehe, Schlange! das war der einzige Fleck der Vergebung-Deine Aussage bricht dir den Hals-Bis jetzt konnt' ich deinen Frevel mit deiner Einfalt beschoenigen, in meiner Verachtung waerst du beinahe meiner Rache entsprungen. (Indem er hastig das Glas ergreift.) Also leichtsinnig warst du nicht-dumm warst du nicht-du warst nur ein Teufel. (Er trinkt.) Die Limonade ist matt wie deine Seele-Versuche!
Luise. O Himmel! Nicht umsonst hab' ich diesen Auftritt gefuerchtet.
Ferdinand (gebieterisch). Versuche!
Luise (nimmt das Glas etwas unwillig und trinkt).
Ferdinand (wendet sich, sobald sie das Glas an den Mund setzt, mit einer ploetzlichen Erblassung weg und eilt nach dem hintersten Winkel des Zimmers).
Luise. Die Limonade ist gut.
Ferdinand (ohne sich umzukehren, von Schauer geschuettelt). Wohl bekomm's!
Luise (nachdem sie es niedergesetzt). O wenn Sie wuessten, Walter, wie ungeheuer Sie meine Seele beleidigen.
Ferdinand. Hum!
Luise. Es wird eine Zeit kommen, Walter-Ferdinand (wieder vorwaerts kommend). O! mit der Zeit waeren wir fertig.
Luise. Wo der heutige Abend schwer auf Ihr Herz fallen duerfte-Ferdinand (faengt an staerker zu gehen und beunruhigter zu werden, indem er Schaerpe und Degen von sich wirft). Gute Nacht, Herrendienst!
Luise. Mein Gott! Wie wird Ihnen?
Ferdinand. Heiss und enge-Will mir's bequemer machen.
Luise Trinken Sie! Trinken Sie! Der Trank wird Sie kuehlen.
Ferdinand. Das wird er auch ganz gewiss-Die Metze ist gutherzig; doch, das sind alle!
Luise (mit dem vollen Ausdruck der Liebe ihm in die Arme eilend). Das deiner Luise, Ferdinand?
Ferdinand (drueckt sie von sich). Fort! Fort! Diese sanften schmelzenden Augen weg! Ich erliege. Komm in deiner ungeheuern Furchtbarkeit, Schlange! spring an mir auf, Wurm!-Krame vor mir deine graesslichen Knoten aus, baeume deine Wirbel zum Himmel!-so abscheulich, als dich jemals der Abgrund sah-nur keinen Engel mehr-nur jetzt keinen Engel mehr-Es ist zu spaet-Ich muss dich zertreten, wie eine Natter, oder verzweifeln-Erbarme dich!
Luise. O! dass es so weit kommen musste!
Ferdinand (sie von der Seite betrachtend). Dieses schoene Werk des himmlischen Bildners-Wer kann das glauben?-Wer sollte das glauben? (Ihre Hand fassend und emporhaltend.) Ich will dich nicht zur Rede stellen, Gott Schoepfer-Aber warum denn dein Gift in so schoenen Gefaessen?-Kann das Laster in diesem milden Himmelstrich fortkommen?-O, es ist seltsam.
Luise. Das anzuhoeren und schweigen zu muessen!
Ferdinand. Und die suesse melodische Stimme-Wie kann so viel Wohlklang kommen aus zerrissenen Saiten? (Mit trunkenem Aug auf ihrem Anblick verweilend.) Alles so schoen-so voll Ebenmass-so goettlich vollkommen!-Ueberall das Werk seiner himmlischen Schaeferstunde! Bei Gott! als waere die grosse Welt nur entstanden, den Schoepfer fuer dieses Meisterstueck in Laune zu setzen!-Und nur in der Seele sollte Gott sich vergriffen haben? ist es moeglich, dass diese empoerende Missgeburt in die Natur ohne Tadel kam? (Indem er sie schnell verlaesst.) Oder sah er einen Engel unter dem Meissel hervorgehen und half diesem Irrthum in der Eile mit einem desto schlechteren Herzen ab?