Luise. O des frevelhaften Eigensinns! Ehe er sich eine Uebereilung gestaende, greift er lieber den Himmel an.
Ferdinand (stuerzt ihr heftig weinend an den Hals). Noch einmal, Luise!-Noch einmal wie am Tag unsers ersten Kusses, da du Ferdinand stammeltest und das erste Du auf deine brennenden Lippen trat-O eine Saat unendlicher, unaussprechlicher Freuden schien in dem Augenblick wie in der Knospe zu liegen-Da lag die Ewigkeit wie ein schoener Maitag vor unsern Augen; goldne Jahrtausende huepften, wie Braeute, vor unsrer Seele vorbei-Da war ich der Glueckliche!-O Luise! Luise! Luise! Warum hat du mir das gethan?
Luise. Weinen Sie, weinen Sie, Walter. Ihre Wehmuth wird gerechter gegen mich sein, als Ihre Entruestung.
Ferdinand. Du betruegst dich. Das sind ihre Thraenen nicht-Nicht jener warme, wolluestige Thau, der in die Wunde der Seele balsamisch fliesst und das starre Rad der Empfindung wieder in Gang bringt. Es sind einzelne-kalte Tropfen-das schauerliche ewige Lebewohl meiner Liebe. (Furchtbar feierlich, indem er die Hand auf ihren Kopf sinken laesst.) Thraenen um deine Seele, Luise-Thraenen um die Gottheit, die ihres unendlichen Wohlwollens hier verfehlte, die so muthwillig um das herrlichste ihrer Werke kommt-O mich daeucht, die ganze Schoepfung sollte den Flor anlegen und ueber das Beispiel betreten sein, das in ihrer Mitte geschieht-Es ist was Gemeines, dass Menschen fallen und Paradiese verloren werden; aber wenn die Pest unter Engel wuethet, so rufe man Trauer aus durch die ganze Natur.
Luise. Treiben Sie mich nicht aufs Aeusserste, Walter. Ich habe Seelenstaerke, so gut wie Eine-aber sie muss auf eine menschliche Probe kommen. Walter, das Wort noch und dann geschieden-Ein entsetzliches Schicksal hat die Sprache unsrer Herzen verwirrt. Duerft' ich den Mund aufthun, Walter, ich koennte dir Dinge sagen-ich koennte-aber das harte Verhaengniss band meine Zunge wie meine Liebe, und dulden muss ich's, wenn du mich wie eine gemeine Metze misshandelst.
Ferdinand. Fuehlst du dich wohl, Luise?
Luise. Wozu diese Frage?
Ferdinand. Sonst sollte mir's leid um dich thun, wenn du mit einer Luege von hinnen muesstest.
Luise. Ich beschwoere Sie, Walter-Ferdinand (unter heftigen Bewegungen). Nein! nein! Zu satanisch waere diese Rache! Nein! Gott bewahre mich! In jene Welt hinaus will ich's nicht treiben-Luise! Hast du den Marschall geliebt? Du wirst nicht mehr aus diesem Zimmer gehen.
Luise. Fragen Sie, was Sie wollen. Ich antworte nichts mehr. (Sie setzt sich nieder.)
Ferdinand (ernster). Sorge fuer deine unsterbliche Seele, Luise! -Hast du den Marschall geliebt? Du wirst nicht mehr aus diesem Zimmer gehen.
Luise. Ich antworte nichts mehr.
Ferdinand (faellt in fuerchterlicher Bewegung vor ihr nieder). Luise! Hast du den Marschall geliebt? Ehe dieses Licht noch ausbrennt-stehst du-vor Gott!
Luise (faehrt erschrocken in die Hoehe). Jesus! Was ist das?-und mir wird sehr uebel. (Sie sinkt auf den Sessel zurueck.)
Ferdinand. Schon?-Ueber euch Weiber und das ewige Raethsel! Die zaertliche Nerve haelt Freveln fest, die die Menschheit an ihren Wurzeln zernagen; ein elender Gran Arsenik wirft sie um-Luise. Gift! Gift! O mein Herrgott!
Ferdinand. So fuerchte ich. Deine Limonade war in der Hoelle gewuerzt. Du hast sie dem Tod zugetrunken.
Luise. Sterben! Sterben! Gott Allbarmherziger! Gift in der Limonade und sterben!-O meiner Seele erbarme dich, Gott der Erbarmer!
Ferdinand. Das ist die Hauptsache. Ich bitt' ihn auch darum.
Luise. Und meine Mutter-mein Vater-Heiland der Welt! Mein armer, verlorener Vater! Ist keine Rettung mehr? Mein junges Leben, und keine Rettung! Und muss ich jetzt schon dahin?
Ferdinand. Keine Rettung, musst jetzt schon dahin-aber sei ruhig. Wir machen die Reise zusammen.
Luise. Ferdinand, auch du! Gift, Ferdinand! Von dir! O Gott, vergiss es ihm-Gott der Gnade, nimm die Suende von ihm-Ferdinand. Sieh du nach deinen Rechnungen-Ich fuerchte, sie stehen uebel.
Luise. Ferdinand! Ferdinand!-O-Nun kann ich nicht mehr schweigen-Der Tod-der Tod hebt alle Eide auf-Ferdinand!-Himmel und Erde hat nichts Unglueckseligeres als dich!-Ich sterbe unschuldig, Ferdinand.
Ferdinand (erschrocken). Was sagt sie da?-Eine Luege pflegt man doch sonst nicht auf diese Reise zu nehmen?
Luise. Ich luege nicht-luege nicht-hab' nur einmal gelogen mein Lebenlang-Huh! wie das eiskalt durch meine Adern schauert-als ich den Brief schrieb an den Hofmarschall-Ferdinand. Ha! Dieser Brief! -Gottlob! Jetzt hab' ich all meine Mannheit wieder.
Luise (ihre Zunge wird schwerer, ihre Finger fangen an gichterisch zu zucken). Dieser Brief-Fasse dich, ein entsetzliches Wort zu hoeren-Meine Hand schrieb, was mein Herz verdammte-dein Vater hat ihn dictiert.
Ferdinand (starr und einer Bildsaeule gleich, in langer todter Pause hingewurzelt, faellt endlich wie von einem Donnerschlag nieder).
Luise. O des klaeglichen Missverstands-Ferdinand-man zwang mich-vergib-deine Luise haette den Tod vorgezogen-aber mein Vater-die Gefahr-sie machten es listig.
Ferdinand (schrecklich emporgeworfen). Gelobet sei Gott! noch spuer' und das Gift nicht. (Er reisst den Degen heraus.)
Luise (von Schwaeche zu Schwaeche sinkend). Weh! Was beginnst du? Es ist dein Vater-Ferdinand (im Ausdruck der unbaendigsten Wuth). Moerder und Moerdervater!-Mit muss er, dass der Richter der Welt nur gegen den Schuldigen rase. (Will hinaus.)
Luise. Sterbend vergab mein Erloeser-Heil ueber dich und ihn (Sie stirbt.)
Ferdinand (kehrt schnell um, wird ihre letzte sterbende Bewegung gewahr und faellt in Schmerz aufgeloest vor der Todten nieder). Halt! Halt! Entspringe mir nicht, Engel des Himmels! (Er fasst ihre Hand an und laesst sie schnell wie fallen.) Kalt, kalt und feucht! Ihre Seele ist dahin. (Er springt wieder auf.) Gott meiner Luise! Gnade! Gnade dem verruchtesten der Moerder! Es war ihr letztes Gebet!-Wie reizend und schoen auch ihr Leichnam! Der geruehrte Wuerger ging schonend ueber diese freundlichen Wangen hin-Diese Sanftmuth war keine Larve, sie hat auch dem Tod Stand gehalten. (Nach einer Pause.) Aber wie? Warum fuehl' ich nichts? Will die Kraft meiner Jugend mich retten? Undankbare Muehe! Das ist meine Meinung nicht. (Er greift nach dem Glase.)
Letzte Scene.
Ferdinand. Der Praesident. Wurm und Bediente, welche alle voll Schrecken ins Zimmer stuerzen, darauf Miller mit Volk und Gerichtsdienern, welche sich im Hintergrund sammeln.
Praesident (den Brief in der Hand). Sohn, was ist das?-Ich will doch nimmermehr glauben-Ferdinand (wirft ihm das Glas vor die Fuesse). So sieh, Moerder!
Praesident (taumelt hinter sich. Alle erstarren. Eine schreckhafte Pause.) Mein Sohn, warum hast du mir das gethan?
Ferdinand (ohne ihn anzusehen). O ja freilich! Ich haette den Staatsmann erst hoeren sollen, ob der Streich auch zu seinen Karten passe?-Fein und bewundernswerth, ich gesteh's, war die Finte, den Bund unsrer Herzen zu zerreissen durch Eifersucht-Die Rechnung hatte ein Meister gemacht, aber Schade nur, dass die zuernende Liebe dem Draht nicht so gehorsam blieb wie deine hoelzerne Puppe.
Praesident (sucht mit verdrehten Augen im ganzen Kreise herum). Ist hier Niemand, der um einen trostlosen Vater weint?
Miller (hinter der Scene rufend). Lasst mich hinein! Um Gottes willen! Lasst mich!