»Du hättest uns gestatten sollen, Menicius hinzurichten«, sagte er. »Du hast es verhindert. Das war ein Fehler.«
»Mag sein«, sagte ich. »Aber ich bin Tatrix von Corcyrus.«
»Natürlich«, sagte Ligurious.
Ich ließ mich auf den Bauch rollen. Das seidige Bettlaken schmiegte sich auf das angenehmste an meine Haut.
»Lady Sheila, meine Herrscherin, dürfte ich dir Drusus Rencius vorstellen, den ersten Schwertkämpfer in deiner Wache?« hatte Ligurious vor einigen Tagen gefragt.
»Der Name scheint mir nicht aus Corcyrus zu stammen«, sagte ich.
»In unseren Diensten stehen die verschiedensten Söldner«, erwiderte Ligurious. »Wir haben Soldaten, die sogar aus Anango und Skjern kommen.«
»Und aus welcher Stadt kommt Drusus Rencius?«
»Aus Ar.«
»Ich dachte, unser Bündnispartner wäre Cos«, wandte ich ein.
»Drusus Rencius ist in seiner Heimat ein Ausgestoßener, meine Dame«, sagte Ligurious. »Sei unbesorgt. Er dient nur sich selbst und dem Silber.«
Ich neigte den Kopf vor Drusus Rencius. Er war dunkelhaarig, groß, geschmeidig, hager und gleichwohl muskulös. Sein Gesicht wies ausgeprägte, regelmäßige Züge aus, die Hände waren groß. Hinter der Stirn erahnte ich große Intelligenz.
»Meine Dame«, sagte er und verneigte sich vor mir.
Er schien wortkarg und ergeben zu sein, doch besaß er zweifellos die Charakterzüge, die einen Goreaner ausmachten. Er wußte bestimmt mit einer Frau umzugehen.
»Er soll dein persönlicher Leibwächter sein«, sagte Ligurious.
»Leibwächter?«
»Ja, meine Dame.«
Ich betrachtete den großen hageren Mann. In der linken Armbeuge trug er seinen Helm, der sehr poliert aussah, zweifellos aber schon manchen Kampf mitgemacht hatte. Ebenso war der Griff seines Schwerts merklich abgegriffen. Seine Uniform war sauber, aber schlicht gehalten. Sie wies die Symbole Corcyrus’ und seines Rangs bei den Wächtern auf. Er stand im dritten Rang, im ersten, dem Befehlsgewalt übertragen werden kann. Sollte er schon ein Kommando bekleiden, würde er es jetzt sicher abgeben, um sich ganz seiner Herrscherin widmen zu können. Wahrscheinlich hatte seine Geschicklichkeit mit dem Schwert Ligurious aufmerksam gemacht; gleichwohl genügte es als Bewacher einer Tatrix nicht, nur mit dem Schwert fix zur Hand zu sein. Protokollfragen mußten geklärt werden, Äußerlichkeiten waren ebenfalls wichtig. Ich würde den Burschen schon in seine Schranken weisen.
»Der Wächter einer Tatrix«, sagte ich zu Ligurious, »muß aber prächtiger aussehen.«
»Sorg dafür!« sagte er zu Drusus Rencius.
Daraufhin war Ligurious gegangen.
Drusus Rencius schaute auf mich herab. Er schien sehr groß und kräftig zu sein, und ich kam mir sehr klein und schwach vor.
»Was ist los?« fragte ich zornig.
»Nichts.«
»Nun sprich schon!«
»Nach den Dingen, die man mir erzählt hat, rechnete ich eigentlich mit einer etwas anderen Lady Sheila.«
»Ach?«
»Ich hatte erwartet, daß die Lady Sheila doch mehr eine Tatrix wäre«, fuhr er fort, »während du etwas ganz anderes zu sein scheinst.«
»Was?«
»Verzeih mir, meine Dame«, sagte er lächelnd, »wenn ich dir wahrheitsgemäß antworten würde, müßte ich fürchten, auf den Pflöcken zu enden.«
»Sprich dich ruhig aus. Wie komme ich dir vor?«
»Wie eine Sklavin«, sagte er.
»Oh!« rief ich zornig.
»Mischt sich Lady Sheila oft unverschleiert unter das Volk?« fragte er.
»Ja«, sagte ich. »Eine Tatrix hat keine Geheimnisse vor ihrem Volk. Es ist gut, wenn ihr Volk ihre Herrscherin offen sehen kann!«
»Wie Lady Sheila möchte«, sagte er und verbeugte sich. »Darf ich mich jetzt zurückziehen?«
»Ja«, sagte ich. Er hatte mich ohne Schleier gesehen. Ich kam mir beinahe unbekleidet vor, fast als wäre ich wirklich eine Sklavin.
»Du brauchst mich nur zu rufen, ich stehe dir zur Verfügung«, sagte er und verließ den Raum.
Ich warf mich auf dem Bett herum und schaute zur Decke empor.
Der Wein, den ich zum Abendessen getrunken hatte, wirkte noch immer nach. Möglicherweise hatte er ein Schlafmittel enthalten.
Es war nicht einfach, mir über die Situation klarzuwerden. Ich hatte einen seltsamen Traum gehabt, vermengt mit anderen Visionen.
»Ich bin die Tatrix von Corcyrus«, hatte ich auf der Sänfte zu Ligurious gesagt. »Natürlich«, hatte er geantwortet.
Wie kann ich aber die Tatrix von Corcyrus sein? fragte ich mich nun selbst. Ergibt dies alles einen Sinn? Ich konnte verstehen, daß Frauen auf diese Welt geschafft wurden, um wie Susan versklavt zu werden. Das ging mir ein. Warum sollte aber jemand auf diese Welt geholt werden, um über eine Stadt zu herrschen? Eine dermaßen privilegierte und mächtige Stellung würden die Goreaner doch eher sich selbst vorbehalten! Ich hätte eher damit rechnen müssen, zu Füßen eines Sklavenherrn zu enden. Immer wieder fragte ich mich, ob ich wirklich die Tatrix von Corcyrus war. Bisher hatte ich noch keine direkten und wirklich weitreichenden Machtbefugnisse ausgeübt. Und zuweilen kam mir mein Zeitplan ein wenig seltsam vor. Zu gewissen Ahn mußte ich mich in den öffentlich zugängigen Räumen des Palasts aufhalten, und zu anderen wurde von mir erwartet, daß ich mich auf meine Gemächer beschränkte – aus Gründen, die mir unerfindlich blieben. »Der Tagesablauf der Tatrix ist seit jeher von gewissen Traditionen bestimmt«, hatte mich Ligurious informiert. Ab und zu war ich zu einem Zeitpunkt in meine Gemächer zurückgeleitet worden, da meiner Auffassung nach wichtige Ratssitzungen auf dem Programm standen, Sitzungen, an denen die Tatrix unbedingt hätte teilnehmen müssen. Ligurious informierte mich allerdings, daß die Tagesordnung dieser Sitzungen in Wahrheit so unwichtig und trivial gewesen wären, daß sie der Aufmerksamkeit der Tatrix nicht wert waren. So brauchte ich an den Veranstaltungen nicht teilzunehmen. Zu anderen Zeiten teilte man mir mit, daß Sitzungen verschoben oder abgesagt wären. Überlieferungen und Gebräuche scheinen den Goreanern sehr wichtig zu sein. Was ich als unerklärliche Schrullen oder Kapriolen in meinem Tagesplan empfand, wurde in der Regel damit erklärt. Es gehöre sich einfach, so hatte Ligurious mir erklärt, daß die Tatrix sich an die Besonderheiten Corcyrus’ halte, auch wenn sie ihr etwas willkürlich vorkämen.
In der heißen corcyrischen Nacht schaute ich zur Decke meines Zimmers empor.
War ich die Tatrix von Corcyrus?
Susan, soviel stand fest, war davon überzeugt. Ebenso mein Leibwächter Drusus Rencius, ehemals aus Ar.
Auch hatte es anläßlich meiner öffentlichen Auftritte niemals Zweifel gegeben. Von allen wurde ich als Tatrix von Corcyrus akzeptiert. Ligurious, erster Minister der Stadt, hatte mir mehrfach versichert, daß alles seine Ordnung habe. Und hätte ich noch eine letzte Bestätigung gebraucht, so war sie mir vorhin während des Umzugs durch die Bürger Corcyrus’ gegeben worden: »Heil Sheila, Tatrix von Corcyrus!« hatten sie gerufen.
»Ich bin die Tatrix von Corcyrus«, hatte ich zu Ligurious gesagt. »Natürlich«, hatte er entgegnet.
So unerklärlich mir diese Tatsache auch erscheinen mochte, ich kam um die Schlußfolgerung nicht herum, daß ich in der Tat über Corcyrus herrschte.
Ich schloß die Augen und öffnete sie wieder. Langsam schüttelte ich den Kopf. Der Wein wirkte noch nach. Weshalb er aber vielleicht mit einem Mittel versetzt worden war, wußte ich nicht.
Ich hatte einen seltsamen Traum erlebt. Darin hatte ich auf Händen und Knien auf einem kühlen Fliesenboden gehockt. Ich war in eine Art Tuch gehüllt. Von meinem Hals hatte eine Kette zu einem Ring am Boden geführt. Drusus Rencius stand hinter mir und hielt eine goreanische Sklavenpeitsche in der Hand. Ligurious stand seitlich und hielt mir eine Lampe neben das Gesicht. Ich schluchzte.
»Siehst du es?« fragte er. »Ist es nicht bemerkenswert?«
»Ja«, antwortete eine Frauenstimme. Ich schnappte nach Luft. Es war, als schaute ich mich selbst an. Sie trug die Robe einer Tatrix, wie ich sie schon am gleichen Tag angehabt hatte. Wie ich hatte sie keinen Schleier angelegt. In der Verrücktheit des Traums schien ich mir selbst gegenüberzustehen und mich zu betrachten. Wie seltsam doch Träume sein können!