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»Heute abend werde ich sie einigen Wächtern zum Peitschentanz überlassen.«

»Wie steht der Krieg?« wollte ich wissen.

»Ich wollte dir einen neuen ruhmreichen Sieg melden«, sagte Ligurious. »Er ereignete sich auf der Ebene von Eteocles.«

»Dann steht der Feind also schon östlich der Eteocles-Hügel und ist durch den Theseus-Paß gebrochen?«

»Du hast dir Landkarten angeschaut?« fragte Ligurious.

»Ich habe mich erkundigt«, antwortete ich. Er wußte, daß ich die goreanische Schrift nicht lesen konnte.

»Ich verstehe«, sagte er.

Das Gebrüll der Menschen auf dem Platz wurde lauter; Waffen klirrten.

Ich eilte an das Gitterfenster.

»Das sind bestimmt die Wächter, die die nichtsnutzigen Herumtreiber verscheuchen.«

»Ja«, sagte ich, denn ich sah eine Doppelreihe von Gardisten, bewaffnet mit Schilden und Speeren, durch das Tor schreiten. Kurze Zeit später flohen Männer und Frauen über den Platz.

»Es handelt sich um kleine Dissidentengruppen«, erklärte Ligurious. »Beachte sie nicht. Corcyrus liebt dich.«

»Unsere Siege«, sagte ich, »scheinen sich von Mal zu Mal näher bei der Stadt abzuspielen.«

»Du hast doch gewiß das Silber gesehen, das wir in Argentum erbeuteten«, fragte er.

»Ja, es wurde in der Siegesparade zur Schau gestellt, die wir beide abnahmen«, sagte ich.

»Die du abgenommen hast, Tatrix«, sagte er bescheiden.

»Ja.«

Ich erinnerte mich gut an diese Parade. Ligurious hatte neben mir in der Sänfte gesessen. So war er als Machtfaktor deutlich präsent gewesen, während ich wieder ohne Schleier durch die Straße getragen wurde. Mein Gesicht mußte inzwischen Tausenden bekannt sein.

»Anscheinend ist aber kein Silber mehr nachgekommen«, sagte ich.

Ligurious schwieg.

»Sind unsere Truppen in Argentum eingedrungen?« fragte ich.

»Unsere Generäle hielten das nicht für nötig«, sagte Ligurious.

»Nachdem wir die Bergwerke in Besitz nahmen, ereignete sich unser erster Sieg auf den Hesius-Feldern, nicht wahr?«

»Ja.«

»Unser zweiter dann am Ufer des Ias-Sees«, fuhr ich fort, »und der dritte östlich des Issus.« Es handelte sich dabei um einen nach Nordwesten fließenden Fluß, der hoch im Norden in den Vosk mündete.

»Ja, meine Tatrix«, erwiderte Ligurious.

»Nun haben wir erneut gesiegt«, sagte ich, »diesmal auf den Ebenen von Eteocles.«

»Ja, meine Tatrix«, sagte Ligurious.

»Diese Ebenen liegen hundert Pasang von Corcyrus entfernt«, stellte ich fest.

»Das alles gehört zu einem Plan, meine Tatrix«, sagte Ligurious. »Wir strecken die Nachschublinien des Gegners. Dann werden wir, bald, nach Belieben zuschlagen wie ein Tarn, und die feindlichen Kämpfer von ihrer Versorgung abschneiden. Ein hungriger, demoralisierter Gegner sieht sich dann überwältigenden Angriffen ausgesetzt. Sei unbesorgt, meine Dame. Argentum wird bald hilflos sein. Bald haben wir sie alle unter unseren Schwertern.«

»Gibt es in der Stadt Versorgungsschwierigkeiten?« fragte ich.

»Im Palast jedenfalls nicht«, sagte Ligurious. »Hat Lady Sheila vorhin ihr gewürztes Vulofleisch genossen?«

»Und in der Stadt?«

»Wenn Konflikte ausgetragen werden«, antwortete der Minister, »muß die Bevölkerung Entbehrungen hinnehmen.«

»Und sind diese Entbehrungen geringfügiger Natur?« fragte ich.

»Ja«, erwiderte er. »Wenn du gestattest.« Mit diesen Worten verbeugte er sich und ging.

Wieder wandte ich mich dem Gitterfenster zu. Von hier oben vermochte ich zuweilen Tarndrähte auszumachen, die zwischen Palast und Außenmauer gespannt waren und den Hof abdeckten. Auch in der Stadt, so hieß es, waren diese Drähte allgegenwärtig.

Hinter mir öffnete sich die Tür, und Susan trat ein.

»Du kannst deine Arbeit fortsetzen«, sagte ich.

»Ja, Herrin.«

»Susan?«

»Ja, Herrin?«

»Gibt es Unruhe in der Stadt?«

»Ich weiß es nicht, Herrin«, erwiderte sie. »Ich verlasse das Palastgrundstück nur selten.«

Ich hatte einen kühnen Plan.

»Ehe du dich nachher zurückziehst«, sagte ich, »gibst du Drusus Rencius Bescheid, daß ich ihn sehen möchte. Er soll sich in spätestens einer Ahn hier einfinden.«

»Ja, Herrin«, sagte sie.

»Du brauchst Ligurious von dieser Sache nichts zu erzählen«, fuhr ich fort.

»Wie die Herrin befiehlt.«

Ich wandte mich wieder dem Fenster zu und schaute über die Stadt.

Mein Besuch im Haus des Kliomenes lag nun schon einige Wochen zurück, und in dieser Zeit hatte ich den Palast kaum verlassen. Natürlich hatte ich an der großen Siegesparade teilgenommen, die kurz nach der Eroberung der Bergwerke abgehalten wurde.

Auch Drusus Rencius hatte ich seit meinem Besuch in der Schänke des Lysius und bei den Sklavengehegen kaum noch unter vier Augen gesehen. Unsere Beziehung beschränkte sich auf seine Pflichten. Zweimal hatte er gebeten, auf einen anderen Posten versetzt zu werden, doch hatte ich jedesmal abgelehnt. Daß ihn meine Gegenwart mit Unruhe oder Bitterkeit erfüllen mochte, bedeutete mir nichts. Ich war Tatrix. Er war Soldat. Er würde mir gehorchen.

Beim Gedanken an das Unbehagen, das ich ihm bereitete, mußte ich lächeln. Es gefiel mir. Er sollte ruhig leiden.

9

Durch die verwinkelte, enge Straße kehrten Drusus Rencius und ich zum Palast zurück. Er hielt eine Fackel in der Hand. Die Nebenstraßen goreanischer Städte sind nachts oft unbeleuchtet; Fußgänger müssen ihr eigenes Licht mitbringen.

»Es wäre mir lieber«, sagte Drusus Rencius, »wenn wir uns an die Hauptstraßen gehalten hätten.«

»Ich wollte mit Bürgern in weniger bekannten Distrikten sprechen«, sagte ich.

»Ist Lady Sheila nun zufrieden?«

»Ja«, sagte ich. »Alles in allem schon, obwohl die Leute mir oft sehr wortkarg und verängstigt vorkamen.«

»Es sind unruhige Zeiten«, sagte Drusus Rencius.

Vor allem in den breiteren Straßen hatte ich zahlreiche Passanten angehalten und Fragen gestellt. Ich hatte sogar in einigen angesehenen Tavernen vorbeigeschaut, die auch für freie Frauen zugänglich waren. Alles in allem schienen die Corcyrer die Herrschaft ihrer Tatrix begeistert zu befürworten und die Versorgungsprobleme als unwichtig abzutun. Gerüchte über Unzufriedenheit oder Unruhe in Corcyrus wurden als unbegründet heruntergespielt. So schienen die Dinge in Corcyrus denn so zu stehen, wie Ligurious sie mir beschrieben hatte. Das Volk stand hinter der Politik des Palasts und war dem Staat und seiner geliebten Tatrix ergeben.

»Viele Läden sind zugenagelt«, sagte ich.

»So mancher Kaufmann hat die Stadt verlassen und seine Waren mitgenommen«, antwortete Drusus Rencius.

»Warum?«

»Weil er Angst hat«, sagte er. »Die Münzstraße ist beinahe völlig geschlossen.« Damit meinte er ein Geflecht von Straßen, einen Distrikt, in dem vorwiegend Geld- und Bankgeschäfte getätigt wurden. »Im übrigen haben sich auch viele einzelne Bürger ihre Habe auf den Rücken geschnallt und die Stadt verlassen.«

»Feige Nichtsnutze!« sagte ich. »Warum können sie nicht mutig sein wie die anderen?«

»Warte!« sagte Drusus Rencius und blieb stehen. Er hob die Fackel, die er in der linken Hand hielt. »Ich habe da etwas gehört.«

Ich trat zurück. Drusus Rencius’ Schwert glitt aus der Scheide.

Plötzlich sah ich drei Gestalten aus der Dunkelheit näherkommen. »Tal, Soldat«, sagte ein Mann.

»Tal«, antwortete Drusus Rencius und stellte sich mit dem Rücken zu einer Wand.

»Wir haben uns verirrt«, sagte einer der Männer höflich und zog ein Stück Papier aus seiner Tunika. »Ich habe hier die Wegbeschreibung auf einem Stück Pergament. Du hast eine Fackel.«

»Nicht näherkommen!« sagte Drusus Rencius. Der Bursche lächelte, knüllte langsam das Papier zusammen und ließ es auf die Straße fallen. Im nächsten Moment wurden drei Schwerter blank gezogen.

»Gib uns die Frau!« sagte der Mann.

»Nein.«

Plötzlich wurde ich von der Seite gepackt. Ich schrie auf. In der nächsten Sekunde schleuderte Drusus Rencius die Fackel fort und stürzte sich auf den Mann, der das Gespräch bisher geführt hatte. Einer der drei drückte mich gegen die Wand und stopfte mir den Schleier als Knebel in den Mund. Kampfgeräusche waren zu hören. »Flieh!« hörte ich einen Mann schreien. Ich wurde zu Boden gestoßen und hörte hastige Schritte, die sich entfernten.