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Mit klopfendem Herzen begann ich gleichwohl den beiden Männern zu folgen, die eben an mir vorbeigekommen waren. Sie näherten sich der Mitte des Lagers.

»Was machst du hier, Dirne?« fragte ein Mann. Er war plötzlich zwischen den Zelten aufgetaucht und trug Geräte über der Schulter. Ich wich zurück. »Laß sie gehen!« sagte ein zweiter Mann, der im gleichen Moment aus einem Zelt kam. Auch er trug etwas über der Schulter. »Du siehst doch, es ist eine Sklavin, die zu ihrem Herrn zurückkehrt.« Ich eilte weiter. In der Dunkelheit war den beiden nicht aufgefallen, daß ich kein Brandzeichen und keinen Sklavenkragen trug.

Ich verharrte im Schatten eines Zeltes. Ich wußte nicht mehr, was ich tun sollte. Ringsum schien das Lager zum Leben zu erwachen.

»Ena!« rief ein Mädchen und lief los, um ein anderes einzuholen. Ich folgte den beiden unauffällig, die möglicherweise zu den Sklavengehegen unterwegs waren. Schließlich umging ich eine große Kochanlage. Hier roch es nach frisch gebackenem Brot und nach gebratenen Eiern und geröstetem Fleisch. Mit wachen Sinnen schlich ich zwischen Zelten hindurch und kroch manchmal auf Händen und Knien weiter.

Noch war es ziemlich dunkel. Hier und dort brannten erste Morgenfeuer. Die Monde waren untergegangen.

Entsetzt schrie ich auf. Ein fauchender Sleen sprang mich an, wurde aber von seiner Kette in Schach gehalten.

Ich setzte meinen Weg fort, durch schmale Täler zwischen Bergen von Säcken, durch Schluchten, die sich zwischen hoch aufgestapelten Kisten gebildet hatten.

Dann befand ich mich plötzlich in einer Sackgasse, die an einer steilen Kistenwand endete. Auch der nächste Durchgang war versperrt, und plötzlich ging mir auf, daß ich die Orientierung verloren hatte. Zwischen den Kisten gab es ab und zu schmale Spalten. Ich wußte nicht, wo ein Gang verlief oder wo lediglich einige Kisten fortgenommen worden waren. Mit der Faust hämmerte ich gegen einen Holzverschlag.

Plötzlich hörte ich keine zweihundert Meter entfernt einen Tarn schreien.

Gleichzeitig entdeckte ich weiter hinten eine Laterne, die sich langsam näherte.

Ich huschte durch eine Öffnung, erreichte eine Barriere aus Kisten und kauerte mich in ihrer Deckung nieder.

Der Lampenschein fiel auf die Kisten vor mir, zwei Männer leuchteten den Gang aus, den ich eben verlassen hatte.

»Sie ist hier entlang gelaufen«, sagte eine Stimme.

Dann gingen die beiden Männer weiter. Hastige Schritte waren zu hören. »Gleich haben wir dich, Tula, du kleiner Sleen!«

Bedrückt blickte ich zum Himmel auf. Der Himmel wurde langsam grau. Wahrscheinlich würde man den Käfig schon in wenigen Minuten herunterlassen und mein Fehlen bemerken.

Daraufhin würde man zweifellos das ganze Lager Zoll für Zoll durchkämmen, eine Suche, der ich nicht entrinnen konnte.

Meine Flucht war mißglückt.

Ich wartete noch eine Weile, ehe ich mich aus meiner Deckung wagte. In die Richtung gehend, in die die Männer verschwunden waren, erreichte ich eine Öffnung zwischen den Kisten und sah nun endlich einen Ausweg aus dem Labyrinth des Lagerplatzes.

Vor mir standen zahlreiche Wagen, es roch nach Tharlarion und Stroh. Hastig huschte ich über den Stall- und Wagenplatz.

Dann hielt ich erstaunt inne. Der mächtige Schrei eines Tarn ließ die Luft erbeben.

Im Schutz eines Wagens ging ich auf Hände und Knie nieder. Auf der anderen Seite des Fahrzeugs gingen zwei Männer vorbei. Ich erhob mich wieder und lief, so schnell ich konnte, in die Richtung, aus der ich den Vogelschrei vernommen hatte. Ich blieb stehen, als dicht vor mir ein Tarn in die Luft aufstieg, unter sich an langen Seilen einen Tarnkorb. Ich streckte die Hände aus. Vor mir schien eine Art Plattform zu liegen. Sie mußte fünfzig Meter lang sein. Auf ihr schienen zwei breite Lederschienen eine Art Gleitspur zu bilden. Auf diesen Führungen lagen vier oder fünf Tarnkörbe. Ich hörte peitschenden Flügelschlag und duckte mich neben der Plattform nieder. Ein Tarnreiter landete seinen Vogel auf der Plattform. Männer erwarteten ihn bereits, ein Bursche mit Schreibbrett und Papieren und zwei andere, die ihm zu assistieren schienen. Der vorderste Tarnkorb wurde mit Leinen an dem gelandeten Tarn festgemacht. Ich kroch vorwärts, und während die Männer sich um den Tarn kümmerten, der hin und her trippelte und ab und zu die Flügel auf und nieder schlug, kroch ich in den letzten Korb. Im Korb fand ich eine Decke, mit der vermutlich eine ins Lager transportierte Last zugedeckt worden war. Ich zog die Decke über mich und verharrte reglos unten in dem Behältnis.

Es wurde bereits heller, und meine Angst nahm immer mehr zu. Ich beurteilte meine Fluchtchancen schlecht, wußte aber nicht, was ich anderes hätte unternehmen sollen.

Eine ganze Ahn schien zu vergehen. Das rauhe Geflecht des Korbes preßte sich in meine Haut. Trotzdem bewegte ich mich nicht. Schließlich landeten andere Tarns auf der Plattform. Vor mir liegende Körbe wurden in die Lüfte gerissen. Ich hatte schließlich den Eindruck, daß nur noch mein Behältnis auf der Plattform lag.

»Und wo ist Venaticus?« fragte ein Mann.

»Er dürfte seinen Rausch ausschlafen«, antwortete eine Stimme.

»Vermutlich hat er sich in die Kette irgendeiner Sklavin verstrickt und kommt nicht los!« lachte ein dritter.

Plötzlich brausten Flügel durch die Luft, und spitze Tarnkrallen knallten auf die Plattform. Beinahe sofort machten sich Männer an meinem Korb zu schaffen. Leinen wurden daran festgemacht und straffgezogen, und der Korb begann sich zu bewegen. Durch den Spalt zwischen zwei Deckenfalten vermochte ich auf einen Riß im Korbgeflecht zu schauen. Mit zwei Fingern zog ich die Decke enger zusammen.

»Dein Gesicht ist mit Lippenstift verschmiert«, sagte ein Mann, »und du riechst nach Sklavinnen und Paga.«

»Darauf weiß ich keine Erklärung«, sagte ein Mann und tat ratlos. »Dabei habe ich die ganze Nacht gemütlich im Zelt der Frachtreiter geschlafen.«

»Die Firma wird nicht gerade erfreut sein«, sagte ein Mann. »Wenn du letzte Nacht auch nur ein Auge zugemacht hast, will ich eine purpurne Urt sein!«

»Dann ist es ja gut für dich, daß ich wirklich kaum zum Schlafen gekommen bin.«

»Kannst du denn überhaupt fliegen?«

»Ich werde im Sattel schlafen«, sagte der Mann.

»Du hast einen langen Flug vor dir, in mehreren Etappen«, gab ein anderer zu bedenken.

»Na, dann werde ich ja gut ausgeruht sein, wenn ich endlich in Ar eintreffe«, sagte der Neuankömmling.

»Was ist das für ein Geräusch?« fragte jemand.

»Klingt wie eine Alarmstange im südlichen Teil des Lagers.«

»Was da wohl nicht stimmt?«

»Werde ich in Ar Bemus oder Torquatus wiedersehen?« fragte der Neuankömmling.

»Nein, du bist heute früh der einzige Reiter, der nach Ar fliegt«, antwortete ein Mann. »Bemus muß in Lydius Fracht abholen, Torquatus in Bazi.«

»Bestimmt ist das ein Alarm.«

»Ich höre schon ein zweites Signal.«

»Was mag da los sein?« fragte der Neuankömmling.

»Wir treffen uns dann in zehn Tagen am Südufer des Issus«, sagte eine Stimme. »Du bringst eine neue Sendung Ka-la-na für die Offiziere.«

»Ich wüßte gern, was da los ist«, sagte der Neuankömmling.

»Ob das Lager angegriffen wird?« fragte jemand.

»Nein.«

»Wahrscheinlich ein Feuer.«

»Aber ich sehe keinen Rauch.«

»Vielleicht ist Lady Sheila entflohen«, sagte ein Mann leichthin.

Gelächter antwortete ihm.

»Wahrscheinlich gibt’s einen Streit wegen einer Sklavin oder eines Spiels.«

»Das muß ich mir ansehen!« sagte der zuletzt gekommene Mann.

»In den Sattel mit dir!« rief ein anderer.

»Es muß etwas anderes sein; wegen eines Streits würde man nicht das ganze Lager alarmieren. Hört doch, wie viele Alarmstangen da schon zu hören sind!«

»Wahrscheinlich eine Übung.«

»Das ist es«, sagte jemand. »Es muß eine Übung sein.«

Plötzlich war fauchender Flügelschlag zu hören. Und schon wurde der Korb losgezerrt, glitt über die Lederbahnen und schwang sich wie die anderen hoch in die Luft. Im ersten Moment verschlug es mir den Atem. Durch die Spalten zwischen dem Korbgeflecht konnte ich den Boden unter mir hinwegsinken sehen. Verzweifelt hielt ich die Decke fest, die im Wind zu flattern begann. Die Leinen und der Korb knirschten. Der Reiter ließ seinen Tarn einmal über dem Lager kreisen, wohl um seine Neugier zu befriedigen. Aus der Luft konnte er aber nicht viel entdecken. Unter mir kamen Männer aus den Zelten, doch an ihrem Verhalten war sicher nicht abzulesen, was dort unten geschah. Jedenfalls schien das Lager nicht angegriffen zu werden. Vielleicht wurden nur die Mannschaften der Alarmstellen überprüft. Schließlich zog mein Reiter den Tarn herum und nahm Kurs nach Nordwesten. Ich lag unten im Korb. Ich zog die Beine an und legte die Decke enger um mich. Ich fror. Das Gellen des Alarms war leiser geworden und verstummte nach kurzer Zeit ganz.