»Ist der Kasten leer?«
»Ja«, antwortete er.
»Soll ich ihn für Sie aufbewahren?«
»Nein. Wir haben den Kasten nicht mitgebracht, um etwas in die Wohnung zu liefern«, sagte der Mann, »sondern um etwas herauszuholen.«
»Aber ich habe hier keine Wertgegenstände«, sagte ich. »Jedenfalls nichts wirklich Wertvolles.«
In diesem Augenblick sah ich, wie einer der Männer einen kräftigen, schweren Stahl-Armreif aus der rechten Jackentasche nahm. Eine dünne Kette war daran befestigt. Drohend näherte er sich.
Mir kam der Gedanke, daß wir heute Dienstag hatten. Morgen war Mittwoch, mein freier Tag im Kaufhaus. Man würde mich erst Donnerstag vermissen.
3
Es war warm im Zimmer.
Ich schien einen faulen Morgen vor mir zu haben.
Meine Finger tasteten über die rote Seidendecke. Ich lag bäuchlings auf der weichen weiten Fläche. Ich versuchte meine Gedanken zu sammeln. Ein wenig berührte ich meinen Körper und fühlte, wie sich die Seide darunter bewegte. Ich war nackt. Warme Luft umspielte mich.
Ich erinnerte mich an die Männer, die Fesseln, den Kasten, in den ich gesteckt worden war.
Ich fuhr herum und sprang auf Hände und Knie. Ich befand mich auf einer riesigen Bettstatt. Sie war rund und maß etwa fünfzehn Fuß im Durchmesser. Die Matratze war so weich, daß ich halb darin versank. Einen solchen Luxus hatte ich noch nicht erlebt. Zu meiner Erleichterung konnte ich feststellen, daß ich allein war. Es war ein großes und bunt ausgestaltetes Zimmer. Blanke scharlachrote Fliesen bedeckten den Boden. Die Wände waren ebenfalls gekachelt und wiesen kühne, wirbelnde Muster auf, die aus gelben und schwarzen Fliesen gebildet wurden. An einer Stelle lag ein riesiges rotes Fell auf dem Boden. Vor einigen Wänden standen große schwere Truhen, die sich nach oben öffnen ließen. Hier und dort hingen auch Spiegel; einer erhob sich hinter einer Art Schminktisch. Dicht neben der Couch stand ein niedriger kleiner Tisch. Kissen lagen auf dem Boden, vorwiegend an den Wänden. Auf einer Seite des Zimmers senkte sich der Boden zu einem eingelassenen Becken. Es enthielt allerdings kein Wasser. Ich entdeckte mich in einem der Spiegel, auf dem großen Bett hockend, und wandte hastig den Blick ab. Eine Art Schiebetür schien den Raum abzuschließen. Rechts von mir befand sich mehrere Fuß entfernt eine schwere Holztür, die sehr dick zu sein schien. Schlösser oder Riegel oder Ketten waren nicht zu sehen; somit schien es keine Möglichkeit zu geben, die Tür von meiner Seite zu schließen. Vielleicht war sie von außen verriegelt, doch von innen konnte ich sie offenkundig nicht versperren. Am Fußende des Bettes gewahrte ich einen schweren Ring, der in den Boden eingelassen war; unter dem Metall war eine dünne Kette aufgehäuft.
Angstvoll kletterte ich von dem Bett, das so weich war, daß ich zunächst kaum von der Stelle kam. Dann spürte ich die glatte Kühle der roten Fliesen unter den Füßen, als ich zum Fenster hastete, das schmal war, nur etwa fünfzehn Zoll breit. Dicke Eisenstäbe versperrten es, etwa drei Zoll voneinander entfernt, verstärkt mit dicken, flachen Stahl-Querstreben, die jeweils etwa einen Fuß Zwischenraum ließen. Ich rüttelte an den Stäben, die sich aber nicht bewegten, sondern mir an den Händen wehtaten. Einen Augenblick lang verharrte ich am Fenster, und der Schatten des Gitters fiel mir auf Gesicht und Körper. Dann huschte ich zurück zum Bett und kroch ängstlich auf die Matratze.
Dieser Ort schien mir erschreckend andersartig zu sein, fast als befände ich mich nicht mehr auf der Erde. Ich leitete dies weniger von der Beschaffenheit und Ausgestaltung des Zimmers her als von solchen Dingen wie dem Zustand meines Körpers und der Eigenart der Luft, die ich einatmete. Vermutlich spürte ich hier die Nachwirkung der Substanz, mit der man mich betäubt hatte. Sogar die Schwerkraft schien unmerklich anders zu sein als die der Erde. Außerdem fühlte ich mich am ganzen Körper ungemein lebendig, förmlich aufgeladen mit Sauerstoff. Die Luft war erfrischend, anregend. Diese Dinge, die mir objektive Bestandteile meiner Umgebung zu sein schienen, waren zweifellos nur subjektive Illusionen, die sich von dem Betäubungsmittel herleiteten. Sie mußten es sein. Die Alternative wäre zu unvorstellbar, zu absurd. Ich hoffte nur, daß ich nicht den Verstand verloren hatte.
Auf der Bettkante sitzend, stützte ich das Kinn auf die Knie. Ich spürte großen Hunger.
Ein Umstand allerdings machte mir klar, daß ich noch nicht verrückt geworden war, eine Einzelheit, die bei diesem scheinbar unerklärlichen Umweltwechsel einen gemeinsamen Faktor darstellte: Die stählerne Fußfessel, die ich trug, war mir in meiner eigenen Küche angelegt worden. Sie zierte mein Bein noch immer.
Ich blickte zu einem der Spiegel hinüber. Wie ich so auf dem großen Bett saß, wirkte ich sehr klein. Ich war nackt. Ich fragte mich, wessen Bett ich hier belegte.
Dann hörte ich ein Geräusch an der Tür.
Entsetzt kniete ich mich auf das Bett und zerrte einen Teil des Lakens hoch, das ich schützend vor mich hielt.
Die Tür öffnete sich, und eine kleine, dunkelhaarige hübsche Frau trat ein. Sie trug eine kurze weißliche, mit Blumenmustern bedeckte, sommerlich dünne Tunika, die beinahe durchscheinend war und einen weiten Ausschnitt besaß. An der Hüfte wurde das weite Gewand von einer schmalen Seidenschnur zusammengehalten. Sie war barfuß. Sie trug keine Fußfessel, doch hatte sie etwas am Hals, etwas Enges, das unter gelbem Seidenstoff steckte. Ich wußte nicht, worum es sich handelte. Mir fiel auf, daß die Tür, die sich hinter ihr schloß, etwa sechs Zoll dick war.
»Oh!« sagte das Mädchen leise bei meinem Anblick und kniete nieder. Sie neigte kurz den Kopf und hob ihn wieder. »Verzeih mir, Herrin!« sagte sie. »Ich wußte nicht, ob du schon wach bist. Nur deshalb habe ich nicht geklopft – um dich nicht zu stören.«
»Was willst du?« fragte ich.
»Ich bin gekommen, um die Herrin zu bedienen«, antwortete sie. »Ich wollte schauen, ob die Herrin irgend etwas braucht.«
»Wer bist du?«
»Susan«, antwortete sie.
»Susan wer?« fragte ich.
»Nur Susan.«
»Ich verstehe das nicht.«
»So werde ich genannt.«
»Ich heiße Tiffany«, sagte ich »Tiffany Collins.«
»Ja, Herrin«, antwortete sie.
»Wo bin ich?«
»In der Stadt Corcyrus.«
Von dieser Stadt hatte ich noch nie gehört. Ich wußte nicht einmal, in welchem Land sie sich befand, auf welchem Kontinent.
»In welchem Land?«
»Im Lande Corcyrus«, antwortete das Mädchen.
»Aber wo liegt Corcyrus?« wollte ich wissen.
»Hier«, antwortete sie ratlos. »Wir befinden uns in Corcyrus.«
»Wie ich sehe, will man mich unwissend lassen«, sagte ich zornig und raffte mir das Laken um den Hals.
»Corcyrus«, erklärte das Mädchen, »liegt südlich des Vosk und westlich der Stadt Ar. Seine Position ist etwa nordöstlich von Argentum.«
»Wo liegt New York City?« fragte ich. »Wo die Vereinigten Staaten?«
»Die gibt es hier nicht, Herrin«, antwortete das Mädchen lächelnd.
»Wo ist der Ozean?«
»Der befindet sich gut tausend Pasang weiter westlich, Herrin«, kam die Antwort.
»Wäre das der Atlantik oder der Pazifik?«
»Nein, Herrin.«
»Etwa der Indische Ozean?«
»Nein, Herrin.«
Ich musterte sie verwirrt.
»Es handelt sich um Thassa, das Meer, Herrin«, erklärte das Mädchen.
»Was für ein Meer soll das sein?« fragte ich.
»So nennen wir das Meer«, sagte das Mädchen. »Thassa.«
»Oh«, sagte ich verbittert.
»Soll ich der Herrin ein Bad bereiten?« fragte das Mädchen.
»Nein«, antwortete ich, »ich bin sauber. Und parfümiert hat man mich auch, nicht wahr?«
»Ja, Herrin«, sagte das Mädchen.
Ich zog das Laken noch ein Stück höher und spürte den weichen, angenehmen Stoff an meinem nackten, parfümierten Körper. Das Parfüm hatte einen exquisiten femininen Duft.
»Bin ich noch Jungfrau?« fragte ich.
»Ich nehme es an«, erwiderte das Mädchen. »Genau weiß ich es nicht.«