Applaus brandete auf.
»Ich rufe eine alte Zeugin noch einmal auf«, fuhr Miles fort, »meine Sklavin Susan.«
»Herr?« fragte sie schüchtern.
»Ich frage dich jetzt nach deiner Meinung, Susan. War die Sklavin mit dem kurzgeschnittenen Haar, die deine Herrin war, der Ansicht, sie sei Sheila, Tatrix von Corcyrus?«
»Ja, Herr«, flüsterte Susan mit gesenktem Blick.
Auch ich ließ den Kopf hängen. Ich hatte mich wirklich für Sheila gehalten. Noch jetzt war ich noch im Zwiespalt. Auf einer Weise war ich Sheila, die in Corcyrus Tatrix gewesen war. In Wirklichkeit war ich wohl eine von zwei Sheilas gewesen, die, jede auf ihre Weise, dort als Tatrix gewirkt hatten. Natürlich war mir bekannt, daß ich nicht die echte Sheila, oder zumindest die wichtige Sheila war, die Sheila, für die sich diese Männer besonders interessierten. Auf meine Weise war auch ich von Ligurious zum Narren gehalten worden.
»Sie selbst«, sagte Miles aus Argentum, »sah sich als Tatrix von Corcyrus an. Sie akzeptierte sich selbst in dieser Rolle! Sie leugnete es nicht. Warum nicht? Weil sie genau das war!«
»Nein!« rief Drusus Rencius.
»Warum glaubst du, daß sie nicht die Tatrix von Corcyrus war?« fragte Miles.
»Ich weiß es nicht!« rief Drusus Rencius. »Ich weiß es nicht!«
»Ich bitte dich, Hauptmann!« sagte Miles herablassend.
»Ich kenne sie«, sagte Drusus Rencius zornig. »Ich kenne sie seit Corcyrus. Sie ist hübsch, sie gehört in einen Sklavenkragen, doch sie ist nicht der Typ Frau, die Untaten begehen konnte, wie sie die Tatrix von Corcyrus angeordnet hat. Das steckt einfach nicht in ihr!«
»Hat sich der gute Hauptmann aus Ar vielleicht von den Blicken einer Frau weichkriegen lassen?« fragte Miles.
»Nein!«
»Sie hat dich schwach werden lassen!« behauptete Miles.
»Nein!« rief Drusus Rencius.
Ich schaute ihn an. Ich war eine nackte Sklavin und kniete in Ketten vor ihm. Wie könnte ich einen solchen Mann schwach werden lassen?
»Die Beweise sind deutlich«, sagte Miles aus Argentum zum Ubar Claudius und zu den Mitgliedern des Hohen Rates und zu den anderen Anwesenden. »Mein Fall ist damit abgeschlossen.« Er deutete auf mich. »Dort die Frau, die Tatrix von Corcyrus war!«
Er erhielt viel Beifall. Drusus Rencius wandte sich zornig ab. Mit geballten Fäusten blieb er stehen.
»Das ist aber nicht das Mädchen, das die Sleen bestimmt haben«, sagte Hassan.
Drusus Rencius fuhr herum. »Richtig!« rief er.
»Darf ich sprechen?« fragte Ligurious.
»Ja«, sagte Claudius.
»In bezug auf die Sleen habe ich mit Problemen gerechnet«, begann er. »Zunächst müssen wir uns klarmachen, daß die Sleen lediglich einem Duft folgen. Eine Fährte erkennen sie natürlich, doch wissen sie formell oder legal gesehen nicht, wem sie folgen. Zum Beispiel erkennt ein Tier den Geruch seines Herrn, weiß aber nicht, ob dieser Herr ein Bauer oder ein Ubar ist. Wenn wir nun einen Sleen nach einer Tatrix suchen lassen, fordern wir den Sleen nicht auf, dies zu tun. Vielmehr geben wir ihm etwas, das angeblich den Duft der Tatrix enthält, und schon folgt der Sleen diesem Duft – es könnte sich genausogut um den Duft eines wilden Tarsk oder eines gelben Tabuk handeln. Entscheidend ist also die Frage, ob der Sleen auf die richtige Fähre gesetzt wird oder nicht. Fünfzehnhundert Goldstücke Belohnung sind eine große Summe. Wo es immerhin um soviel Geld geht – könnte man sich da nicht vorstellen, daß eine Frau, die der Tatrix so sehr ähnelt wie diese Frau, als Opfer erwählt wird, um das Ergebnis der Jagd betrügerisch zu fälschen? Das wäre ganz einfach: Ein Stück Kleidung würde genügen, ein Stück Bettlaken, sogar der Duft eines Fußabdrucks. Dann wird die unschuldige Frau gefangen und später an einem Ort wie diesem präsentiert, um die Belohnung einzukassieren.«
Claudius, Ubar von Argentum, wandte sich an Hassan. »Hier wird deine Integrität als Jäger angegriffen«, sagte er. Alle Blicke ruhten auf Hassan.
»Ich bin in solchen Dingen nicht empfindlich«, sagte Hassan, »denn ich bin kein Krieger, sondern Geschäftsmann. Ich gestehe Claudius und dem Hohen Rat das Recht zu, sich in dieser Frage Gewißheit verschaffen zu wollen. Es ist sogar ihre Pflicht, Argentum vor Betrügern zu schützen. Vieles von dem, was Ligurious hier vorgetragen hat, stimmt, zum Beispiel seine Angaben über die Sleen und ihren Einsatz und die Grenzen ihrer Fähigkeiten. Solche Tatsachen sind allgemein bekannt. Der entscheidende Punkt ist die Echtheit der Gegenstände, die dazu verwendet wurden, den Tieren die Fährte schmackhaft zu machen. In Corcyrus erhielt ich vom Administrator der Stadt, Menicius, Kleidung, die von der Tatrix getragen worden war. Ich teilte diese Kleidung in zwei Bündel auf und ließ jedes mit dem Siegel Corcyrus’ verschließen. Dazu erhielt ich einen Bestätigungsbrief, unterzeichnet von Menicius und ebenfalls mit dem Siegel von Corcyrus versehen. Eines dieser Bündel öffnete ich in Ar und verwendete es, um die frühere Tatrix von Corcyrus aufzuspüren und festzusetzen.«
»Die Frau, von der du behauptest, daß sie die frühere Tatrix ist«, sagte Ligurious.
»Ja«, sagte Hassan.
»Besitzt du noch das zweite ungeöffnete Bündel und den Brief von Menicius, Administrator von Corcyrus?« fragte Claudius.
»Ich rechnete damit, daß diese Dinge wichtig werden könnten«, antwortete Hassan. »Ja.«
Hassan war wirklich ein echter Profi. Den Namen »Menicius« hatte ich schon einmal irgendwo gehört, wußte ihn aber nicht unterzubringen. Sein Träger war offenbar zum Administrator der Stadt Corcyrus ernannt worden.
Claudius blickte Hassan an.
»Ich hole die Sachen«, sagte der Sklavenjäger und stand auf.
»Auch ich besitze Kleidung aus Corcyrus«, fiel Ligurious ein. »Bei diesen Sachen handelt es sich aber um authentische Stücke, die tatsächlich von der Tatrix von Corcyrus getragen wurden.«
»Bitte sei so nett, diese Sachen als Beweise vorzulegen«, sagte Claudius.
»Ich bin gleich zurück«, erwiderte Ligurious.
»Bringt Wach-Sleen und Fleisch«, ordnete Claudius an, und einer der Wächter verließ den Saal.
Kurze Zeit später waren Hassan und Ligurious zurückgekehrt. Zwei Sleen, jeweils von zwei Mann gehalten, wurden in den Saal geführt. Die Bankettsklavinnen und Tänzerinnen drückten sich eingeschüchtert an die Wände. Solche Tiere sind es gewöhnt, Sklaven zu verfolgen.
Auch ich kauerte mich angstvoll zusammen. Auch ich war Sklavin.
»Wie du siehst«, sagte Hassan zu Claudius und dem Hohen Rat, »ist das Siegel an diesem Bündel intakt. Hier ist überdies der Brief von Menicius.«
Der Brief wurde untersucht. Claudius erbrach persönlich das Siegel des Bündels und reichte einem der Sleenwächter die Sachen. Ein Soldat hockte sich hinter mir nieder und hielt mich an den Oberarmen fest. Ein anderer kümmerte sich links von mir auf gleiche Weise um Sheila. Wir durften uns nicht von der Stelle rühren.
Einer der Wächter hielt einem Sleen die Kleidung unter die Schnauze. Dann wurden Signale gegeben, wie sie zwischen Wärter und Tier für gewisse Grundkommandos eingeübt wurden. Das Tier machte plötzlich einen Satz auf uns zu. Sheila und ich schrien auf und warfen uns zurück. Ich spürte förmlich, wie der Körper des Ungeheuers, sein öliges Fell, die Muskeln und Rippen darunter, an mir vorbeistrich bei dem Versuch, sich auf Sheila zu stürzen. Sheila versuchte sich rückwärts zu werfen, wurde aber festgehalten. Sie schloß die Augen und warf schluchzend den Kopf zurück. Der aufgeregte Sleen versuchte an Sheila heranzukommen. Seine Klauen kratzten und scharrten über die Fliesen. Mit funkelnden Augen schnappte er nach dem Mädchen.
Ein Kommando wurde gesprochen, und der Sleen zog sich zurück. Jemand warf ihm ein Fleischstück hin. Sheila starrte das Tier mit glasigem Blick an.
»Die Kleidung, mit der der Sleen auf das Mädchen zur Rechten angesetzt wurde, kann natürlich jederzeit mit ihrem Duft geimpft worden sein«, sagte Ligurious. »Zum Beispiel könnte man sie ihr eine Nacht lang in den Sklavensack gesteckt haben, als sie nach Argentum gebracht wurde. Hier aber habe ich Kleidung unter einem Siegel, das ich nun aufbreche, die in Wirklichkeit der früheren Tatrix von Corcyrus gehört. Seht ihr? Schon windet sie sich vor Unbehagen. Sie weiß genau, daß sie durch diese Kleidung unwiderruflich als frühere echte Tatrix von Corcyrus entlarvt werden wird.«