Bekümmert starrte ich auf die schwere Tür, die hinter ihr aufragte. Ich hatte keine Ahnung, wer durch die Tür hereinmarschieren und Ansprüche an mich stellen könnte.
»In wessen Bett liege ich hier?« fragte ich.
»In deinem eigenen, Herrin«, antwortete sie.
»Wessen Zimmer ist dies?«
»Das deine, Herrin.«
»Das Fenster ist vergittert.«
»Das Gitter ist zu deinem Schutz, Herrin«, erwiderte das Mädchen. »Solche Stäbe sind in Corcyrus in Frauengemächern nicht unüblich.«
Ich betrachtete das Mädchen im Licht. Ihr Gewand war beinahe durchsichtig. Es machte keine Mühe, die Umrisse ihres Körpers darunter auszumachen. Auf eine Weise war es unterwürfig und zurückhaltend, zugleich aber sehr provokativ. Eine Frau in einem solchen Gewand zu sehen, konnte einem Mann schon den Verstand rauben. Ich überlegte, was sich hinter dem Seidenschutz an ihrem Hals verbergen mochte.
»Weshalb wurde ich hierhergebracht?« wollte ich wissen. »Was mache ich hier?«
»Das weiß ich nicht, Herrin«, erwiderte das Mädchen. »In solchen Dingen informiert man mich nicht.«
»Oh.« Ihre Antwort hatte ich nicht ganz verstanden.
»Hat die Herrin Hunger?« fragte sie.
»Ja«, antwortete ich. Mein Magen hatte zu knurren begonnen.
Lächelnd richtete sich das Mädchen auf und verließ das Zimmer.
Ich stieg vom Bett und stand nun wieder neben der Lagerstatt auf den Fliesen, das Laken wie einen großen Mantel mitziehend und um mich raffend. Die Fliesen fühlten sich angenehm kühl an, während das Wetter ansonsten warm und sogar schwül zu sein schien. Ich fragte mich, ob ich in Afrika oder Asien wäre. Mein Blick fiel auf die Tür dicht vor mir. Es gab auf meiner Seite zwar einen Griff, doch keine Verriegelungsmöglichkeit.
Ich vernahm ein Geräusch und trat zurück.
Die Tür ging auf, und das Mädchen trat lächelnd ein. In der Hand hielt sie ein Tablett.
»Die Herrin ist aufgestanden«, sagte sie. Dann stellte sie das Tablett auf dem kleinen Tisch ab. Sie arrangierte die auf dem Tablett befindlichen Dinge und zog dann ein Kissen zurecht und stellte es neben dem Tisch auf. Das Tablett enthielt einen Teller Obst, keilförmige gelbe Brotstücke und eine Schale mit einer heißen schwarzbraunen Flüssigkeit, die mit vielen Zutaten angereichert zu sein schien.
»Ich möchte der Herrin die Decke abnehmen«, sagte sie und kam auf mich zu.
Ich wich erschrocken zurück.
»Es ist dafür zu warm«, sagte sie lächelnd und hob den Arm.
Wieder machte ich einen Schritt rückwärts.
»Ich habe die Herrin schon sehr oft gewaschen«, sagte sie. »Die Herrin ist sehr schön. Bitte!«
Ich ließ das Laken bis zur Hüfte hinabgleiten. Der bewundernde Ausdruck im Blick des Mädchens war eindeutig. Ich freute mich darüber und ließ mir das Laken ganz abnehmen. »Ja«, sagte sie, »die Herrin ist sehr schön.«
»Vielen Dank«, erwiderte ich.
Sie faltete das Laken zurück und legte es wieder auf die große Couch.
»Susan«, sagte ich. »Das ist dein Name?«
»Ja«, antwortete das Mädchen lächelnd.
»Was sind das für Ringe und Ketten?« fragte ich und deutete auf die Gebilde am Fuße des Bettes und an einer Wand.
»Sklavenringe, Herrin.«
»Und was für einen Zweck erfüllen sie?«
»Sklaven werden daran festgemacht.«
»Es gibt hier also Sklaven?« fragte ich. Dieser Gedanke beunruhigte mich. Zugleich erregte er mich auf das höchste. Mir zuckte die Frage durch den Kopf, wie es sein würde, wenn ich selbst Sklavin wäre. Ein Schauder lief mir über die Haut, und ich bekam im ersten Moment kein Wort heraus.
»Es gibt hier echte Männer«, sagte das Mädchen.
»Oh«, erwiderte ich und fragte: »Gibt es hier wirklich Sklaven?«
»Ja, Herrin«, antwortete sie. »Hier und überall.«
Ich wußte nicht, was sie mit ›überall‹ meinte.
Ich spürte den warmen Lufthauch an meinem Körper und roch das feminine Parfüm, das man mir angelegt hatte.
»Du bist sehr hübsch, Susan«, sagte ich und schaute dem Mädchen nach, das begonnen hatte aufzuräumen.
»Die Herrin muß hungrig sein«, sagte sie.
Das Licht des vergitterten Fensters traf sie von hinten. Die Schatten der Stäbe lagen auch auf dem breiten Bett.
Ich machte kehrt und begab mich zu dem niedrigen Tisch, auf dem das Tablett mich erwartete.
»Wir haben gar keine Stühle«, sagte ich.
»In Corcyrus gibt es nur wenige Stühle«, antwortete das Mädchen.
Ich wandte mich zu ihr um, gepeinigt von einer qualvollen Angst. Dieser neue, unbekannte Ort erschreckte mich.
»Verzeih mir«, sagte ich zu dem Mädchen, »aber natürlich mußte mir deine Kleidung auffallen. Sie überläßt sehr wenig der Phantasie.«
»Zweifellos ist das genau die Absicht, die damit verfolgt wird, Herrin«, erwiderte das Mädchen.
Plötzlich fühlte ich mich schwach.
»Herrin?« fragte das Mädchen besorgt.
»Schon gut«, erwiderte ich.
»Ja, Herrin«, antwortete sie erleichtert. Und langsam ging ich um Susan herum. Sie blieb starr stehen und hatte den Kopf erhoben. Ihre Figur war hübsch.
»Du hast da etwas am linken Bein«, sagte ich, »oben am Schenkel.« Ich bemerkte die Verfärbung durch den weißen, halb durchsichtigen Stoff ihrer Tunika.
»Ja, Herrin«, sagte sie. »Es ist üblich, daß Mädchen wie ich gebrandmarkt werden.«
»Gebrandmarkt?« fragte ich.
»Ja, Herrin«, sagte sie und zog den Rock der Tunika hoch und zeigte mir ein anmutig geschwungenes Symbol, das beinahe wie eine Blume aussah.
»Das ist mein Brandzeichen«, verkündete sie.
Ich hielt die Luft an.
»Es wurde mir vor zwei Jahren mit einem glühenden Eisen in Cos verpaßt.«
»Schrecklich«, flüsterte ich.
»Mädchen wie ich müssen damit rechnen, gebrandet zu werden«, fuhr sie fort. »Das entspricht den Empfehlungen des Handelsgesetzes.«
»Handelsgesetz?« fragte ich.
»Ja, Herrin.«
»Es tut doch nicht mehr weh, oder?« fragte ich.
»Nein, Herrin.«
Vorsichtig streckte ich die Hand aus und berührte den Gegenstand an ihrem Hals. Unter dem weichen Seidenschutz spürte ich harten Stahl.
»Das ist mein Sklavenkragen, Herrin«, sagte Susan.
»Würdest du ihn mal für mich abnehmen, damit ich ihn mir näher anschauen kann?«
Sie lachte fröhlich. »Verzeih mir, Herrin, aber den Kragen kann ich nicht abnehmen.«
»Warum nicht?«
»Weil er verschlossen ist«, antwortete sie lachend und drehte sich um. »Siehst du?«
Mit zitternden Fingern schob ich die beiden Enden des seidenen Futterals zur Seite und entdeckte unter ihrem Haar, in ihrem Nacken den Verschluß des Stahlbandes, das um ihren Hals verlief: ein widerstandsfähiges kleines Schloß. Ich sah sogar ein kleines Schlüsselloch.
»Du hast den Schlüssel nicht?« fragte ich.
»Nein, Herrin«, antwortete sie lachend. »Natürlich nicht.«
Ich erschauderte. »Darf ich dir eine intime Frage stellen, Susan?«
»Natürlich, Herrin«, sagte sie.
»Bist du noch Jungfrau?«
Das Mädchen lachte wieder. »Nein, Herrin, ich wurde den Herren schon vor langer Zeit für ihr Vergnügen zugänglich gemacht.«
»Zugänglich gemacht? Für ihr Vergnügen?«
»Ja, natürlich.«
»Du hast mich ›Herrin‹ genannt. Warum?«
»So reden Mädchen wie ich freie Frauen an«, lautete die Antwort.
»Was für ein Mädchen bis du denn?«
»Ein braves Mädchen, hoffe ich«, erwiderte sie. »Ich werde versuchen, dir gut zu dienen.«
»Bist du Sklavin?« flüsterte ich.
»Ja, Herrin«, entgegnete sie.
Ich trat einen Schritt zurück. Ich hatte versucht, mich dieser Erkenntnis zu widersetzen. Immer wieder hatte ich mir eingeredet, daß das nicht sein konnte, daß es nicht sein durfte. Doch wie einfach, wie offenkundigere plausibel war eine solche Erklärung für alles, das mich verwirrt hatte: für die Kleidung des Mädchens, für das Zeichen an ihrem Bein, für den Kragen, der ihren Hals umschloß.
»Ich bin Sklavin Ligurious’, des ersten Ministers von Corcyrus«, sagte sie, schob den Kragenschutz weiter zurück und zeigte mir mit tastenden Fingern einige Zeichen an dem Stahlband. Symbole waren dort eingraviert. Ich vermochte die Schrift nicht zu lesen. »Diese Information ist dort festgehalten«, erklärte sie und schob den Seidenschutz wieder zurück. »Ich wurde vor beinahe zwei Jahren in den Gehegen des Saphronicus in Cos gekauft.«