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»Wegen des Ärgers mit Argentum ist es gut, wenn du dich vor dem Volk zeigst«, hatte Ligurious gesagt.

»Was haben wir denn für Ärger mit Argentum?« hatte ich gefragt.

»Es ist dort zu Scharmützeln gekommen«, sagte er. »Schau – dort ist die Bibliothek des Anisthenes.«

»Wunderschön«, sagte ich und betrachtete den prächtigen Vorbau, die schmalen, langen Säulen, den hübsch geschwungenen Ziergiebel mit den Friesen.

»Was für Ärger gibt es mit Argentum?« wiederholte ich.

»Dies ist die Prachtstraße des Iphicrates«, sagte er.

Die Menschen links und rechts der Straße zeigten sich nicht überrascht, daß mein Gesicht nicht von Schleiern verdeckt wurde. Vielleicht entsprach es ja tatsächlich einer Tradition, wie Ligurious gesagt hatte, daß die Tatrix sich so vor ihrem Volk zeigte. Jedenfalls schien die Reaktion der Bürger ihn zu bestätigen, was mich doch etwas beruhigte. Allenfalls mochte ihre Reaktion eine Art Respektbezeigung vor meinem Mut sein, mich ohne Schleier zu zeigen.

Einmal kamen wir an fünf knienden Mädchen vorbei, ein andermal an einem Sklavenmarkt, und es machte mir Mühe, die Augen von den Mädchen loszureißen. Ich erbebte innerlich: Ich sah versklavte Frauen, die wie eine Ware zum Verkauf geboten wurden! Was für ein schreckliches Schicksal!

»Heil Sheila, Tatrix von Corcyrus!« riefen Stimmen.

»Das Volk liebt dich«, sagte Ligurious.

Auf dieser Welt, so sagte ich mir, konnte ein Mädchen der Besitz eines Mannes sein, ähnlich wie ein Gegenstand. Ich bekämpfte die Gefühle, die bei diesem Gedanken in mir aufwallten. Vergeblich versuchte ich die Erinnerung an die knienden Sklavinnen zu vertreiben: Ich kam nicht darum herum, daß mich ihr Schicksal erregte. Von Zeit zu Zeit drängte das Volk näher an die Sänfte heran. Wächter, die zu beiden Seiten aufpaßten, schoben sie mit Speerschäften zurück. Inmitten dieser Wächter schritt Drusus Rencius. Er war mir vor einigen Wochen als Leibwächter zugeteilt worden. Soldaten folgten der Sänfte. Einige trugen Leinensäcke über den Schultern und warfen ab und zu Münzen oder Teile von Münzen auf die Straße. Ich hielt das für eine nette Geste. Das Volk balgte sich um die Stücke. Anscheinend hielten sie sie für sehr wertvoll. Ich lächelte und winkte der Menge zu. Ab und zu warf ich auch Drusus Rencius einen Blick zu, der sich jedoch nur für die Menschenmassen interessierte. Äußerlich mochte ich gutgelaunt und charmant wirken; drinnen aber tobten beinahe nicht zu bändigende Gefühle. Auf was für einer Welt befand ich mich hier! Ich hatte es nicht für möglich gehalten, daß eine Frau dermaßen erregt sein konnte. Wieder betrachtete ich Drusus Rencius und die anderen Wächter von Corcyrus und fragte mich, wie es wohl wäre, wenn ich im Besitz eines solchen Mannes stünde. Der Gedanke raubte mir beinahe das Bewußtsein. Zweifellos verstanden sie sich darauf, einer Frau ihre Sklaverei bewußt zu machen.

»Stimmt etwas nicht, meine Tatrix?« fragte Ligurious.

»Nein, nein!« rief ich, mühte mir ein Lächeln ab und winkte wieder. Ich konnte nur hoffen, daß der praktische, strenge Ligurious, erster Minister von Corcyrus, nicht ahnte, wie es um mich bestellt war.

Nach einiger Zeit näherte sich die Prozession wieder dem Palast. Dabei ereignete sich noch ein Zwischenfall, den ich schildern sollte. Plötzlich löste sich ein Mann zornig aus der Menge und lief seitlich auf die Sänfte zu. Drusus Rencius packte ihn und schleuderte ihn zurück. Erschrocken schrie ich auf. Im nächsten Augenblick hatte der Zug angehalten, und der Mann wurde am Boden festgehalten und mit Schwertern bedroht.

»Er ist unbewaffnet«, sagte Drusus Rencius.

»Nieder mit Sheila, die nicht Tatrix von Corcyrus ist, sondern ihre Tyrannin!« brüllte der Mann und schaute zornig zu mir empor.

»Schweig!« rief Ligurious.

»Du wirst für deine Verbrechen, für deine Grausamkeit bezahlen!« rief der Mann. »Nicht ewig werden die Bürger Corcyrus’ die Grausamkeiten des Palasts ertragen!«

»Verrat!« brüllte Ligurious.

Der Mann wurde von einem Speerschaft an der Schläfe getroffen. Ich schrie bekümmert auf.

»Der Mann ist ein Wahnsinniger, der nicht weiß, was er sagt«, wandte sich Ligurious an mich. »Beachte ihn nicht, meine Tatrix.«

Dem Bürger wurden die Hände auf dem Rücken gefesselt.

»Wer bist du?« fragte ich.

»Ein Mann, der sich erhebt gegen die Verbrechen, gegen die Ungerechtigkeit Sheilas, der Tyrannin von Corcyrus!« antwortete er kühn.

»Das ist Menicius aus der Kaste der Metallarbeiter«, sagte ein Soldat.

»Bist du Menicius?« fragte ich.

»Ja.«

»Bist du in Corcyrus geboren?«

»Ja – und früher war ich stolz darauf!«

»Was willst du?«

»Offenkundig war es seine Absicht, der Tatrix zu schaden«, warf Ligurious ein. »Das ging aus seinem Angriff auf die Sänfte hervor.«

»Er war unbewaffnet«, sagte Drusus Rencius.

»Männerhände brauchen sich nur kurz um den Hals einer Frau zu legen«, sagte Ligurious kühl, »um ihr schlimmes Werk zu tun.«

Unwillkürlich legte ich die Fingerspitzen an den Hals. Ligurious hatte bestimmt recht. Es war leicht, einen Mord zu begehen.

»Warum solltest du mir schaden wollen?« fragte ich den Mann.

»Ich wollte dir nichts tun, meine Dame«, sagte er mürrisch, »außer daß du bekommen solltest, was du verdienst, einen Sklaven im schlimmsten Sklavenloch auf Gor!«

»Das ist Verrat!« sagte Ligurious. »Seine Schuld steht fest!«

»Warum hast du dich dann dieser Sänfte genähert?« wollte ich wissen.

»Damit in Corcyrus auch einmal die Wahrheit gesagt wird!« antwortete er. »Damit das Elend und die Wut des Volkes ans Tageslicht kommen!«

»Bereitet ihn zur Hinrichtung vor!« sagte Ligurious. Ein Soldat packte den Mann am Haar und neigte seinen Kopf nach vorn, ein anderer zog sein Schwert.

»Nein!« rief ich. »Gebt ihn frei! Laßt ihn laufen!«

»Tatrix!« protestierte Ligurious.

»Laß ihn frei!« beharrte ich.

Die Fesseln des Mannes wurden geöffnet. Erstaunt richtete er sich auf. Die Zuschauer schienen ebenfalls nicht zu wissen, was sie davon halten sollten. Ligurious zeigte keine Regung. Ich spürte, daß er große Macht ausübte, sich aber auch unglaublich gut beherrschen konnte.

»Laß ihm eine Münze geben!« befahl ich.

Einer der Soldaten griff in seinen Leinensack und drückte dem Mann ein Kupferstück in die Hand.

Der Mann betrachtete es verwirrt. Dann spuckte er es zornig an und schleuderte es zu Boden. Er wandte sich um und marschierte fort.

Ein anderer hob die Münze vom Boden auf.

Ein längeres Schweigen trat ein, das schließlich von Ligurious beendet wurde. »Seht die Pracht und die Gnade der Tatrix!« rief er. »Was für einen besseren Beweis gibt es denn noch, daß die Anschuldigungen des Verrückten nicht stimmen?«

»Heil Sheila, Heil Tatrix von Corcyrus!«

Und schon setzte sich die Prozession wieder in Bewegung.

»Ist etwas an dem, was der Bursche sagte?« fragte ich Ligurious. »Gibt es Unruhe in Corcyrus? Sind die Bürger unzufrieden?«

»Du hast die Meldungen unserer Offiziere gehört«, sagte Ligurious.

»Ja«, sagte ich.

»Es sind die offiziellen und objektiven Berichte – auf die solltest du hören. Nicht auf das Gerede von Verrückten. Die darf man nicht ernstnehmen. Man findet immer Frustrierte, die die Schuld für das eigene Versagen nicht bei sich selbst suchen, sondern vor dem Tor ihrer Stadt.«

»Dann brauche ich mich um seine Vorwürfe nicht zu kümmern?« fragte ich.

»Nein, vergiß sie. Schlag sie dir aus dem Kopf.«

Ich schaute ihn an.

»Wenn du eine Bestätigung brauchst, solltest du auf die Zurufe deines Volkes achten.«

»Heil Sheila!« tönten Stimmen. »Heil Sheila, Tatrix von Corcyrus!«

Und mein Herz füllte sich mit Wonne und Zuneigung zu diesen Menschen. »Ja«, sagte ich, »ich werde geliebt.«

»Du hast da eben einen Fehler gemacht«, sagte Ligurious. Er lächelte und winkte in die Menge, doch seine Worte galten mir.

»Inwiefern?« fragte ich.