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BAND EINS.

Meisterdetektiv Blomquist

ERSTES KAPITEL

»Blut! Daran ist nicht zu zweifeln!« Er starrte durch das Vergrößerungsglas auf den roten Fleck. Dann schob er die Pfeife in den anderen Mundwinkel und seufzte. Natürlich war es Blut.

Was war denn auch sonst schon zu sehen, wenn man sich in den Daumen geschnitten hatte?

Dieser Fleck da sollte der endgültige Beweis dafür sein, daß Sir Henry seine Frau durch den abscheulichsten Mord beiseite gebracht hatte, den jemals ein Detektiv aufklären mußte. Aber leider – es war anders! Das Messer war ausgerutscht, als er seinen Bleistift anspitzen wollte – das war die traurige Wahrheit.

Und das war wahrhaftig nicht Sir Henrys Schuld. Vor allen Dingen deswegen, weil Sir Henry, das Rindvieh, nicht einmal existierte. Traurig war das! Warum hatten so viele Menschen das Glück, in den Slumbezirken Londons oder in den Verbre-chervierteln von Chikago geboren zu werden, wo Mord und Schießerei an der Tagesordnung waren? Während er selbst …

Er hob widerstrebend seinen Blick von dem Blutfleck und schaute aus dem Fenster.

Die Hauptstraße lag träumend und im tiefsten Frieden in der Sommersonne. Die Kastanien blühten. Es war kein lebendes Wesen zu sehen außer der grauen Katze des Bäckers, die auf der Kante des Bürgersteiges saß und sich die Pfoten leckte. Nicht das allergeübteste Detektivauge konnte etwas entdecken, was darauf hindeutete, daß ein Verbrechen begangen worden war.

Es war wirklich ein hoffnungsloses Beginnen, in dieser Stadt Detektiv zu sein! Wenn er groß war, würde er, sobald sich eine Möglichkeit bot, in die Londoner Slumbezirke ziehen. Oder vielleicht besser nach Chikago?

Der Alte wollte, daß er im Geschäft anfangen sollte. Im Geschäft! Er! Ja, das könnte denen so gefallen, allen Mördern und Banditen in London und Chikago! Da konnten sie nach Her-zenslust morden, ohne daß jemand hinter ihnen her war, während er im Geschäft stand und Tüten drehte und grüne Seife oder Hefe abwog. Nein, wahrhaftig, er hatte nicht die Absicht, Rosineneinpacker zu werden! Detektiv oder gar nichts! Der Alte konnte wählen! Sherlock Holmes, Asbjörn Krag, Hercule Poirot, Lord Peter Wimsey, Karl Blomquist! Er schnalzte mit der Zunge. Und er, Kalle Blomquist, hatte die Absicht, der Beste von allen zu werden.

»Blut! Daran ist nicht zu zweifeln«, sagte er zufrieden.

Draußen auf der Treppe hörte man Gepolter, und eine Sekunde später wurde die Tür aufgerissen, und Anders kam erhitzt und keuchend herein. Kalle betrachtete Ihn kritisch und machte seine Beobachtungen.

»Du bist gerannt«, sagte er schließlich in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.

»Klar bin ich gerannt«, sagte Anders gereizt. »Hast du gedacht, ich komme auf der Tragbahre?«

Kalle versteckte seine Pfeife. Nicht deswegen, weil es ihm etwas ausmachte, daß Anders ihn beim heimlichen Rauchen überraschte. Es war nur so, daß er keinen Tabak in der Pfeife hatte.

Aber ein Detektiv braucht seine Pfeife, wenn er sich mit Problemen herumschlägt. Wenn der Tabak auch gerade mal alle war.

»Wollen wir ein Stück bummeln?« fragte Anders und warf sich auf Kalles Bett.

Kalle nickte zustimmend. Natürlich wollte er mit. Er mußte ja unter allen Umständen noch einmal vor dem Abend durch die Straßen patrouillieren, falls etwas Verdächtiges aufgetaucht sein sollte. Natürlich gab es Polizisten, aber so viel hatte man ja gelesen, daß man wußte, was man von ihnen zu halten hatte. Sie erkannten keinen Mörder wieder, selbst wenn sie über ihn stolperten.

Kalle legte das Vergrößerungsglas in seine Schreibtischschublade. Dann stürmten sie beide die Treppe hinunter, so daß das Haus in seinen Grundfesten erzitterte.

»Kalle, vergiß nicht, daß du heute abend das Erdbeerbeet gießen sollst!«

Das war die Mutter, die ihren Kopf durch das Küchenfenster steckte. Kalle winkte beruhigend mit der Hand. Klar, er würde die Erdbeeren gießen. Später.

Später, nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß keine dunklen Gestalten, die Böses im Sinn hatten, im Weichbild der Stadt umherschlichen. Nicht daß – leider – viel Aussicht dafür gewesen wäre, aber man muß immer auf dem Posten sein. Das hatte man im »Fall Buxton« erlebt, wie es kommen kann. Da ging man friedlich in der Gegend umher, und – wups – kommt ein Schuß in der Nacht, und ehe man mit den Augen zwinkerte, waren vier Morde geschehen. Damit rechneten die Halunken, daß niemand in so einer kleinen Stadt an einem so schönen Sommertag einen Verdacht schöpfen würde. Aber da kannten sie Kalle Blomquist nicht!

Im Erdgeschoß lag das Geschäft. »Viktor Blomquists Lebensmittelgeschäft« stand auf dem Schild.

»Bitte deinen Alten um Bonbons«, schlug Anders vor.

Kalle hatte selbst schon die gleiche gute Idee gehabt. Er steckte den Kopf durch die Tür. Hinter dem Ladentisch stand

»Viktor Blomquists Lebensmittelgeschäft« in höchsteigener Person – das war der Vater.

»Vater, ich nehm’ ein paar von den gestreiften!«

»Viktor Blomquists Lebensmittelgeschäft« warf einen liebe-vollen Blick auf seinen blondhaarigen Sprößling und grunzte gutmütig. Kalle steckte die Hand in die Bonbonbüchse. Das Grunzen bedeutete, daß man nehmen durfte. Dann zog er sich schnell zu Anders zurück, der auf dem Schaukelbrett unter dem Birnbaum saß und wartete.

Aber Anders hatte im Augenblick kein Interesse für die »Gestreiften«. Er starrte mit einem einfältigen Ausdruck in den Augen auf etwas in Bäckermeisters Garten. Das Etwas war Bäckermeisters Eva-Lotte. Sie saß auf ihrer Schaukel in einem rotkarier-ten Baumwollkleid. Sie schaukelte und aß eine Schnecke. Sie sang auch, denn sie war eine Dame, die viele Künste beherrschte.

»Es war einmal ein Mädchen, und die hieß Josefin, Josefin-fin-fin, Jose-jose-josefin.« Sie hatte eine klare und hübsche Stimme, die man sehr gut bis zu Anders und Kalle hin hörenkonnte. Kalle starrte sehnsüchtig auf Eva-Lotte, während er abwesend Anders einen Bonbon anbot. Anders nahm einen, ebenso abwesend, und starrte ebenso sehnsüchtig Eva-Lotte an.

Kalle seufzte. Er liebte Eva-Lotte wild. Das tat Anders auch.

Kalle hatte es sich in den Kopf gesetzt, Eva-Lotte als seine Braut heimzuführen, sobald es ihm gelungen war, genug Geld zu beschaffen, um einen Hausstand zu gründen. Das hatte Anders auch. Aber Kalle zweifelte nicht daran, daß sie ihn, Kalle, vorziehen würde! Ein Detektiv mit vielleicht so ungefähr vierzehn aufgeklärten Morden – das würde wohl etwas lauter knallen als ein Lokomotivführer! Lokomotivführer! Das war das, was Anders werden wollte.

Eva-Lotte schaukelte und sang und sah aus, als ob sie überhaupt nicht wüßte, daß sie beobachtet wurde.

»Eva-Lotte!« rief Kalle.

»Das einz’ge, was sie hatte, das war ’ne Nähmaschin, Nähmaschin-schin-schin, Nähma-Nähma-Nähmaschin«, fuhr Eva-Lotte unbekümmert fort.

»Eva-Lotte!« schrien Kalle und Anders gleichzeitig.

»Ach, seid ihr es?« sagte Eva-Lotte sehr erstaunt. Sie stieg von der Schaukel und ging gnädig zum Zaun, der ihren Garten von Kalles trennte. Es fehlte ein Brett – es hatte schon immer gefehlt. Eine ausgezeichnete Einrichtung, die es möglich machte, sich unbehindert durch die Öffnung hindurch zu unterhalten und auch in Bäckermeisters Garten hineinzuschlüpfen, ohne sich mit Umwegen bemühen zu müssen.