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»Wenn das kein Schurke ist, dann bin ich der Erzengel Ga-briel in Lebensgröße«, dachte Kalle.

Der andere hatte nichts Aufsehenerregendes in seinem Aussehen, wenn man von einer fast krankhaften Blässe absah. Er war klein und blondhaarig. Er hatte sehr helle blaue Augen und einen unsteten Blick.

Kalle starrte sie so an, daß es schon verwunderlich war, wenn seine Augen nicht aus den Gucklöchern hervortraten. Auch seine Ohren lauschten gespannt. Die beiden sprachen eifrig miteinander, aber leider konnte Kalle nicht viel davon auffassen.

Doch plötzlich sagte der Blasse mit etwas lauterer Stimme:

»Davon kann keine Rede sein! Er muß hier in der Stadt wohnen. Ich habe selbst den Brief an Lola gesehen. Auf dem Poststempel stand ganz deutlich Kleinköping.«

Lolas Brief! Lola! Lola Hellberg, wer denn sonst? »Es bewegt sich in meinen kleinen grauen Gehirnzellen«, konstatierte Kalle mit Genugtuung. Er selbst hatte den Brief an Lola Hellberg in den Briefkasten gesteckt – wer auch immer diese ehren-werte Dame sein mochte. Und er hatte sie in seinem Notizbuch stehen.

Kalle versuchte beharrlich, etwas mehr von dem Gespräch der beiden Männer aufzufassen, aber es gelang ihm nicht. Gleich darauf kam der Portier und meldete, daß das Zimmer für die Herren bereit sei. Der Unangenehme und der Blasse erhoben sich und gingen. Und Kalle beabsichtigte, das gleiche zu tun.

Da sah er, daß die Portierloge leer war. Es war im Augenblick niemand außer ihm in der Hotelhalle. Ohne langes Bedenken schlug er das Fremdenbuch auf und schaute hinein. Der Unangenehme hatte sich zuerst eingeschrieben, das hatte er beobachtet. »Tore Krok, Stockholm« – das mußte er sein! Und wie hieß der Blasse? »Ivar Redig, Stockholm.«

Kalle zog sein kleines Notizbuch hervor und trug sorgfältig Namen und Personalbeschreibung seiner neuen Bekannten ein.

Er schlug auch Onkel Einars Seite auf und notierte: »Nennt sich wahrscheinlich mitunter Brane.«

Dann steckte er die Zeitung unter den Arm und verließ das Hotel, vergnügt einen Schlager pfeifend.

Und dann war da noch eine Sache – das Auto! Das mußte ihnen gehören, man sah so selten Stockholmer Autos hier in der Stadt. Und wenn sie mit dem Sechsuhrzug gekommen wären, so hätten sie sich schon vor mehreren Stunden ein Hotelzimmer besorgt gehabt. Er notierte die Nummer und die übrigen Kenn-zeichen.

Dann besah er die Reifen. Sie waren sehr abgenutzt, außer dem rechten Hinterreifen. Das war ein funkelnagelneuer von der Gummifabrik Gislaved. Kalle machte eine kleine Skizze des Reifenmusters. »Reine Routinearbeit«, sagte er und steckte das Notizbuch in seine Hosentasche.

ACHTES KAPITEL

Wie verabredet, brach der Krieg der Rosen am nächsten Tage aus. Sixtus fand in seinem Briefkasten einen Zettel, vollge-schrieben mit den furchtbarsten Beleidigungen. »Die Richtig-keit des Obenstehenden wird von Anders Bengtsson bezeugt, dem Chef der Weißen Rose, dessen Schuhband zu lösen du nicht würdig bist«, stand darunter, und unter lebhaftem Zähne-knirschen rückte Sixtus aus und suchte Benka und Jonte auf.

Die Weißen Rosen lagen in höchster Bereitschaft in Bäckermeisters Garten, den Anfall der Roten erwartend. Kalle saß hoch oben im Ahornbaum, von wo aus man Aussicht über die ganze Straße bis hinunter zur Villa des Postdirektors hatte. Er hatte das Auskundschaften übernommen, sowohl sein privates wie das der Weißen Rose.

»Ich habe eigentlich keine Zeit, Krieg zu führen«, hatte er zu Anders gesagt. »Ich bin beschäftigt.«

»Nanu«, sagte Anders. »Ist wieder ein Kriminaldrama im Gang wie gewöhnlich? Ist Friedrich mit dem Fuß wieder dabei, sich die Kollekte anzueignen?«

»Ach, rutsch mir den Buckel runter!« sagte Kalle. Er sah ein, daß es zwecklos war, Verständnis zu erwarten. Und er kletterte folgsam auf den Baum, wie es ihm befohlen worden war. Unbedingter Gehorsam gegen den Chef gehörte zu den Geboten der Weißen Rose.

Daß Kalle zum Kundschafter bestimmt worden war, hatte indessen den Vorteil, daß er? indem er Ausschau nach den Roten Rosen hielt, zugleich Onkel Einar überwachen konnte. Der saß im Augenblick auf der Veranda und half Tante Mia, Erdbeeren abzuzupfen. Das heißt, nachdem er zehn Stück geputzt hatte, steckte er sich eine Zigarette an, setzte sich auf das Geländer und baumelte mit den Beinen, neckte ein bißchen Eva-Lotte, wenn sie, auf dem Weg zum Hauptquartier der Weißen Rose, vorbei-lief, und sah im übrigen aus, als ob er sich langweile.

»Wirst du dessen nicht überdrüssig, so herumzusitzen?« hörte Kalle Tante Mia fragen. »Ich finde, du solltest einen Spaziergang in die Stadt machen oder mit dem Rad zum Baden fahren oder irgend etwas Derartiges. Im übrigen ist ja an den Abenden Tanz im Hotel – daß du da nicht hingehst!«

»Danke für deine Fürsorge, Miachen«, sagte Onkel Einar.

»Aber ich finde es hier im Garten so schön, daß ich nicht das geringste Bedürfnis nach einer Beschäftigung habe. Hier kann ich mich richtig erholen und meine Nerven ausruhen. Ich fühle mich ruhig und harmonisch, seitdem ich hier bin.«

»Ruhig und harmonisch – ja, ph!« dachte Kalle. »Er ist ungefähr so harmonisch wie eine Schlange im Ameisenhaufen. Er kann wohl deswegen nachts nicht schlafen und hat einen Revolver unter dem Kopfkissen, weil er so furchtbar ruhig und harmonisch ist.«

»Wie lange bin ich eigentlich schon hier?« fragte Onkel Einar.

»Die Tage vergehen so schnell, daß man ganz aus der Rechnung kommt.«

»Am Samstag werden es vierzehn Tage.«

»Du lieber Himmel, nicht länger? Mir kommt es vor, als ob ich schon einen Monat hier wäre. Jaja, ich muß wohl bald daran denken abzureisen.«

»Noch nicht, noch nicht«, wimmerte Kalle leise oben im Ahornbaum. »Erst muß ich herauskriegen, warum du hier her-umsitzt und dich wie ein Hase im Gebüsch verkriechst.«

Kalle war so gefesselt von dem Gespräch auf der Veranda, daß er ganz vergaß, daß er als Kundschafter für die Weiße Rose Dienst tat. Er wurde von einer flüsternden Beratung auf der Straße draußen in die Wirklichkeit zurückgerufen. Da standen Sixtus und Benka und Jonte und versuchten, durch den Zaun zu gucken. Sie sahen Kalle oben im Ahornbaum nicht.

»Eva-Lottes Mutter und irgend so ein Vogel sitzen auf der Veranda«, rapportierte Sixtus. »Wir können also nicht durch die große Gartentür gehen. Wir machen eine Umgehung über die Flußbrücke und überrumpeln sie von der Flußseite her. Sie sind sicher in ihrem Hauptquartier auf dem Boden.«

Die Roten verschwanden wieder. Kalle stieg eiligst vom Baum herunter und rannte zur Bäckerei, wo Anders und Eva-Lotte sich die Wartezeit damit vertrieben, an dem Seil hinun-terzurutschen, das noch seit der Zirkuszeit da hing.

»Die Roten kommen!« schrie Kalle. »Sie kommen in einer Sekunde über den Fluß!«

Dort, wo der Fluß durch den Bäckereigarten floß, war er nicht mehr als zwei Meter breit. Eva-Lotte hatte ein Brett da unten liegen, das man bei Bedarf als »Zugbrücke« benutzen konnte. Das war eine ganz unsichere Brückenverbindung, aber wenn man schnell und gleichmäßig lief, geschah es nur selten, daß man ins Wasser fiel. Und selbst wenn es passierte, beschränkte sich das Unglück meistens nur auf ein Paar nasse Hosen, da das Wasser hier nicht sehr tief war.

Die Weißen beeilten sich, bereitwillig die Zugbrücke auszu-legen, und dann krochen sie ruhig hinter das Erlengebüsch am Flußufer.

Sie brauchten nicht lange zu warten. Mit wachsender Begeisterung beobachteten sie, wie die Roten auf der entgegengesetzten Seite auftauchten, vorsichtig nach ihren verborgenen Feinden spähend.