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Ja, Sommerferien waren glücklicherweise lang. Und sie waren die beste Erfindung, die jemals gemacht worden war, fand Kalle.

Seltsam zwar, sich vorzustellen, daß Erwachsene so was erdacht hatte. Da ließen sie einen tatsächlich so einfach zehn Wochen lang im Sonnenschein herumlaufen, ohne daß man sich über den Dreißigjährigen Krieg oder so etwas den Kopf zerbrach.

Man konnte sich statt dessen mit dem Krieg der Rosen beschäftigen, und das war viel schöner.

»Ob ich mitmache? Mußt du das überhaupt fragen?«

Dünn gesät waren sie ja, die Verbrecher, in letzter Zeit.

Konnte sich Meisterdetektiv Blomquist da nicht gut etwas Urlaub gönnen, um seine Freizeit der höheren Kriegführung zu widmen und zu sehen, was die Roten diesmal wieder zusam-mengebraut hatten?

»Ich glaube, ich begebe mich erst mal auf einen kleinen vor-bereitenden Kundschaftergang«, sagte Anders.

»Tu das«, sagte Eva-Lotte. »Und wir starten dann in etwa einer halben Stunde. Ich will nur erst die Messer schleifen.«

Das hörte sich imponierend und gefährlich an. Anders und Kalle nickten einverstanden mit dem Kopf. Ja, Eva-Lotte war schon ein Krieger, auf den man sich verlassen konnte! Die Messer, die geschliffen werden sollten, waren freilich nur Bäckermeister Lisanders Brotmesser – aber trotzdem! Eva-Lotte hatte ihrem Vater versprochen, ihm den Schleifstein zu drehen, bevor sie wegging. In der brennenden Julisonne den schweren Schleifstein drehen war schon eine heiße Arbeit. Aber es kühlte ein wenig ab, wenn man sich vorstellte, daß das, womit man sich ab-rackerte, notwendige Waffen für den Krieg der Rosen waren.

»Tausend und aber tausend Seelen werden in den Tod gehen – hinein in die Nacht des Todes«, murmelte Eva-Lotte vor sich hin, während sie drehend am Schleifstein stand und ihr der Schweiß von der Stirn tropfte.

»Was sagst du?« fragte Bäckermeister Lisander und sah vom Schleifstein auf.

»Nichts.«

»Das war wohl genau das, was ich gehört habe«, sagte der Bäckermeister und fuhr prüfend mit dem Finger über die Schneide eines Brotmessers. »Du kannst laufen!«

Und Eva-Lotte lief. Sie schlängelte sich durch den Zaun, der ihren Garten von Kalles trennte. An einer Stelle fehlte ein Brett.

Solange sich Menschen entsinnen konnten, fehlte dort das Brett, und es würde dort fehlen, solange Eva-Lotte und Kalle etwas zu sagen hatten. Sie brauchten diesen Durchgang.

Es konnte passieren, daß Lebensmittelhändler Blomquist, der ein ordentlicher Mann war, zum Bäckermeister Lisander, wenn sie an Sommerabenden in des Bäckermeisters Laube saßen, sagte: »Hör mal, Freund, wir sollten vielleicht den Zaun in Ordnung bringen. Sieht recht liederlich aus, finde ich.«

»Ach, wir warten wohl, bis die Kleinen so groß geworden sind, daß sie in der Öffnung festklemmen«, erwiderte der Bäk-kermeister dann. Aber Eva-Lotte blieb unterdessen trotz hartnäckigster Milchbrötchenvertilgung weiterhin schmal wie ein Stock, und es bereitete ihr vorläufig absolut keine Schwierigkeiten, durch die enge Öffnung zu schlüpfen.

Ein Pfiff war von der Straße zu hören. Anders, Chef der Weißen Rose, war von seinem Kundschaftergang zurückge-kehrt. »Sie halten sich in ihrem Hauptquartier auf«, schrie er.

»Vorwärts zu Kampf und Sieg!«

Kalle hatte seinen Platz unter dem Birnbaum wieder bezogen, als Eva-Lotte zum Schleifstein und Anders auf seinen Kundschaftergang verschwunden waren. Er benutzte die kurze Atem-pause, bevor der Krieg der Rosen ausbrach, zu einem wichtigen Gespräch. Ja, er hatte ein Gespräch, obwohl kein lebendes Wesen in der Nähe zu sehen war. Meisterdetektiv Blomquist sprach mit seinem erdachten Zuhörer. Seit Jahren schon hatte er diesen lieben Begleiter. Oh, das war ein wunderbarer Mensch, dieser Zuhörer! Er behandelte den berühmten Detektiv mit der hohen Achtung, die er so oft verdiente und so selten bekam, am wenigsten von Anders und Eva-Lotte. Gerade jetzt saß er, andächtig auf jedes Wort lauschend, zu des Meisters Füßen.

»Herr Bengtsson und Fräulein Lisander sind von wahrhaft beklagenswerter Interessenlosigkeit gegenüber den Verbrechen in unserer Gemeinde«, versicherte Herr Blomquist und sah seinem erdachten Zuhörer ernst in die Augen. »Eine kleine Ruhe-pause nur – und sie verlieren alle Wachsamkeit. Sie verstehen nicht, daß gerade die Ruhe gefährlich ist.«

»Tatsächlich?« sagte der erdachte Zuhörer und sah ganz ver-dattert aus.

»Die Ruhe ist trügerisch«, fuhr der Meisterdetektiv mit Nachdruck fort. »Diese kleine friedliche Stadt, diese strahlende Sommersonne, diese idyllische Ruhe – bah! In einer Minute kann das alles verändert sein. Ganz plötzlich kann das Verbrechen seinen düsteren Schatten über uns werfen!«

Der erdachte Zuhörer keuchte. »Herr Blomquist, Sie erschrecken mich«, flüsterte er und warf scheue Blicke um sich, als wollte er sehen, ob das Verbrechen nicht schon hinter einer Ecke stand und lauerte.

»Überlassen Sie das alles nur mir«, sagte der Meisterdetektiv.

»Beunruhigen Sie sich nicht. Ich wache.«

Jetzt konnte der erdachte Zuhörer kaum noch sprechen, so gerührt und dankbar war er. Seine gestammelten Dankesworte wurden außerdem durch Anders’ Kriegsruf vom Zaun her unterbrochen: »Vorwärts zu Kampf und Sieg!«

Als hätte ihn eine Biene gestochen, fuhr Meisterdetektiv Blomquist in die Höhe. Man durfte ihn nicht noch einmal unter dem Birnbaum finden.

»Leben Sie wohl!« rief er dem erdachten Zuhörer zu und hatte dabei selbst das Gefühl, als wäre es ein Abschied für ziemlich lange. Der Krieg der Rosen würde ihm wohl kaum Zeit lassen, im Gras zu liegen und über Kriminalistik zu diskutieren.

Und das war eigentlich gut. Ehrlich gesagt: Es war schon ein Kreuz, in dieser Stadt Verbrecher fangen zu müssen. Ein ganzes Jahr seit dem letzten Mal – kann man sich das überhaupt vorstellen? Nein, der Krieg der Rosen war sicherlich herzlich willkommen.

Sein erdachter Zuhörer sah ihm lange und ängstlich nach.

»Leben Sie wohl!« rief der Meisterdetektiv noch einmal.

»Ich bin nun eine Weile zum Militärdienst einberufen. Aber seien Sie nicht beunruhigt. Ich denke nicht, daß gerade jetzt irgend etwas Besonderes passieren wird.«

Ich denke nicht … Ich denke nicht …! Da läuft der Meisterdetektiv, der eigentlich über die Sicherheit der Stadt wachen sollte! Da läuft er nun, fröhlich pfeifend, und seine nackten braunen Füße trommeln auf den Gartenweg, wie er Anders und Eva-Lotte entgegensaust. Ich denke nicht … Diesmal dachten Sie falsch, Herr Meisterdetektiv!

ZWEITES KAPITEL

»In dieser Stadt gibt es nur eine Straße und eine Querstraße«, pflegte Bäckermeister Lisander zu den Leuten zu sagen, die aus einer anderen Gegend zu Besuch hierherkamen. Und der Bäk-kermeister hatte recht. Hauptstraße und Kleine Straße, das war alles, was es gab – und den Großen Markt natürlich. Der Rest waren winzige kopfsteingepflasterte, bucklige Gassen und Stra-

ßenstummel, die zum Fluß hinunterführten oder auch ganz plötzlich vor einem baufälligen alten Haus aufhörten, das mit dem Recht des Alters dort stand und den Weg versperrte und sich eigensinnig jeder modernen Stadtplanung widersetzte. Gewiß fand sich am Rande der Stadt die eine oder andere moderne Villa in einem schön gepflegten Garten; aber das waren Aus-nahmen. Die meisten Gärten waren wie der des Bäckermeisters: wild gewachsen mit alten knotigen Apfel- und Birnbäumen und verwilderten Grasmatten, die nie geschnitten wurden. Auch die Häuser ähnelten meist dem des Bäckermeisters: große Holzkä-sten, die ein Baumeister längst vergangener Zeit in wildem Schönheitssinn mit ganz unerwarteten Vorsprüngen, Türmchen und Zinnen geschmückt hatte.