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»Ja, aber warum sind die Leute denn so vernagelt, daß sie Geld von Prozentern leihen?« wunderte sich Kalle. »Können die sich das Geld für ihr Eis nicht woanders borgen?«

»Dummchen«, sagte Eva-Lotte. »Vielleicht handelt es sich nicht nur um fünfundzwanzig Öre für ein Eis, sondern um Tausende von Kronen. Da gibt es vielleicht Menschen, die müssen durchaus fünftausend Kronen haben und gerade jetzt in dieser Sekunde, und kein Mensch ist da, der sie ihnen borgen will.

Keiner, nur so ein Prozenter, so ein Wucherer wie Gren.«

»Jetzt pfeifen wir auf Gren«, sagte Anders, der Chef der Weißen Rose. »Vorwärts zu Kampf und Sieg!«

Da lag des Postdirektors Haus und im Garten dahinter ein Schuppen, der als Garage diente. Als Garage und als Hauptquartier der Roten Rose. Denn des Postdirektors Sixtus war der Chef dieser streitsüchtigen Bande. Augenblicklich schien die Garage verlassen und leer. Schon von weitem konnte man sehen, daß da ein weißes Plakat an der Tür festgemacht war.

Der Chef der Weißen Rose gab seinen Truppen Anweisung:

»Kalle, du schleichst an der Hecke entlang, bis du hinter dem Hauptquartier außer Sicht für den Feind bist. Dann hinauf auf das Dach! Schaff sie herbei, die Bekanntmachung, tot oder lebendig!«

»Die Bekanntmachung – tot oder lebendig? Was meinst du damit?« fragte Kalle.

»Halt den Schnabel«, sagte Anders. » Du sollst tot oder lebendig sein, kannst du doch wohl begreifen, nicht? Eva-Lotte, du liegst hier still hinter der Hecke und spähst. Wenn du irgendeine Gefahr für Kalle merkst, pfeifst du unser Signal.«

»Und du? Was willst du machen?« fragte Eva-Lotte.

»Ich gehe rein und frage Sixtus’ Mutter, ob sie weiß, wo Sixtus ist«, antwortete Anders.

Sie setzten sich in Bewegung. Kalle hatte schnell das Hauptquartier erreicht. Auf das Dach zu kommen war kein Kunststück. Das hatte Kalle schon oft geschafft. Man brauchte nur vorher auf die Mülltonne zu klettern, die hinter der Garage stand. Er kroch über das Dach, ungemein leise, damit der Feind ihn nicht hören konnte. Natürlich wußte Kalle ganz genau, daß die Garage leer war. Das wußte auch Eva-Lotte – Anders übrigens auch. Aber der Krieg der Rosen hatte seine besonderen Regeln. Und deshalb kroch Kalle über das Dach, als gälte es das Leben. Und deshalb lag Eva-Lotte hinter der Hecke und verfolgte jede seiner Bewegungen, gespannt wie ein Tiger, jederzeit bereit, einen Warnpfiff auszustoßen, wenn es wider Erwarten nötig sein sollte.

Anders kam zurück. Sixtus’ Mutter wußte nicht, wo ihr geliebter Junge gerade residierte.

Kalle aber beugte sich äußerst vorsichtig über die Dachkante, und nach reichlichem Strecken gelang es ihm, das Plakat von der Tür zu reißen. Dann kehrte er auf demselben Weg genauso leise zurück. Eva-Lotte hielt bis zuletzt scharf Ausguck.

»Gut gemacht, mein Tapferer«, sagte Anders anerkennend, als Kalle ihm das Plakat übergab. »Wollen doch mal sehen.«

Sixtus, »Edelmann und Chef der Roten Rose«, hatte die bemerkenswerte Bekanntmachung verfaßt. Aber man mußte zugeben, für einen Edelmann war die Sprache merkwürdig saf-tig. Von einem Edelmann hätte man wohl mit Recht etwas Vor-nehmeres erwarten können.

»Ihr widerlichen Läusepudel, ja, gerade Ihr, Ihr Weißen Rosen, die Ihr mit Eurer stinkenden Anwesenheit diese Stadt ver-pestet! Hiermit tun wir Euch kund und zu wissen, daß wir, die noblen Edelmänner der Roten Rose, uns auf das Schlachtfeld der Prärie begeben haben. Kommt sofort dorthin, damit wir das häßliche Unkraut, das sich Weiße Rose nennt, ausrotten können und dessen Asche auf Johannssons Misthaufen streuen, wohin es schon lange gehört. Kommt nur, Läusepudel!!«

Niemand, der diese herzlichen Worte las, hätte glauben können, daß die Roten und Weißen Rosen in Wahrheit die allerbesten Freunde waren. Abgesehen von Kalle und Eva-Lotte, kannte Anders keinen prächtigeren Kameraden als Sixtus, höchstens noch Benka und Jonte, auch sie beide wunderbare Rote Rosen.

Und wenn Sixtus und Benka und Jonte in dieser Stadt jemand hoch und heilig anerkannten, so waren das die Läusepudel Anders, Kalle und Eva-Lotte.

»Das war das«, sagte Anders, als er die Bekanntmachung vor-gelesen hatte. »Zur Prärie! Vorwärts zu Kampf und Sieg!«

DRITTES KAPITEL

Die Prärie war eine große Gemeindewiese, die direkt am Au-

ßenrand der Stadt lag, auf der schon Eltern und Großeltern als Kinder gespielt hatten. Sie war mit kurzem Schafgras bewachsen, diesem Gras, über das mit nackten Füßen zu laufen besonders Spaß macht. Kalle, Anders und Eva-Lotte, die eilig der freundlichen Einladung von Sixtus gefolgt waren, starrten mit von der Sonne geblendeten Augen über das Schlachtfeld und versuchten, ihre Feinde zu entdecken. Aber die Roten Rosen waren nicht zu sehen. Große Teile der Prärie waren mit Haselsträuchern und Wacholderbüschen bewachsen, zwischen denen sich ein schleichender Ritter der Roten Rose leicht verstecken konnte. Die Weißen ließen ihr entsetzliches Kriegsgeschrei ertönen und drangen zwischen die Büsche. Sie durchsuchten jedes Gestrüpp, aber kein Feind wurde gefunden. Sie suchten weiter, bis sie die äußerste Kante der Prärie, dicht beim Herrenhof, erreicht hatten, aber es nutzte nichts.

»Was ist das für ein übler Scherz?« sagte Anders. »Sie sind ja nicht zu finden.«

Da ertönte über die Stille der Prärie aus drei Kehlen ein schneidendes, höhnisches Gelächter.

»He!« Eva-Lotte zuckte zusammen und sah sich unruhig um.

»Ich glaube fast, sie sind im Herrenhof.«

»Ja, sie sind bestimmt da drinnen«, sagte Kalle, und seine Stimme war voller Bewunderung.

Am Rand der Prärie stand zwischen zitternden Espen ein altes Haus. Das war der Herrenhof. Ein vornehmes altes Haus aus dem siebzehnten Jahrhundert, das einst bessere Tage gesehen hatte. Und dort guckten nun aus einem Fenster an der Rückseite drei triumphierende Jungengesichter heraus.

»Wehe dem, der sich dem neuen Hauptquartier der Roten Rose nähert!« schrie Sixtus.

»Wie in aller Welt seid ihr …« staunte Anders.

»Ja, das möchtet ihr wohl wissen«, höhnte Sixtus. »Die Tür war offen. Ganz einfach, nicht?«

Der Herrenhof war lange Jahre unbewohnt gewesen und sehr verfallen. Es war beabsichtigt, ihn zu restaurieren und ein Hei-matmuseum daraus zu machen. Jetzt quietschten die alten Dielen angstvoll unter den lebenslustigen Füßen, die unbeherrscht in rasenden Freudensprüngen durch das neue Hauptquartier tobten.

»Wir werden die Läusepudel gefangennehmen und hier einsperren. Sollen sie doch verhungern!« schrie Sixtus entzückt.

Seine solchermaßen bedachten Opfer liefen erwartungsvoll ihrem Schicksal entgegen. Die Roten versuchten nicht, sie zu hindern. Sixtus hatte nämlich beschlossen, das obere Stockwerk, das leichter zu verteidigen war, unter Einsatz von Blut und Leben zu halten. Auf der prunkvollen Treppe, die nach oben führte, standen die Roten und gaben mit kriegerischen Gebärden zu verstehen, daß nichts ihnen lieber sei, als sich auf den Feind zu stürzen. Die Weißen gingen ruhmvoll zum Angriff über. Die Stadtväter hätten sich die Haare ausgerissen, wenn sie den Krach und Donner hätten hören können, der entstand, als die beiden streitenden Heere aufeinanderprallten. Ihr angehendes Museum zitterte in allen Fugen, und die zierlichen Holzgeländer der Treppe bogen sich. Heulende Schreie stiegen zu der schönen Stuckdecke empor. Der Chef der Weißen Rose sauste, einem Unwetter gleich, rückwärts die Treppe hinunter.

Das Kriegsglück wechselte. Entweder trieben die Weißen ihre Gegner fast die ganze Treppe hinauf, oder sie befanden sich selbst unter dem ungeheuren Druck von oben in ungeordnetem Rückzug zum Erdgeschoß. Als der Kampf so gut und gern eine halbe Stunde hin und her gewogt hatte, sehnten sich alle Parteien nach etwas Abwechslung. Die Weißen zogen sich einen Augenblick zurück, um den letzten rasenden Angriff vorzubereiten.