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Da gab Sixtus seinen Truppen schnell einen leisen Befehl. Sekunden später verließen die Roten ohne vorherige Warnung ihren Standort auf der Treppe und zogen sich blitzschnell in das obere Stockwerk zurück. Dort gab es viele Möglichkeiten, argli-stig in Zimmern und Wandschränken zu verschwinden. Das wußten Sixtus und seine Getreuen; denn sie hatten das Haus vorher gründlich untersucht. Als nun Anders, Kalle und Eva-Lotte die Treppe heraufgestürmt kamen, waren die Roten Rosen wie weg-geblasen. Sie hatten den Vorsprung von wenigen Sekunden aus-genutzt. Gerade jetzt waren sie hinter einer geschickt verborgenen Tapetentür verschanzt und beobachteten durch einen Spalt die hastige Beratung der Weißen, die ahnungslos genau davor-standen.

»Schwärmt aus«, sagte der Weiße Chef. »Sucht den Feind, in welchem Loch er auch, um sein Leben zitternd, liegen mag.

Macht kurzen Prozeß mit ihm, wenn ihr ihn findet.«

Die Roten Rosen hinter der Tür hörten voller Befriedigung zu. »Schwärmt aus«, hatte der Chef der Weißen gesagt. Etwas Dümmeres hätte er sich nicht ausdenken können. Das besiegelte sein Schicksal. Er selbst setzte sich unmittelbar danach in Bewegung und schwärmte aus, das heißt er verschwand hinter einer Ecke. Kaum war er außer Sicht, schlichen Kalle und Eva-Lotte in der entgegengesetzten Richtung los. Dort befand sich eine Tür, die sie öffneten. Sie fanden ein schönes sonniges Zimmer, und obwohl sie deutlich sehen konnten, daß es von Feinden leer war, gingen sie auf jeden Fall hinein und gönnten sich eine kleine Kriegspause, um aus dem Fenster zu sehen. Das aber erwies sich als ein absoluter Fehlgriff. Sie kehrten gerade noch rechtzeitig zur Tür zurück, um zu hören, wie außen ein Schlüssel im Schloß umgedreht wurde. Sie hörten auch das rohe Lachen des Roten Chefs und seine greulichen Triumphworte:

»Ha, ihr Läusepudel, nun habt ihr eure letzten Kartoffeln gesetzt! Hier kommt ihr lebend nicht mehr heraus!« Und dann Benkas gellende Stimme: »Nein, hier dürft ihr hocken, bis ihr Moos ansetzt. Aber wir können ja ab und zu mal vorbeikommen und guten Tag sagen. Heiligabend zum Beispiel.« Und Jonte:

»Ja, macht euch keine Sorgen. Wir kommen am Heiligabend.

Was wollt ihr zu Weihnachten haben?«

»Eure Köpfe auf einer Schüssel!« schrie Eva-Lotte von innen.

»Und garniert, wie man Schweinsköpfe immer garniert«, half Kalle nach.

»Unverschämt bis zum letzten«, sagte der Rote Chef besorgt zu seinen Waffenbrüdern. Dann erhob er seine Stimme und rief: »Adieu, ihr Läusepudel. Schreit, wenn ihr Hunger habt.

Dann kommen wir und rupfen etwas Gras für euch.« Danach wandte er sich an Benka und Jonte und rieb sich zufrieden die Hände: »Und nun, meine tapferen Waffengefährten: Irgendwo in diesem Haus befindet sich in diesem Augenblick eine kleine erbärmliche Ratte, die sich Chef der Weißen Rose nennt. Einsam und wehrlos! Sucht sie! Sucht sie, sage ich!«

Die Roten taten ihr Bestes. Den Chef der Gegner zu fangen, das war im Krieg der Rosen ein einzigartiges Bravourstück.

Der Weiße Chef hatte sich gut versteckt. Wie die Roten auch umherschnüffelten, sie fanden nicht soviel wie eine Feder von ihm. Bis Sixtus plötzlich ein schwaches Knarren über seinem Kopf hörte.

»Er ist oben auf dem Boden«, flüsterte er.

Nun ging alles sehr schnell. Wohl stand Anders kampfbereit auf dem Boden und warnte in den höchsten Tönen jeden, der noch nicht sein Testament gemacht hatte, in seine Nähe zu kommen; aber es half nichts. Sixtus, der für sein Alter außergewöhnlich groß und stark war, ging an die Spitze, Benka und Jonte halfen nach Bedarf, und bald wurde Anders, wild zap-pelnd, die Treppe hinuntergeführt, einem unbekannten Schicksal entgegen.

Kalle und Eva-Lotte schrien ihm durch die verschlossene Tür tröstende Worte zu:

»Wow i ror kok o mom mom e non bob a lol dod u non dod ror e tot tot e non dod i choch!« schrien sie. »Wir kommen bald und retten dich«, hieß das in der heimlichen Sprache der Weißen Rosen.

Etwas Besseres, die Roten zu reizen, gab es nicht. Lange hatten diese versucht, hinter das Geheimnis dieser Sprache zu kommen, die die Weißen bis zur Vollendung beherrschten und so wahnsinnig schnell sprechen konnten, daß es für den Laien wie ein absolutes Sammelsurium klang. Weder Sixtus noch Benka oder Jonte hatten etwas in dieser Sprache Geschriebenes gesehen. Sonst hätten sie bestimmt keine Schwierigkeiten gehabt, das Rätsel zu lösen. Jeder Konsonant wurde verdoppelt und ein o dazwischen eingefügt. So wurde zum Beispiel aus Kalle »Kok a lol lol e« und aus Anders »A non dod e ror sos«.

Eva-Lotte hatte diese Sprache, die sogenannte Räubersprache, von ihrem Vater »geerbt«. Der Bäckermeister hatte eines Abends rein zufällig davon gesprochen, wie er und seine Spielkameraden in ihrer Jugend auf diese Weise zu sprechen pflegten, wenn sie verhindern wollten, daß sie von all und jedem verstanden wurden.

Eva-Lottes Vater war einigermaßen erstaunt gewesen über die wilde Begeisterung seiner Tochter für die Räubersprache. Ein ähnliches Entzücken hatte er jedenfalls stets bei ihr vermißt, wenn es sich um unregelmäßige deutsche Verben oder derglei-chen handelte. Trotzdem hatte er den ganzen Abend stillgesessen und mit Eva-Lotte geübt, und am nächsten Tag schon konnte sie ihre neue Weisheit an Kalle und Anders weitergeben.

Den Weißen den Schlüssel zu ihrer Geheimsprache zu entreißen, war eines der Kriegsziele der Roten. Ein anderes und noch wichtigeres war, den Großmummrich zurückzuerobern.

»Großmummrich« war der achtunggebietende Name für einen recht unbedeutenden Gegenstand. Der Großmummrich war einfach ein Stein, ein eigentümlich geformter Stein, den Benka einmal gefunden hatte. Mit etwas gutem Willen konnte man sich einbilden, daß der Stein wie ein Mann geformt war, wie ein nachdenklicher kleiner Mann, der ähnlich wie ein Buddha dasaß und seinen Nabel betrachtete. Die Roten Rosen hatten ihn sofort zu ihrem speziellen Talisman erklärt und schrieben ihm eine Reihe außerordentlicher Eigenschaften zu.

Es brauchte nicht lange, bis die Weißen Rosen herausgefun-den hatten, daß es eine erhabene Pflicht war, den Großmummrich zu besitzen. Die heftigsten Kämpfe hatten schon um den Großmummrich stattgefunden. Es klingt unglaubhaft, daß einem kleinen Stein so große Bedeutung beigemessen wurde.

Aber warum sollten die Roten Rosen ihren Großmummrich nicht ebenso lieben wie beispielsweise die Schotten ihren Krönungsstein und innerlich genauso aufgerührt sein, wenn die Weißen ihn voller Tücke entwendet hatten, wie die Schotten, als die Engländer den Krönungsstein nach Westminster Abbey gebracht hatten?

Es war eine traurige Wahrheit, daß die Weißen zur Zeit den Großmummrich besaßen und an einem unbekannten Ort versteckt hielten. Es wäre natürlich leicht gewesen, ihn so zu verstecken, daß keine menschliche Macht an ihn herangekonnt hätte. Aber zu den erstaunlichen Regeln, die im Krieg der Rosen galten, gehörte es auch, daß diejenigen, die den Großmummrich gerade in ihrer Hand hatten, verpflichtet waren, dem Gegner zumindest einen Anhaltspunkt über den derzeitigen Aufbewahrungsort des Kleinods zu geben. Der Anhaltspunkt konnte ein Lageplan sein, ein schwer deutbarer und teilweise irreführender, oder ein Bilderrätsel, einfach auf einen Zettel hingeschmiert.

Dieser Fingerzeig mußte in einer dunklen Nacht in einen Briefkasten des Feindes gesteckt werden, der dann unter Aufbietung seines ganzen Scharfsinnes herausfinden konnte, daß der Großmummrich in einem leeren Krähennest oder unter einer Dachsparre auf Schuhmachermeister Bengtssons Holzspeicher lag.

Zur Zeit befand er sich an keiner der genannten Stellen. Zur Zeit befand er sich an einem ganz anderen Platz. Und einer der Hauptgründe für das neue Auflodern der Kämpfe der Rosen war, daß die Roten genau zu wissen wünschten, wo dieser Platz nun eigentlich war. Mit dem Chef der Weißen als Geisel war es sicher leicht, diesen Platz zu erfahren.