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»Wir kommen bald und retten dich!« hatten sie geschrien, Eva-Lotte und Kalle. Ihr Chef konnte diese Aufpulverung bestimmt gut brauchen. Denn er wurde von starken Armen zur Folter geschleppt. Wegen des Großmummrichs und wegen der Geheimsprache.

»I choch vov e ror ror a tot e non i choch tot sos«, versicherte der Weiße Chef laut und heroisch, als man ihn an der Tür vorbeiführte, hinter der seine Waffengefährten gefangen waren.

»Warte nur, bald hast du ausgerort«, sagte Sixtus gehässig und packte ihn noch fester am Arm. »Wir werden es schon aus dir herauspressen, was das bedeutet. Keine Sorge!«

»Sei standhaft! Sei stark!« schrie Kalle.

»Halt aus! Halt aus! Wir kommen bald«, unterstützte ihn Eva-Lotte.

Und durch die Tür hörten sie die letzten stolzen Worte ihres Chefs: »Lang lebe die Weiße Rose!« Und dann: »Laß meinen Arm los! Ich folge auf Ehrenwort! Ich bin bereit, meine Herren!«

Danach hörten sie nichts mehr. Das große Schweigen breitete sich über ihr Gefängnis. Der Feind hatte das Haus verlassen –und ihren Chef hatte er mitgenommen.

VIERTES KAPITEL

Sicher hatten die Roten angedeutet, Kalle und Eva-Lotte könnten bleiben, wo sie wären, bis Moos auf ihnen wüchse. Aber das war nicht buchstäblich gemeint. Auch im Krieg der Rosen war man gezwungen, gewisse Rücksichten auf das beschwerliche und störende Element, das Eltern genannt wurde, zu nehmen. Natürlich war es ärgerlich, wenn edle Krieger ihren Kampf auf dem Höhepunkt abbrechen mußten, um nach Hause zu gehen und Koteletts und Rhabarbergrütze zu essen. Aber Eltern waren nun einmal der Meinung, Kinder müßten Mahlzeiten innehal-ten. Es war mit einberechnet im Krieg der Rosen, daß man sich diesen närrischen Elternwünschen zu fügen habe. Tat man es nicht, bestand die Gefahr bedeutend ernsterer Störungen in der Kriegführung. Eltern besaßen ein schlechtes Unterscheidungs-vermögen. Sie konnten leicht gerade an dem Abend ein Ausgeh-verbot verhängen, der ausschlaggebend für eine Schlacht um den Großmummrich war. Eltern wußten im großen und ganzen erschreckend wenig über Großmummriche, wenn auch eine Kindheitserinnerung von der Prärie manchmal wie ein zufälliger Lichtstrahl ihren verdunkelten Verstand erleuchtete.

Wenn also die Roten mit Anders loszogen und Kalle und Eva-Lotte im leeren Zimmer eines unbewohnten Hauses ein-sperrten, um sie dort Hungers sterben zu lassen, so bedeutete das nur, daß sie ungefähr zwei Stunden, nämlich bis gegen sieben Uhr, schmachten mußten. Um sieben Uhr gab es Abendbrot beim Lebensmittelhändler Blomquist, beim Bäckermeister Lisander und in all den andern Familien in der Stadt. Eine gute Weile vor diesem kritischen Stundenschlag schickte Sixtus entweder Benka oder Jonte, um in aller Stille den Eingeschlossenen die Tür wieder zu öffnen. Darum sahen Kalle und Eva-Lotte dem Hungertod mit Fassung und Würde ins Auge. Aber es war eine Schmach, auf diese Weise eingesperrt worden zu sein. Au-

ßerdem bedeutete es einen erdrückenden Punktsieg für die Roten. Und dieser Vorsprung war, nachdem sie auch den Weißen Chef gefangen und abgeführt hatten, in Wahrheit katastrophal.

Nicht einmal der Großmummrich in der Hand der Weißen konnte ihn ausgleichen.

Eva-Lotte sah den Fortziehenden verbittert aus dem Fenster nach. »Ich möchte wissen, wohin sie ihn führen«, sagte sie.

»Natürlich in Sixtus’ Garage«, antwortete Kalle und fügte hinzu: »Wenn man doch nur eine Zeitung hätte!«

»Eine Zeitung?« fragte Eva-Lotte irritiert. »Jetzt Zeitung lesen, wo wir versuchen müssen, hier herauszukommen?«

»Du hast ja recht«, sagte Kalle. »Wir müssen hier heraus.

Deshalb möchte ich ja auch eine Zeitung haben.«

»Glaubst du, da steht etwas drin über die beste Art, an Hauswänden hinunterzuklettern?« Eva-Lotte beugte sich aus dem Fenster, um den Abstand vom Boden zu schätzen. »Wir brechen uns natürlich den Hals«, fuhr sie fort. »Aber es hilft ja nichts.«

Kalle stieß einen zufriedenen Pfiff aus. »Die Tapete! Daran hatte ich nicht gedacht. Die wird genügen.«

Rasch riß er einen Fetzen von der herabhängenden Tapete ab.

Eva-Lotte sah ihm verwundert zu. Kalle bückte sich und schob das große Papierstück durch die fingerbreite Ritze unter der Tür.

»Reine Routinearbeit«, murmelte er und holte sein Taschenmesser heraus. Das kleinste und dünnste Messer klappte er hoch und stocherte vorsichtig damit im Schlüsselloch herum. Man hörte ein Klirren auf der Außenseite der Tür. Es war der Schlüssel, der dort zu Boden fiel. Kalle zog die Tapete wieder herein, und richtig, darauf lag der Schlüssel. »Wie gesagt, reine Routinearbeit«, sagte der Meisterdetektiv, damit andeutend, daß seine Tätigkeit als Detektiv es eben mit sich brachte, jeden Tag verschlossene Türen auf die eine oder andere knifflige Art zu öffnen.

»O Kalle, du bist unschlagbar!« stellte Eva-Lotte bewundernd fest.

Kalle schloß auf. Sie waren frei. »Aber wir wollen nicht gehen, ohne die Rötlichen um Verzeihung zu bitten«, sagte Kalle.

Er fischte einen Bleistiftstummel aus seiner inhaltsreichen Hosentasche und reichte ihn Eva-Lotte. Und sie schrieb auf die Rückseite der Tapete:

»An die Hohlschädel der Roten Rose!

Eure Moosanpflanzungsversuche sind kläglich gescheitert.

Genau fünf Minuten und dreiunddreißig Sekunden haben wir gewartet, daß etwas hervorsprießen sollte. Jetzt warten wir nicht länger. Kleine Rotzbengelchen, wußtet ihr noch nicht, daß Weiße Rosen durch Wände gehen können?«

Sie schlossen das Fenster sorgfältig und legten den Fensterha-ken um. Dann schlossen sie die Tür von außen ab und ließen den Schlüssel im Schloß stecken. Den Abschiedsbrief hängten sie an den Türgriff.

»Das wird ihnen etwas zu denken geben: das Fenster von innen und die Tür von außen verschlossen! Die werden sich wundern, wie wir herausgekommen sind«, sagte Eva-Lotte und lief rot an vor Begeisterung.

»Ein Punkt für die Weiße Rose«, sagte Kalle und lachte.

Anders war in Sixtus’ Garage nicht zu finden. Die Garage lag still und leer da wie vorher. Sixtus’ Mutter war dabei, im Garten Wäsche aufzuhängen.

»Wissen Sie wohl, wo Sixtus ist?« fragte Eva-Lotte.

»Hm, vor einer halben Stunde war er noch hier«, sagte die Frau Postdirektor, »mit Benka und Anders und Jonte.«

Es war klar, die Roten hatten ihren Gefangenen an einen Platz gebracht, der sicherer war. Aber wohin? Die Antwort befand sich dicht bei ihnen. Kalle sah sie zuerst. In das Gras ge-bohrt stand da ein Finnenmesser, die scharfe Spitze durch einen kleinen Zettel getrieben. Es war Anders’ Messer. Kalle und Eva-Lotte erkannten es sofort. Und auf dem Zettel stand ein einziges Wort: »Jonte«.

Es war dem Weißen Chef offenbar gelungen, in einem unbewachten Augenblick diese lakonische Mitteilung für seine Waffenbrüder zu hinterlassen.

Kalle legte die Stirn in tiefsinnige Falten. »Jonte«, sagte er, »das kann nur eins bedeuten: Anders sitzt zu Haus bei Jonte gefangen.«

»Ja, was dachtest du denn sonst, was es bedeuten könnte?« höhnte Eva-Lotte. »Wenn er wirklich bei Jonte ist, so ist es natürlich schlauer, auch ›Jonte‹ zu schreiben und nicht etwa zum Beispiel ›China‹.« Darauf sagte Kalle kein Wort.

Jonte wohnte in dem Teil der Stadt, der Rackerberg genannt wurde. Es waren nicht gerade die Vornehmsten, die dort in den kleinen Hütten wohnten. Jonte erhob aber gar nicht den An-spruch, zu den Vornehmen der Stadt zu gehören. Er war vollauf zufrieden mit der baufälligen Wohnung seiner Familie, die aus Stube und Küche im Erdgeschoß und einer kleinen Kammer unter dem Dach bestand. Letztere war nur im Sommer be-wohnbar. Im Winter war es dort zu kalt. Aber im Juli herrschte in der Bodenkammer eine Hitze wie unter den Bleidächern von Venedig, weshalb dort der beste Platz für ein Verhör war. Jonte hatte das alleinige Verfügungsrecht über die Bodenkammer.