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Hier schlief er auf einem einfachen Zeltbett, hier hatte er ein selbstgebautes Regal aus Kistenbrettern, wo er seine Detektiv-magazine und die Briefmarkensammlung, oder was ihm sonst kostbar war, aufbewahrte. Kein König konnte in seinem Palast zufriedener sein als Jonte in seiner Kammer, wo die warme Luft stillstand und die Fliegen an der Decke summten.

Hierher hatten die Roten Anders gebracht. Glücklicherweise waren Jontes Eltern gerade heute außerhalb der Stadt in ihrem Schrebergarten. Sie hatten zu essen mitgenommen. Jonte sollte zu Hause für sich selber sorgen und sich Wurst und Kartoffeln braten, falls er Hunger bekam. Und weil Sixtus’ Mutter direkt vor dem Hauptquartier der Roten Rose ihre Wäsche aufhängte und weil es so wunderbar elternfrei bei Jonte zu Hause war, hatte Sixtus den großartigen Einfall gehabt, das peinliche Verhör in Jontes Kammer stattfinden zu lassen.

Kalle und Eva-Lotte beratschlagten. Selbstverständlich konnten sie die Hilfsexpedition sofort starten. Nach einigem überlegen jedoch fanden sie es besser, damit noch zu warten. Es wäre dumm gewesen, sich ausgerechnet jetzt den Roten zu zeigen.

Bald war Abendbrotzeit. Bald würde Sixtus Benka oder Jonte zum Herrenhof schicken. Bald würde dort entweder Benka oder Jonte über die rätselhafte Flucht von Kalle und Eva-Lotte ganz entgeistert und verstört sein. Das war ein Gedanke voll tiefer Süße. Es wäre sündhaft gewesen, einen so großen Triumph zu zerstören.

Kalle und Eva-Lotte beschlossen deshalb, die Rettungsaktion bis nach dem Abendbrot zu verschieben. Sie wußten ja, daß Anders Urlaub auf Ehrenwort bekommen würde, um nach Hause zu gehen und Abendbrot zu essen. Und nichts war doch wohl peinlicher für eine Rettungsexpedition, als dann am Unglücks-platz zu erscheinen, wenn der zu Rettende sich gerade nach Hause begeben hatte, um Abendbrot zu essen.

»Und im übrigen«, meinte Kalle, »wenn man jemand, der sich in einer Wohnung aufhält, zu beobachten gedenkt, soll man immer dann beobachten, wenn es dunkel wird und die Leute das Licht anmachen. Bevor sie die Jalousien herunterlassen. Das weiß jeder, der nur die geringste Ahnung von Kriminalistik hat.«

»Jonte hat keine Jalousien«, stellte Eva-Lotte fest.

»Um so besser«, sagte Kalle.

»Aber wie sollen wir durch ein Fenster im Dach beobachten?«

wunderte sich Eva-Lotte. »Gewiß habe ich sehr lange Beine, aber …«

»Man merkt, daß du noch nie Kriminalistik studiert hast. Was zum Beispiel glaubst du, macht wohl die Kriminalpolizei in Stockholm? Wenn die eine Wohnung, drei Treppen hoch, beobachten wollen, weil dort Verbrecher wohnen, dann verschaffen sie sich Zutritt zu einer Wohnung auf der gegenüberliegenden Straßenseite, am besten vier Treppen hoch, damit sie etwas über den Verbrechern sind. Und dann stehen sie da, die Polizisten, mit ihren Ferngläsern und sehen haargenau zu den Verbrechern hinein, bevor diese die Jalousien herunterlassen.«

»Wenn ich Verbrecher wäre, würde ich zuerst die Jalousie herunterlassen und dann Licht anmachen«, sagte die praktisch veranlagte Eva-Lotte, »Übrigens, was denkst du: Zu welcher Wohnung sollen wir uns Zutritt verschaffen, um bei Jonte zu beobachten?«

Darüber hatte Kalle noch nicht nachgedacht. Für die Krimi-nalbeamten in Stockholm war es sicher ganz einfach, sich Zutritt zu einer Wohnung zu verschaffen. Sie brauchten ja nur ihre Polizeiausweise vorzuzeigen. Aber es war kaum anzunehmen, daß es hier für Kalle und Eva-Lotte genauso einfach sein würde.

Außerdem stand gegenüber von Jontes Haus gar kein Haus.

Da war der Fluß. Aber es war ein Haus dicht daneben. Das Haus von Gren, dem Alten. Eine Baracke von zwei Stockwerken. Gren hatte seine Tischlerwerkstatt zu ebener Erde und hauste selbst in der Wohnung im ersten Stock. Sollte man sich nicht »Zutritt verschaffen« können zu Grens Wohnung? meinte Kalle. Einfach reingehen zu ihm und artig fragen, ob man nicht ein Fenster beschlagnahmen könne, um eine Kleinigkeit zu beobachten? Kalle sah selbst ein, wie dumm dieser Gedanke war. Außerdem hatte er auch noch einen Haken. Zwar standen die Häuser von Jonte und Gren mit den Giebeln zueinander ge-kehrt, aber gerade auf der Seite zu Jonte hin war bei Gren im oberen Stockwerk kein Fenster.

»Ich habe eine Idee!« rief Eva-Lotte. »Eine Möglichkeit gibt es: Wir klettern bei Gren auf das Dach!«

Kalle sah sie voller Bewunderung an. »Für jemand, der noch nie in seinem Leben Kriminalistik studiert hat, ist diese Idee wirklich gut«, sagte er dann.

Ja, das Dach bei Gren, das war die Lösung. Es war im Verhältnis zu Jontes Dachstubenfenster gerade richtig hoch genug.

Und Jonte hatte keine Jalousien. Sie würden einen großartigen Beobachtungsplatz haben. Frohen Herzens gingen Kalle und Eva-Lotte nach Hause – zum Abendbrot.

FÜNFTES KAPITEL

Der Abend war dunkel und still, als sie einige Stunden später über den Rackerberg schlichen. Die kleinen Holzbaracken drängten sich dicht aneinander. Etwas von der Hitze des Julita-ges hing noch zwischen den Häuserreihen.

»Hier ist es still wie in einem Grab«, fand Kalle. Und er hatte recht. Nur ab und zu hörte man ein Gemurmel von Stimmen hinter einem der Fenster. In der Ferne bellte ein Hund auf, und danach war die Stille noch tiefer als zuvor.

Bei Jonte aber ging es lebhaft zu. In seiner Bodenkammer war es hell, und gellende Knabenstimmen tönten aus dem offenen Fenster. Kalle und Eva-Lotte stellten mit Befriedigung fest, daß das Verhör in vollem Gange war. Sicher spielte sich dort oben ein spannendes Drama ab, und Kalle und Eva-Lotte waren fest entschlossen, diesem Drama vom besten Platz aus, dem Gren-schen Dach, beizuwohnen.

Kalle lief noch einmal um das Haus, um die Möglichkeiten zu untersuchen. Ärgerlich – bei Gren war auch Licht. Warum konnten alte Menschen abends nicht schlafen gehen, sie, die den Schlaf doch so nötig hatten! Wie sollte man sonst einigermaßen ungestört auf ihrem Dach herumspazieren? Aber es half nichts.

Ungestört oder nicht – auf das Dach mußten sie.

Es war gar nicht so schwer. Gren, der Alte, hatte freundlicherweise eine Leiter an den einen Giebel des Hauses gestellt.

Zwar stand die Leiter dicht neben Grens Fenster, dem Fenster, das erleuchtet war, und das Fenster stand offen hinter einer zur Hälfte herabgelassenen Jalousie. Und es war nicht sicher, ob Gren besonders entzückt sein würde, wenn er den Kopf aus dem Fenster stecken und zwei Weiße Rosen sehen würde, die in voller Fahrt auf sein Dach kletterten. Aber im Krieg der Rosen durfte man sich durch derartige Bagatellen nicht stören lassen.

Unbeirrt mußte man den Weg der Pflicht gehen, auch wenn er über Grens Dachfirst führte.

»Geh du voran«, sagte Eva-Lotte ermunternd. Das tat Kalle.

Vorsichtig, ganz vorsichtig begann er, die Leiter hinaufzuklettern. Eva-Lotte folgte ihm schnell und leise. Gefährlich konnte es ja erst werden, wenn sie sich auf gleicher Höhe mit dem er-leuchteten Fenster im oberen Stockwerk befanden.

»Gren hat Besuch«, flüsterte Kalle Eva-Lotte zu. »Ich höre, wie sie zusammen sprechen.«

»Steck den Kopf rein und bitte für uns um ein Stück Kuchen«, meinte Eva-Lotte und kicherte zufrieden über ihren eigenen Vorschlag.

Kalle ließ sich nicht beirren. Er setzte seinen Weg zum Dach fort, so schnell er konnte. Auch Eva-Lotte hatte es eilig, als sie an der Fensteröffnung vorbei mußte. Ja, Gren hatte Besuch, man konnte es deutlich hören. Kuchen wurde aber nicht serviert. Jemand stand mit dem Rücken zum Fenster, jemand, der mit tiefer Stimme aufgeregt sprach. Eva-Lotte konnte zwar nur ein Stück von dem Sprechenden sehen, da die Jalousie ja zur Hälfte herabgelassen war; aber sie sah, daß der Besuch von Gren dunkelgrüne Gabardinehosen anhatte. Und dann hörte sie seine Stimme.