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»Ja, ja, ja«, sagte er ungeduldig. »Ich werde versuchen. Ich werde bezahlen. Daß ich endlich aus dieser Hölle heraus kann!«

Darauf hörte sie Grens weinerliche Greisenstimme: »Das haben Sie schon oft gesagt. Jetzt will ich aber nicht länger warten.

Sie werden verstehen – ich muß mein Geld haben.«

»Sie werden es bekommen, sage ich.« Es war der Fremde, der nun wieder sprach. »Wir treffen uns am Mittwoch. An der gewohnten Stelle. Bringen Sie meinen Revers mit, nein, alle Reverse, jeden einzigen. Ich werde sie alle einlösen. Es muß endlich Schluß damit sein.«

»Der Herr braucht sich doch nicht so aufzuregen. Sie verstehen doch, daß ich mein Geld haben muß«, antwortete Gren beruhigend.

»Blutsauger!« sagte der Fremde, und man hörte, daß er es auch meinte.

Eva-Lotte kletterte schnell weiter. Kalle wartete, auf dem Dachfirst sitzend, auf sie.

»Die da unten hatten Krach wegen Geld«, erklärte Eva-Lotte.

»Sicherlich prozentuieren die beiden«, vermutete Kalle.

»Ich möchte wissen, was ein Revers ist«, sagte Eva-Lotte nachdenklich. Dann aber setzte sie hastig hinzu: »Ach, ist ja ganz egal! Komm, Kalle!«

Um in die Nähe von Jontes Fenster zu kommen, mußten sie quer über das Dach zur gegenüberliegenden Seite balancieren.

Recht unheimlich war es dort unter einem dunklen Himmel ohne freundliche Sterne, die den gefährlichen Weg etwas auf-hellten. Nichts zum Festhalten als den Schornstein, und der bot nur einen kurzen Halt, als sie die Hälfte des Weges hinter sich hatten. Aber sie gingen weiter auf ihrem gefahrvollen Ba-lancegang, und ihr Mut wurde belohnt durch den Anblick, der sich ihnen in Jontes Kammer bot. Da saß ihr Chef auf einem Stuhl, umringt von den Roten Rosen, die mit den Armen fuch-telten und ihn anschrien. Er aber schüttelte nur stolz den Kopf.

Eva-Lotte und Kalle legten sich platt auf den Bauch und bereiteten sich auf eine genußreiche Stunde vor. Sie konnten alles, was dort drüben vor sich ging, hören und sehen. Welch ein Triumph! Welch ein Erfolg! Ihr Chef sollte nur wissen, daß die Rettung so nahe war. Nur zwei Meter von ihm entfernt lagen seine Getreuen, bereit, Blut und Leben für ihn zu opfern.

Eine Kleinigkeit nur war noch zu klären. Wie sollte die Be-freiung vor sich gehen? Es war sicher gut und schön, Blut und Leben opfern zu wollen, aber wie sollte das geschehen? Über zwei Meter Abstand mit nur Luft dazwischen …

»Irgend etwas wird uns schon einfallen«, meinte Kalle voller Zuversicht und legte sich, den Umständen entsprechend, so bequem wie möglich zurecht.

Bei Jonte wurde das Verhör fortgesetzt. »Gefangener, ich gebe dir eine letzte Chance, dein widerliches Leben zu retten«, sagte Sixtus und riß unbarmherzig an Anders’ Arm. »Wo habt ihr den Großmummrich verborgen?«

»Vergeblich erkundigst du dich!« antwortete Anders. »Seit undenklichen Zeiten halten die Weißen Rosen ihre mächtige Hand über den Großmummrich. Nie werdet ihr ihn finden, darauf kannst du springen und dir eins husten«, setzte er weniger hochtrabend hinzu.

Kalle und Eva-Lotte nickten draußen auf ihrem Aussichtspo-sten stumm Beifall. Sixtus, Benka und Jonte aber sahen aufrichtig verärgert aus.

»Wir werden ihn über Nacht in meine Garage setzen müssen, damit er weich wird«, meinte Sixtus.

»Hahaha«, lachte Anders. »Wie Kalle und Eva-Lotte, wie?

Die sind auch in fünf Minuten geflohen, wie ich gehört habe.

Genauso werde ich fliehen.«

Die Roten Rosen wurden etwas nachdenklich. Es blieb ein Rätsel, wie es Kalle und Eva-Lotte geglückt war, aus ihrem Gefängnis zu entkommen. Es wirkte beinahe unnatürlich. Anders gegenüber aber tat man ungerührt.

»Bilde dir nur nicht ein, daß du ein Ausbrecherkönig bist«, sagte Sixtus. »Wo wir dich einsperren, da bleibst du auch. Zuerst aber möchten wir von dir noch etwas über diese Geheimsprache wissen. Du bekommst Strafnachlaß, wenn du uns die Lösung gibst.«

»Kaum«, sagte Anders.

»Sei nun nicht halsstarrig«, versuchte Sixtus. »Du kannst doch wohl etwas sagen. Meinen Namen zum Beispiel. Wie heiße ich in eurer Sprache?«

»Kok non a lol lol kok o pop pop«, sagte Anders bereitwillig und lächelte ironisch vor sich hin, um Sixtus fühlen zu lassen, daß es sich um eine Verunglimpfung handelte. So schwer es ihm auch wurde, zu übersetzen wagte er nicht – sonst hätte er den Schlüssel zur Räubersprache preisgegeben. Daher lächelte er nur noch einmal ironisch, und draußen auf dem Dach stimmten seine Bundesgenossen herzlich und etwas lauter in das Lächeln ein. Es hätte dem Chef Freude gemacht, wenn er es gewußt hätte. So aber waren er und die Roten vorläufig noch ohne Wissen um die unsichtbaren Zuschauer.

Sixtus knirschte in ohnmächtiger Wut mit den Zähnen. Es fing an für die Roten peinlich zu werden, und dieses Lolen und Koken, das sie nicht begriffen, konnte bei jedem von ihnen krampfartige Zustände hervorrufen. Den Chef der Weißen Rosen hatten sie zwar gefangen; aber sie wußten kaum, was sie mit ihm machen sollten. Geheimnisse wollte er nicht ausplaudern, und die Roten Rosen ließen sich unter keinen Umständen dazu herab, körperliche Gewalt anzuwenden, um Geständnisse zu er-zwingen. Gewiß prügelten sie sich oft, daß es nur so rauchte; aber das war in ehrlichem Kampf draußen auf dem Schlachtfeld.

Sich aber drei gegen einen über einen wehrlosen Gefangenen werfen, das gab es einfach nicht.

»Übrigens – wo habt ihr den Großmummrich gelassen?«

fragte Sixtus plötzlich wieder in der Hoffnung, Anders zu überrumpeln.

»Ja, wo habt ihr den Großmummrich gelassen?« fragte auch Jonte und piekte Anders auffordernd in die Seite. Anders kicherte auf und krümmte sich wie ein Wurm. Er war nämlich äußerst kitzlig.

Als Sixtus das sah, legte sich ein verklärtes Lächeln auf sein Gesicht. Er war ein Edelmann der Roten Rose und pflegte seine Gefangenen nicht zu quälen. Wer aber hatte gesagt, daß man sie nicht kitzeln durfte? Versuchsweise stach er einen spielerischen Zeigefinger in Anders’ Magengrube. Es glückte über alles Erwarten. Anders prustete los wie ein Flußpferd und krümmte sich doppelt und dreifach. Nun kam Leben in die Roten. Alle auf einmal warfen sie sich über ihr Opfer. Und der arme Weiße Chef stöhnte, winselte und hatte Schluckauf vor Lachen.

»Wo habt ihr den Großmummrich gelassen?« fragte Sixtus noch einmal und tastete prüfend zwischen den Rippen von Anders herum.

»Oh … oh … oh … oh …« keuchte Anders.

»Wo habt ihr den Großmummrich gelassen?« Benka kitzelte ihn ausgiebig unter der Fußsohle.

Als Antwort hörte er eine Lachkaskade.

»Wo habt ihr den Großmummrich gelassen?« wollte nun auch Jonte wissen und fingerte in Anders’ Kniekehle.

»Ich … gebe … auf …« winselte Anders. »Draußen auf der Prärie … beim Herrenhof … geht den … kleinen Weg …«

»Und weiter?« fragte Sixtus und hielt warnend seinen Zeigefinger in Bereitschaft.

Aber es gab kein Weiter. Es geschah etwas völlig Unerwartetes. Man hörte ein kurzes Sausen, einen kleinen Knall – und dann lag Jontes Kammer in wahrhaft ägyptischer Finsternis da.

Die Glühbirne unter der Decke, die einzige Beleuchtung für Jontes Kammer, war in tausend Stücke gesprungen. Der Weiße Chef war genauso verblüfft wie die Roten. Nur kam er schneller wieder zu sich. Im Schutz der Dunkelheit glitt er wie ein Aal zur Tür und verschwand. Er war frei.

Oben auf dem Dach steckte Kalle nachdenklich sein Katapult wieder in die Hosentasche.

»Ich werde Geld aus meinem Sparschwein nehmen und eine neue Birne für Jonte kaufen«, meinte er reumütig. Beschädi-gung von fremdem Eigentum war etwas, was einem edlen Ritter der Weißen Rose schlecht anstand, und es war deshalb für Kalle vollkommen klar, daß der Schaden zu ersetzen war.