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Sixtus ging tief ergriffen nach Hause und klaute eine von den roten Pelargonien seiner Mutter, und, den Blumentopf zwischen sich tragend, zogen sie alle fünf zu Bäckermeisters. Eva-Lotte schlief und durfte nicht gestört werden. Aber ihre Mutter nahm ihnen die Pelargonie ab und stellte die Gabe der fünf in Eva-Lottes Zimmer.

Es war nicht die letzte Gabe, die Eva-Lotte für ihren Einsatz in diesem Drama bekommen sollte.

NEUNTES KAPITEL

Da saßen sie nun und warteten auf der Veranda, der nette Kriminalkommissar und Schutzmann Björk und noch einer. Es sei wichtig, daß das kleine Mädchen nicht nervös werde vor dem Verhör, meinte der Kommissar. Jedenfalls nicht noch nervöser, als sie schon war. Deshalb war es gut, Schutzmann Björk bei sich zu haben, der das Mädchen kannte. Und um dem ganzen Verhör den Charakter eines freundlichen kleinen Gesprächs zu geben, sollte es hier, in der Wohnung bei dem Mädchen, stattfinden, hier auf der sonnigen Veranda und nicht auf dem Polizeirevier. Eine fremde Umgebung wirkt immer beunruhigend auf Kinder, fand der Kommissar.

Während sie warteten, brachte Frau Lisander starken Kaffee und frisches Gebäck. Es war ein wundervoller Morgen. Die Luft war frisch und klar nach dem gestrigen Gewitter. Die Rosen in des Bäckermeisters Garten sahen wie frisch gewaschen aus, und die Meisen und Buchfinken zwitscherten munter in dem alten Apfelbaum.

Der Kommissar nahm das dritte Gebäckstück und sagte:

»Ehrlich gesagt, ich glaube nicht, daß wir sehr viel aus dem Mädchen herausholen werden – hieß sie nicht Eva-Lotte? Ich glaube nicht, daß ihre Aussagen uns bedeutend weiterbringen werden. Kinder können nicht sachlich beobachten. Sie phantasieren zuviel.«

»Eva-Lotte ist aber recht sachlich«, sagte Schutzmann Björk.

Bäckermeister Lisander erschien auf der Veranda. Er hatte eine kleine Falte auf der Stirn, die sonst nie dort zu sehen war.

Diese Falte bedeutete, daß er um sein einziges, geliebtes Kind in Sorge war. »Sie kommt jetzt«, sagte er kurz. »Darf ich bei dem Verhör zugegen sein?«

Nach einigem Zögern willigte der Kommissar ein. Bedingung war allerdings, daß der Bäckermeister sich absolut still verhielt und auf keine Weise in das Verhör eingriff. »Na ja, es ist übrigens nicht schlecht, wenn das Mädchen ihren Vater hier sieht. Es wird sie beruhigen. Könnte ja sein, daß sie Angst vor mir hat.«

»Warum sollte ich«, sagte eine ruhige Stimme von der Tür her, und Eva-Lotte kam in das Sonnenlicht hinaus. Sie sah den Kommissar aufmerksam an. Warum sollte sie Angst vor ihm haben? Eva-Lotte hatte keine Angst vor Menschen. Nach ihrer Erfahrung waren die Menschen nett und freundlich und wollten einem wohl. Es war erst seit gestern, daß sie im Ernst verstanden hatte, es könne auch böse Menschen geben.

Sie sah aber nicht ein, weshalb sie auch den Kriminalkommissar dazu rechnen sollte. Sie wußte, er war hier, weil er hier sein mußte. Sie wußte, daß sie ihm alles von dem Entsetzlichen drau-

ßen auf der Prärie erzählen mußte, und sie war bereit, es zu tun.

Warum also sollte sie Angst haben?

»Guten Morgen, kleine Lisa-Lotte«, sagte der Kommissar hastig.

»Eva-Lotte«, sagte sie. »Guten Morgen!«

»Ach ja, natürlich – Eva-Lotte! Komm und setz dich hierher, Eva-Lotte. Wir wollen ein wenig miteinander reden. Es wird nicht lange dauern. Und dann kannst du gleich wieder mit deinen Puppen spielen.« Das sagte er zu Eva-Lotte, die sich so alt vorkam, beinahe wie sechzehn!

»Ich habe schon vor zehn Jahren aufgehört, mit Puppen zu spielen«, sagte sie aufklärend.

Schutzmann Björk hatte recht – das war tatsächlich ein sachliches Kind. Der Kommissar verstand: Hier mußte er einen anderen Ton finden und Eva-Lotte wie eine Erwachsene behan-deln.

»Erzähle mir nun alles«, sagte er. »Du warst also bei dem Mor… also draußen auf der Prärie? Wie kam es eigentlich, daß du gestern mittag so ganz allein dorthin gegangen bist?«

Eva-Lotte kniff die Lippen zusammen. »Das … das darf ich nicht sagen. Das ist vollkommen geheim. Ich war draußen in geheimem Auftrag.«

»Kind … komm«, sagte der Kommissar. »Wir versuchen doch, einen Mord aufzuklären. Da gibt es nichts, was geheim ist.

Was solltest du also gestern beim Herrenhof draußen tun?«

»Ich sollte den Großmummrich holen«, sagte Eva-Lotte widerstrebend.

Es war eine ziemlich eingehende Aufklärung nötig, bis der Kommissar endlich begriff, was ein Großmummrich war.

»Hast du dort irgendeinen Menschen gesehen?« wollte der Kommissar wissen, nachdem das Rätsel des Großmummrich geklärt war.

»Ja«, sagte Eva-Lotte. »Ich sah … Gren … und noch einen.«

Der Kommissar wurde lebhaft: »Erzähle ganz genau, wie und wo du sie gesehen hast!«

Und Eva-Lotte erzählte. Wie sie Gren aus ungefähr hundert Meter Entfernung von hinten gesehen hatte …

»Halt«, unterbrach der Kommissar. »Wie konntest du dann sehen, daß es Gren war?«

»Man merkt, Herr Kommissar, daß Sie nicht aus unserer Stadt sind«, sagte Eva-Lotte. »Jeder Mensch hier würde Gren sofort an seinem Gang erkennen. Stimmt das, Onkel Björk?«

Björk bestätigte es. Eva-Lotte setzte ihren Bericht fort. Wie sie Gren in den Pfad hatte einbiegen sehen und wie er in den Büschen verschwand. Wie der mit den dunkelgrünen Gabardinehosen von der anderen Seite gekommen war und auf demselben Pfad verschwunden sei.

»Hast du eine Ahnung, wie spät es da wohl war?« fragte der Kommissar, obwohl er doch wußte, daß Kinder selten sachliche Beobachtungen machen konnten.

»Halb eins«, antwortete Eva-Lotte schnell.

»Woher weißt du das? Hast du auf die Uhr gesehen?«

»Nein«, sagte Eva-Lotte und wurde blaß. »Aber ich habe den Mör… den Mörder danach gefragt – ungefähr eine Viertelstunde später.«

Der Kommissar sah seine Kollegen an. Hatten sie so etwas schon erlebt? Dies Verhör schien doch wertvoller zu werden, als er es sich vorgestellt hatte. Er beugte sich nach vorn und sah Eva-Lotte durchbohrend in die Augen: »Du hast den Mörder gefragt, sagst du? Wagst du wirklich zu behaupten, du wüßtest, wer Gren ermordet hat? Hast du vielleicht auch gesehen, wie es geschah?«

»Nein«, sagte Eva-Lotte, »aber wenn ich sehe, wie erst ein Mensch zwischen Büschen verschwindet und gleich danach ein anderer Mensch auch dorthin verschwindet und ich nach kurzer Zeit den zuerst erwähnten Menschen dort tot vorfinde, dann kann es nur eins geben: Ich muß den anderen, den übriggebliebenen Menschen, verdächtigen. Gren kann natürlich auch gestürzt und dadurch umgekommen sein. Aber das muß man mir erst beweisen.«

Björk hatte recht. Das hier war wirklich ein unglaublich sachliches Kind.

Sie berichtete weiter, wie sie, als sie die beiden Männer dorthin hatte verschwinden sehen, wo der Großmummrich lag, in den Herrenhof gegangen war, um sich die Wartezeit zu vertreiben, und daß sie dort höchstens eine Viertelstunde geblieben war.

»Und danach?« fragte der Kommissar.

Eva-Lottes Augen verengten sich. Sie sahen gequält aus. Das, was jetzt kommen sollte, war am schwersten zu erzählen. »Ich prallte genau auf ihn – da auf dem kleinen Pfad«, flüsterte sie.

»Ich fragte ihn, wie spät es sei, und er sagte: ›Viertel vor eins‹.«

Der Kommissar sah zufrieden aus. Der Gerichtsarzt hatte als den Zeitpunkt der Tat die Zeit etwa zwischen zwölf und zwei festgesetzt. Die Angaben der Kleinen aber machten es möglich, die Zeit genau festzulegen: etwa zwischen halb eins und Viertel vor eins. Diese Tatsache konnte wichtig werden. Bestimmt, Eva-Lotte war ein unschätzbarer Zeuge!