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Er fragte weiter: »Wie sah der Mann aus? Erzähle alles, wor-an du dich erinnern kannst. Alle Einzelheiten.«

Eva-Lotte holte wieder die dunkelgrünen Gabardinehosen hervor. Dann das weiße Hemd. Und den dunkelroten Schlips.

Die Armbanduhr. Eine ganze Menge schwarzer Haare auf den Händen.

»Wie sah er im Gesicht aus?« wollte der Kommissar wissen.

»Er hatte einen Schnurrbart«, antwortete Eva-Lotte. »Und langes schwarzes Haar, das ihm in die Stirn hing. So sehr alt war er nicht. Er sah gut aus. Aber ängstlich und böse. Er lief von mir fort, so schnell er konnte. Er hatte es so eilig, daß er einen Revers verlor – und das hat er nicht einmal bemerkt.«

Der Kommissar hielt einen Moment den Atem an. Dann stieß er hervor: »Um Himmels willen, was sagst du da? Was hat er verloren?«

»Einen Revers«, sagte Eva-Lotte stolz. »Wissen Sie nicht, was das ist, Herr Kommissar? Das ist nur ein kleines Stück Papier, und ganz oben steht ›Revers‹ drauf. Ich sage Ihnen, das ist nichts als ein kleines Stück Papier. Aber die Menschen, glauben Sie mir, machen oft viel Wesens um solche Reverse.«

Der Kommissar sah erneut seine Kollegen an. Die gestrigen Vernehmungen bei Grens Nachbarn oben auf dem Rackerberg hatten ja klar ergeben, daß Gren als lohnenden Nebenverdienst einen kleinen Wucher betrieb. Viele hatten bemerkt, daß er abends in seinem Haus geheimnisvolle Besucher empfangen hatte – allerdings nicht oft. Gewiß hatte er es vorgezogen, seine Kunden irgendwo in der Umgebung der Stadt zu treffen. Bei der Haussuchung hatte man eine ganze Menge Reverse gefunden, mit verschiedenen Namen unterzeichnet. Alle Namen waren notiert worden, und man bereitete sich darauf vor, notfalls alle geheimnisvollen Kunden von Gren aufzuspüren. Einer von ihnen konnte der Mörder sein.

Der Kommissar hatte sofort den Gedanken gehabt, daß sich einer von ihnen durch den Mord aus der Geldverlegenheit, in die er durch Gren hineingepreßt war, hatte retten wollen. Das mußte das Motiv zu dem Verbrechen sein. Aber so etwas tat niemand, wenn er nicht sicher war, sämtliche Papiere an sich bringen zu können, die für ihn verräterisch werden konnten.

Und nun saß das Mädchen hier und erzählte, daß der Mörder dort zwischen den Büschen einen Revers verloren hatte. Einen Revers, auf dem sein Name stand! Einen Revers mit dem Namen des Mörders … Der Kommissar war so erregt, daß seine Stimme zitterte, als er sich zu Eva-Lotte vorbeugte: »Hast du den Revers aufgehoben?«

»Ja, natürlich«, sagte Eva-Lotte.

»Was hast du damit gemacht?« Der Kommissar hielt wieder den Atem an.

Eva-Lotte dachte nach. Es war totenstill, während sie nachdachte. Nur die Buchfinken und Meisen setzten ihr Konzert im Apfelbaum fort. »Das weiß ich nicht mehr«, brachte Eva-Lotte schließlich langsam hervor.

Der Kommissar stöhnte leise.

»Aber ich sage Ihnen ja, das war nichts weiter als nur so ein kleines Stück Papier«, wiederholte Eva-Lotte, um ihn zu trösten.

Da nahm der Kommissar ihre Hand und erklärte ihr langsam und deutlich, daß ein Revers ein recht wichtiges Stück Papier sei, auf dem man anerkannte, daß man sich von jemand Geld geborgt hatte und daß man nun verpflichtet war, dies geborgte Geld auch wieder zurückzuzahlen. Und das bekräftigte man, indem man unter den Revers seinen Namen schrieb. Der Mann, der Gren ermordet hatte, hatte das bestimmt getan, weil er eben kein Geld besaß, um das geborgte zurückzuzahlen. Kaltblütig hatte er einen Menschen umgebracht, um seine Reverse zurück-zubekommen, auf denen er seine Schulden an Gren einmal anerkannt hatte. Dieses Stück Papier, das Eva-Lotte für so un-wichtig hielt, war so ein Schuldschein, so ein Revers. Und sein Name mußte auf dem Papier gestanden haben, das er auf dem Pfad verloren hatte. Verstand Eva-Lotte nun, wie wichtig es war und daß sie einfach gezwungen war, sich zu erinnern, was sie mit dem Revers – mit dem Schuldschein – gemacht hatte?

Das verstand Eva-Lotte, und sie bemühte sich wirklich. Sie erinnerte sich, wie sie dagestanden hatte mit dem Schuldschein in der Hand. Sie erinnerte sich, daß gerade da ein furchtbarer Donner gekracht hatte. Aber an mehr erinnerte sie sich nicht.

Wohl an das Schreckliche nachher. Aber von dem Schuldschein wußte sie nicht ein bißchen mehr. Enttäuscht bekannte sie das dem Kommissar.

»Und den Namen, der darauf stand, den hast du nicht zufällig gelesen?« forschte der Kommissar.

»Nein, das habe ich nicht«, sagte Eva-Lotte.

Der Kommissar seufzte. In Gedanken aber sagte er sich: So leicht darf die Arbeit eines Polizeimannes ja auch nicht sein.

Dies Verhör mit dem Mädchen hatte trotzdem viel ergeben.

Man konnte wirklich nicht verlangen, nun auch noch den Namen des Mörders als Gratiszugabe zu bekommen.

Bevor er mit Eva-Lotte weitersprach, gab er telefonisch den Befehl an das Polizeirevier, jedes Stück der Prärie zu untersuchen. Gewiß war der Tatort selbst sehr genau untersucht worden; aber ein Stück Papier konnte weit weg geweht werden.

Und der Schuldschein sollte und mußte gefunden werden.

Anschließend erzählte Eva-Lotte, wie sie Gren gefunden hatte. Sie schluckte wiederholt und sprach jetzt sehr, sehr leise. Und ihr Vater bedeckte sein Gesicht mit den Händen, um den ver-

ängstigten Ausdruck in ihren Augen nicht sehen zu müssen. Aber nun mußte das Ganze wohl bald zu Ende sein. Der Kommissar hatte nur noch einige Fragen zu stellen. Eva-Lotte hatte beteuert, der Mörder könne unmöglich aus dieser Stadt sein, sie hätte ihn sonst bestimmt gekannt. Und nun fragte der Kommissar sie:

»Glaubst du, daß du ihn wiedererkennen könntest, wenn du ihn noch einmal sehen würdest?«

»Ja«, sagte Eva-Lotte langsam, »unter Tausenden würde ich ihn wiedererkennen.«

»Und du hast ihn vorher nie gesehen?«

»Nein«, sagte Eva-Lotte. Sie bedachte sich einen Augenblick. »Doch – teilweise …« setzte sie dann hinzu.

Der Kommissar riß die Augen auf. Dies Verhör war voller Überraschungen.

»Was meinst du mit ›teilweise‹?«

»Ich habe früher schon von ihm seine Hosen gesehen«, sagte sie widerstrebend.

»Das mußt du mir näher erklären.«

Eva-Lotte zierte sich. »Muß ich das?«

»Du weißt doch, daß du es mußt. Wo hingen also seine Hosen?«

»Sie hingen nicht«, sagte Eva-Lotte. »Sie sahen unter einer Jalousie hervor. Er hatte sie an.«

Der Kommissar griff schnell nach einem übriggebliebenen Stück Kaffeegebäck. Er fühlte, daß er etwas Stärkendes nötig hatte. Und er überlegte, ob Eva-Lotte wirklich so sachlich war, wie es zuerst den Anschein gehabt hatte. Fing sie nun nicht doch an zu phantasieren?

»Also«, sagte er, »die Hosen des Mörders sahen unter einer Jalousie hervor. Wessen Jalousie?«

»Natürlich Grens.«

»Und du? Wo warst du?«

»Ich war draußen auf der Leiter. Kalle und ich waren dort.

Am Dienstagabend nach neun Uhr.«

Der Kommissar hatte keine Kinder, und in diesem Augenblick stieg ein frohes und dankbares Gefühl dafür in ihm auf.

»Was in aller Welt habt ihr am Dienstagabend auf Grens Leiter gemacht?« fragte er, setzte aber gleich hinzu, wohl um seine neue Weisheit anzubringen: »Ach so, ich verstehe. Es war natürlich wieder irgend so ein Großmummrich, hinter dem ihr her wart.«

Es lag etwas wie Verachtung in Eva-Lottes Blick, als sie ihn fest ansah und sagte: »Herr Kommissar, Sie glauben wohl, Großmummriche wachsen auf den Bäumen. Aber es gibt nur einen Großmummrich – in Ewigkeit – Amen.«

Dann berichtete sie von dem Nachtmarsch über Grens Dach.

Der arme Bäckermeister schüttelte kummervoll sein Haupt, als er davon hörte. Und da sagen die Leute, für Eltern sei es so viel friedlicher, Mädchen zu haben …

»Woher wußtest du, daß es die Hosen des Mörders waren, die du sahst?« staunte der Kommissar.