Выбрать главу

»Das wußte ich gar nicht«, sagte Eva-Lotte. »Hätte ich das gewußt, wäre ich hineingegangen und hätte ihn verhaftet.«

»Ja, aber sagtest du nicht …« wandte der Kommissar betreten ein.

»Nein, das habe ich mir nachher ausgerechnet«, beteuerte Eva-Lotte. »Ich hörte doch, wie sie sich da drinnen im Zimmer über diese Reverse zankten und wie der in den Hosen sagte:

›Wir treffen uns am Mittwoch an der gewohnten Stelle! Bringen Sie dann meine Reverse mit!‹ Und nun rechnen Sie sich doch einmal selbst aus, mit wie vielen dunkelgrünen Gabardinehosen konnte Gren sich wohl am Mittwoch treffen?«

Der Kommissar war überzeugt davon, daß Eva-Lotte recht hatte. Das Puzzlespiel ging auf. Alles war jetzt klar: das Motiv, der Zeitpunkt, die Tat selbst. Es blieb nur noch eine Kleinigkeit übrig: den Mörder zu verhaften.

Der Kommissar erhob sich und tätschelte Eva-Lotte das Kinn. »Vielen Dank auch«. sagte er. »Du bist sehr tüchtig gewesen. Du hast uns mehr geholfen, als du, wie ich glaube, selbst verstehst. Vergiß nun alles wieder.«

»Danke«, sagte Eva-Lotte.

Dann wandte sich der Kommissar an Schutzmann Björk.

»Nun müssen wir noch diesen Kalle erwischen«, sagte er, »damit er uns Eva-Lottes Aussagen über die Geschehnisse am Dienstagabend bestätigt. Wo finden wir ihn?«

»Hier«, sagte eine sichere Stimme vom Balkon über der Veranda. Der Kommissar sah erstaunt dort hinauf und bemerkte zwei Köpfe, einen dunklen und einen hellen, die über dem Bal-kongeländer hervorlugten.

Ritter der Weißen Rose können einen Kameraden während eines Polizeiverhörs oder während anderer Prüfungen nicht im Stich lassen. Ebenso wie der Bäckermeister hatten auch Kalle und Anders den Wunsch gehabt, bei dem Verhör zugegen zu sein. Aber um der Sicherheit willen fanden sie, daß es klüger war, vorher nicht erst um Erlaubnis zu fragen.

ZEHNTES KAPITEL

Auf den ersten Seiten aller Zeitungen des Landes nahm der Mord einen großen Platz ein, und auch Eva-Lottes Aussage wurde besonders erwähnt. Ihr Name wurde nicht genannt, aber es wurden viele Worte gemacht über »die tüchtige Vierzehnjährige«, die so gründlich ihre Beobachtungen am Tatort wieder-gegeben und damit der Polizei wichtige Hinweise vermittelt hatte.

Die Ortszeitung war nicht so verschwiegen, wenn es Namen galt. In der kleinen Stadt wußte ja sowieso jeder, daß die tüchtige Vierzehnjährige Eva-Lotte Lisander war, und der Redakteur sah nicht ein, was ihn hindern sollte, über alles ausführlich und mit vollem Namen zu berichten. Eine so prachtvolle Möglichkeit zu schreiben hatte er lange nicht gehabt, und das nutzte er aus. Er schrieb einen langen, überschwenglichen Artikel über

»die kleine, niedliche Eva-Lotte, die heute wieder zwischen den Blumen in der Eltern Garten spielt und aussieht, als habe sie all die schrecklichen Erlebnisse des Mittwochs dort draußen auf der stürmischen Prärie wieder vergessen«.

Der Redakteur breitete vor dem Leser in den weiteren Sätzen aus, wie tüchtig Eva-Lotte gewesen war, wie genau sie den Mörder beobachtet und beschrieben hatte. Das heißt, er schrieb nicht wirklich »der Mörder«, sondern »der Mann, bei dem man die Lösung dieses furchtbaren Geheimnisses vermutet«. Er erwähnte auch, daß Eva-Lotte den Unbekannten wiedererkennen würde, falls sie ihn sähe, und er wies hochtrabend besonders darauf hin, daß die kleine Eva-Lotte möglicherweise ein Werkzeug sei, durch das eines Tages der Verbrecher seiner wohlver-dienten Strafe zugeführt werden könne. Ja, er schrieb tatsächlich alles, was er eigentlich nicht hätte schreiben dürfen.

Ein sehr bekümmerter Schutzmann Björk gab dem Kommissar auf dem Polizeirevier ein Exemplar der Zeitung, noch feucht von Druckerschwärze. Der Kommissar las, und dann brüllte er:

»Es ist eine Schweinerei, so etwas zu schreiben! Ehrlich gesagt: eine glatte Schweinerei!«

Bäckermeister Lisander gebrauchte noch wesentlich kräftige-re Ausdrücke, als er eine Stunde später in die Redaktion der Zeitung stürmte. Die Adern auf seiner Stirn Waren vor Wut ge-schwollen, und er schlug mit der Faust auf den Tisch des Redakteurs.

»Begreifst du nicht, daß es verbrecherisch ist, so zu schreiben?« schrie er. »Begreifst du denn gar nicht, wie gefährlich das für meine Tochter werden kann?«

Nein, darüber hatte der Redakteur sich keine Gedanken gemacht. Wieso gefährlich?

»Mach dich nicht dümmer, als du schon bist! Das ist nicht nötig, weißt du«, polterte der Bäckermeister weiter. »Begreifst du nicht, daß ein Kerl, der einmal morden kann, das sehr gut auch ein zweites Mal fertigbringt, wenn er glaubt, daß es für ihn notwendig ist? Und deshalb ist es ein sträflicher Leichtsinn von dir, den Namen und die Adresse von Eva-Lotte anzugeben.

Hättest du nicht auch noch die Telefonnummer bekanntmachen können? Dann hätte der Kerl vorher anrufen und die Zeit verabreden können!«

Auch Eva-Lotte fand, daß der Artikel verbrecherisch war, zumindest einzelne Teile davon. Sie saß mit Anders und Kalle zusammen auf dem Bäckereiboden und las:

»Die kleine, niedliche Eva-Lotte, die heute wieder zwischen den Blumen in der Eltern Garten …«

»Himmel, mich beißt der Affe! Darf man denn so irrsinnig sein, wie man will, wenn man in der Zeitung schreibt?«

Kalle nahm ihr die Zeitung weg und las den ganzen Artikel und schüttelte dann besorgt den Kopf. So viel Detektiv war er ja auf jeden Fall, daß er verstehen konnte, wie wahnwitzig dieser Artikel war. Den anderen aber sagte er davon nichts.

In einem hatte der Redakteur allerdings recht: damit, daß Eva-Lotte ihre schrecklichen Abenteuer anscheinend vergessen hatte. Glücklicherweise hatte sie die Begabung junger Gemüter, Dinge, die ihnen unbehaglich sind, beinahe von einem Tag auf den anderen auszulöschen. Nur wenn der Abend kam und sie in ihrem Bett lag, hielten die Gedanken sich schwer von dem Geschehenen fern, das sie vergessen wollte. In den ersten Nächten schlief sie unruhig, und zuweilen schrie sie im Schlaf auf, so daß ihre Mutter kommen mußte, um sie zu beruhigen. Im klaren Sonnenschein des Tages aber war Eva-Lotte ruhig und froh wie zuvor.

Dem Krieg der Rosen konnte sie auch nicht lange fernblei-ben. Sie fühlte selbst: Je wilder die Spiele waren, in die sie sich warf, um so schneller würde all das andere in ihrem Unterbe-wußtsein versinken.

Die Polizeisperre draußen am Herrenhof hatte aufgehört.

Aber bereits vorher war der Großmummrich von dort weggeholt worden. Schutzmann Björk hatte den ehrenvollen Auftrag bekommen, ihn aus der Sperrzone zu holen. Nach dem Verhör auf der Veranda, als die Existenz des Großmummrich verraten werden mußte, nahm Anders Björk beiseite und fragte ihn, ob er nicht so nett sein wollte, den Großmummrich aus der Gefangenschaft zu befreien. Björk tat das gern. Ehrlich gesagt, er war sogar sehr interessiert daran, einmal zu sehen, wie ein Großmummrich aussah.

So geschah es, daß der Großmummrich unter Polizeieskorte von seinem unheimlichen Aufbewahrungsort fortgebracht und dem Chef der Weißen Rose übergeben wurde. Und jetzt lag er in einer der Kommodenschubladen oben auf dem Bäckereiboden, wo die Weißen ihre Heiligtümer zu verwahren pflegten.

Dieser Platz war aber nur ein vorläufiger, denn der Großmummrich sollte erneut verlegt werden.

Anders fand nach längerem Nachdenken die Idee, ihn bei dem Brunnen oben im Schloßhof zu verstecken, gar nicht mehr so gut. »Ich wünsche ihn mir an einem spannenderen Platz«, sagte er.

»Armer Großmummrich«, meinte Eva-Lotte. »Ich finde, sein letzter Platz war gerade spannend genug.«

»Nein … ich meine eine andere Art von spannendem Platz«, sagte Anders. Er zog die Schublade auf und betrachtete zärtlich den Großmummrich, wie er da auf Watte in einer Zigarrenkiste lag. »Vieles sahen deine weisen Augen schon, o du Großmummrich«, flüsterte er. Und mehr als je zuvor war er überzeugt von der magischen Kraft des Heiligtums.